Meschede. Eine Klinik geht in Konkurs und niemand ist für die Akten der Patienten da: Der Fall der Geisterklinik von Meschede soll sich nicht wiederholen.
Es ist 2013, als aus der ehemaligen Veramed-Klinik bei Meschede eine gruselige Geisterklinik wird. Als intime Befunde von Patienten wie auf einem Wühltisch von Unbefugten durchstöbert werden. Als Fotos und Videos mit Röntgenbildern, Labor-Ergebnissen und Diagnosen aus dem früheren Krankenhaus im Internet auftauchen. Es war ein Skandal, der zeigte: Es besteht eine Lücke im Gesetz - denn niemand war mehr für die alten Akten zuständig. Jetzt, fast zehn Jahre später, tritt in Nordrhein-Westfalen eine neue Regelung in Kraft. So ein Vorfall wie damals soll sich nicht wiederholen.
Bis 1986 hatte die Knappschaft die Klinik betrieben. Lungenkranke, vor allem mit Tuberkulose infizierte, wurden hier im Wald hoch über Beringhausen behandelt. Zwei Jahre später übernahm die Veramed-Gesellschaft das umgestaltete Gebäude.
Der Schwerpunkt: die ganzheitliche Behandlung und Versorgung von Krebs-Patienten. Doch der Betrieb wurde im September 2009 nach einem Insolvenzverfahren eingestellt. Die Türen wurden verschlossen und im Innern blieb beinahe alles so, als wenn es am nächsten Tag weitergehen würde - ein Traumobjekt für „Urban Explorer“.
Es gilt ein Ehrenkodex
Dabei handelt es sich um Menschen mit einem sonderbaren, aber zunächst eher harmlosen Hobby: Sie suchen verlassene Orte auf, sind angezogen von der einsamen Atmosphäre mit zurückgelassenem Inventar, sie machen Fotos oder drehen Videos und verschwinden wieder unbemerkt. Sie begehen möglicherweise einen Hausfriedensbruch, weil sie in Gebäude eindringen, sie haben aber den Ehrenkodex nichts zu zerstören und nichts mitzunehmen. Jedoch: Es bleibt in der alten Veramed-Klinik nicht bei den „Urban Explorern“.
Einbrecher, Diebe und Schaulustige
Bald kommen Einbrecher und Diebe. Sie nehmen alles mit, was verwertbar sein könnte. Kabel, Metalle. Mit roher Gewalt werden Wände aufgerissen, es werden hohe Schäden angerichtet. Dann kommen auch Neugierige und Schaulustige. Die alte Veramed-Klinik wird immer bekannter - eben durch Videos und Fotos, die zunehmend im Internet kursieren. Hinzu kommt der Reiz des Gebäudes: eine historische Kulisse, eine komplett erhaltene Kapelle im Obergeschoss, Untersuchungsräume mit Apparaten, Krankenzimmer mit Liegen, Sekretariate mit Schreib- und Kaffeemaschinen. Es ist eine Mix, der nach Abenteuer und Grusel klingt.
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Und dann sind dort auf einmal diese Akten. Sie enthalten intime Daten von Überlebenden und Verstorbenen. Krebs-Diagnosen. Laborwerte. Schatten auf der Lunge im Röntgenbild. Mit vollem Namen, mit Adressen, mit weiteren Angaben, die sich niemand in fremden, unbefugten Händen wünscht. Auch Aufnahmen dieser Angaben machen im Internet die Runde. Auf Fotos und in Videos sind Menschen zu sehen, die in den Akten blättern. Nach Berichten dieser Zeitung sind schließlich die Behörden alarmiert: Polizei, Kreisverwaltung, Datenschutzbeauftragte, auch das Land NRW.
Sie stellen alle fest: Sie können die Sache nicht lösen. Das alte Krankenhaus war eine Privatklinik. Mit der Insolvenz gibt es keinen Eigentümer mehr. Niemand ist für die Akten zuständig. Der Insolvenzverwalter wehrt gerichtlich die Verantwortung für die Unterlagen ab. Zunächst wird daraufhin versucht die Klinik einbruchsicher zu machen - was immer wieder scheitert. Auch eine Umlagerung innerhalb des weitläufiges Geländes in ein anderes Gebäude mit Vergitterung hält nur für den Übergang. Am Ende bringt der Hochsauerlandkreis die Akten auf Anweisung von Dr. Karl Schneider an einen geheimen Ort. Später übernimmt die Bezirksregierung die Verantwortung. Die Papiere müssen teilweise bis 2038 aufbewahrt werden - das kostet den Steuerzahler tausende Euro.
Die Geschichte von Meschede soll sich nicht wiederholen. Im Gesundheitsausschuss des Landtags hieß es jetzt: „In der Vergangenheit hat es in NRW Fälle gegeben, wo Patientenakten in einer geschlossenen Klinik zurückblieben. Das ist unmöglich – Patientinnen und Patienten haben ein Anrecht auf den Schutz ihrer sensiblen Gesundheitsdaten. Deshalb regeln wir die verantwortliche Archivierung der Akten nicht nur rechtlich, sondern wollen auch über einen Fonds die Finanzierung sicherstellen.“
Eine Variante ist verpflichtend
Finanziert werden sollen zwei Töpfe, einmal von Kliniken, die der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen angeschlossen, und einmal von Privatkliniken. Der Beitritt zum Fond ist zwar freiwillig, allerdings sind die Häuser andernfalls dazu verpflichtet für eine insolvenzgeschützte Variante zu sorgen, durch die ihre alten Akten über Jahrzehnte aufbewahrt werden können, erklärte der heimische CDU-Landtagsabgeordnete Matthias Kerkhoff. Er sagte: „Patientenakten enthalten höchst sensible Daten und müssen besonders geschützt sein. Ich finde es beruhigend, dass sich so etwas wie in der Veramed-Klinik nun nicht mehr wiederholen kann und dass wir als Gesetzgeber dafür die Voraussetzungen geschaffen haben.“
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Die Klinik steht weiterhin leer und ist weiträumig abgesperrt. Das Betreten des Bereichs kann gefährlich sein, weil Dinge herabfallen können, Geländer fehlen und spitze Gegenstände herausragen können - außerdem ist es strafbar. Auf Schildern wird deutlich daraufhin gewiesen.
Sämtliche Pläne zu einem Umbau oder zum Betrieb in anderer Funktion haben sich bisher zerschlagen. Der letzte potenzielle Investor, der nie öffentlich auftreten wollte, saß zwischenzeitlich wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung in Haft. Seitdem gibt es keine Neuigkeiten.