Meschede. „Wir sind nicht die Fußabtreter der Corona-Pandemie“ - anonym berichten zwei Mescheder Arzthelferinnen über den Ärger in ihrem Job.

Sie sind seit mehr als 30 Jahren im Job, hießen mal „Sprechstundenhilfe“ und „Arzthelferin“, arbeiteten im Krankenhaus und in Arztpraxen - heute sind sie Medizinische Fachangestellte - doch eins wollen sie nicht mehr sein, „die Fußabtreter der Corona-Pandemie“. So zumindest formulieren es Medizinische Fachangestellte in einem landesweiten Telegram-Kanal.

Die zwei Meschederinnen, Svenja Plewe und Claudia Müller (Name von der Redaktion geändert), die die Veränderungen in ihrem Beruf beschreiben, würden es so drastisch nicht ausdrücken. Sie lieben ihren facettenreichen Beruf. Aber auch sie geben zu: „Der Ton ist rauer geworden und manchmal reagieren auch wir genervt, obwohl wir es eigentlich nicht wollen.“ Verärgert sind sie vor allem über die unkoordinierten, kurzfristigen Ankündigungen der Regierung und der Kassenärztlichen Vereinigung, die sie dann am Telefon und im direkten Gespräch mit den Patienten ausbaden müssen.

Die Arbeitsbelastung

In einer Status-Meldung bei WhatsApp kursierte dazu der Satz: „Die Aufhebung der Priorisierung bedeutet nicht, dass den Helferinnen eures Hausarztes zeitgleich vier Köpfe und sechs Arme wachsen. Und auch durch die Sätze - Ja aber, ich will! Ja aber, die Regierung hat doch beschlossen. Ja aber, bei meinen Diagnosen muss doch! Ja aber, ich bin doch schon so lange bei Ihnen! - lassen einen Tag nicht plötzlich 36 Stunden haben.“

Zu wenig Impfstoff

Lange verwalteten die Arztpraxen nur den Mangel - es gab deiutlich zu wenig Impfstoff.
Lange verwalteten die Arztpraxen nur den Mangel - es gab deiutlich zu wenig Impfstoff. © dpa | Wolfgang Kumm

Und dann war lange nicht mal genug Impfstoff vorhanden, ärgert sich Svenja Plewe. „Trotzdem stellte sich Herr Spahn hin und sagt: Jetzt impfen wir auch noch die Kinder, und dann heben wir am 6. Juni die Impfpriorisierung auf.“ Sie könne die jungen Leute ja verstehen, die jetzt anrufen, „aber wir haben selbst unsere Ü60-Patienten noch nicht alle durchgeimpft.“ Nur ein Fläschchen Biontech - der Impfstoff für die unter 60-Jährigen - habe ihr Chef beispielsweise noch Anfang Juni erhalten - im besten Fall reichte das für sieben Impfungen.

Vorwurf: Vorteilsnahme

Persönlich betroffen macht sie der Vorwurf, es würden Bekannte vorgezogen. „Wir unterliegen der Schweigepflicht und können doch nicht sagen, welche Vorerkrankung der Patient hat, der gerade geimpft wird.“ Sie würde am liebsten alle ins Impfzentrum schicken. „Das ist so prima organisiert. Das können wir in den Praxen gar nicht bieten.“ Zumal es reichlich Patienten gebe, die am Telefon auch noch diskutieren, weil sie mit dem angebotenen Corona-Impfstoff nicht zufrieden sind. „Aber das ist hier doch kein Wünsch-dir-was!“

Bürokratie

Hinzu komme die Bürokratie, nicht nur jetzt in der Corona-Zeit. „Da sind schon in den vergangenen Jahren viele Aufgaben hinzugekommen“, sagt Claudia Müller. Ständig gebe es neue Formulare. Die Heilmittelverordnung, in der beispielsweise die Leistungen für Krankengymnastik geregelt sind, ist so ein rotes Tuch. „Ich habe oft den Eindruck, die KV sitzt da mit einem gespitzten Bleistift und wartet nur drauf, dass wir Fehler machen, damit sie Leistungen streichen kann.“

„Wir verwalten uns noch zu Tode, sagen die Arzthelferinnen: Hier füllt eine medizinische Fachangestellte einen Begleitschein des Robert-Koch-Instituts zur Einsendung einer Probe aus, die  das Coronavirus nachweisen soll..
„Wir verwalten uns noch zu Tode, sagen die Arzthelferinnen: Hier füllt eine medizinische Fachangestellte einen Begleitschein des Robert-Koch-Instituts zur Einsendung einer Probe aus, die das Coronavirus nachweisen soll.. © dpa | Sven Braun

Sie hätte gern mehr Zeit für die Patienten. „Da steht eine Seniorin vor mir, die ich seit Jahrzehnten kenne und weint, weil ihr Mann gestorben ist oder sie selbst gerade eine schlimme Diagnose bekommen hat, und ich habe nicht die Zeit, ihr in Ruhe zuzuhören. Das bricht mir das Herz.“ Dabei gehöre doch auch das zu ihrem Beruf: Empathie zeigen- neben verwaltungstechnischem und medizinischem Sachverstand. Es wird nur nicht honoriert.

„Dagegen verwalten wir uns noch zu Tode“, unterstreicht auch ihre Kollegin. Fast einen Herzinfarkt habe sie bekommen, als sie aus den Nachrichten erfuhr, dass die Arztpraxen jetzt auch noch die digitalen Impfausweise ausstellen sollten. „Das ist doch nun wirklich eine behördliche Aufgabe und nicht unsere“, schimpft sie. Das gleiche gelte für die digitale Versichertenkarte, ergänzt Claudia Müller. Eine schöne Idee, für junge Patienten, die mit Smartphone und PC umgehen können. Aber viele der Älteren werde das überfordern. „Also, was machen wir? Wir fahren zweigleisig und machen doppelte Arbeit.“

Keine Lobby

Sie seien nicht weiter bereit für die Fehler der Politik ihren Kopf hinzuhalten. Und das, wo ihr Beruf ansonsten in der Politik kaum eine Lobby habe. „Ich habe mich so darüber geärgert, dass wir erst auf keiner Priorisierungsliste für die Impfung auftauchten, dass ich bei Landrat Dr. Karl Schneider, beim CDU-Landtagsabgeordneten Matthias Kerkhoff und beim NRW-Gesundheitsministerium angerufen habe“, erzählt Svenja Plewe. Im April 2021 endlich erhielten sie, die seit März 2020 regelmäßig Abstriche bei Corona-Patienten vornimmt, auch endlich ein Impfangebot.

Hintergrund

Die Ausbildung zur Medizinischen Fachangestellten MFA war im Juni 2021 auf Platz 3 im Ranking der beliebtesten Ausbildungsberufe. Die Chance dort auch unterzukommen, stehen gut. Im Juni 2021 suchten im Kreis Soest und im HSK noch 52 junge Männer und Frauen eine Ausbildungsstelle als Arzt- oder Praxishilfe. Auf der anderen Seite gab es noch 76 freie Stellen.

Die Deutsche Ärztezeitung schreibt jedoch im Januar 2020, dass viele Auszubildende ihre Ausbildungsverträge vorzeitig lösen. Der Wert sei deutschlandweit von 2010 bis 2018 um 34,3 Prozent auf 4338 Verträge gestiegen. Nach fünf Jahren seien nur noch 60 Prozent als MFA aktiv. Etwas mehr als jede zehnte MFA gehe zusätzlich zu ihrer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung einer geringfügigen Nebenbeschäftigung nach.

Das mag auch am geringen Verdienst liegen. Eine MFA verdient als Berufseinsteigerin zwischen 20.000 und 22.000 Euro im Jahr. Das steigt im landesweiten Schnitt unabhängig von ihrer fachlichen Qualifikation auf rund 25.000 Euro.

Die MFA werden vertreten durch den Berufsverband der Medizinischen Fachangestellten. Die beiden Meschederinnen wissen, dass nur wenige Kolleginnen dort organisiert sind. „Aber er ist auch einfach viel zu leise!“