Iserlohn/Menden. Der Mendener Buchhändler Andreas Wallentin holt den Altbundespräsidenten ins Parktheater Iserlohn. Dort spricht Gauck auch über Sahra Wagenknecht.
Dass der Zustand der Demokratie in Deutschland dem Bundespräsidenten a.D. Joachim Gauck Sorgen bereitet, hat er in Menden schon bei drei Vorträgen deutlich gemacht. Nun holte ihn der Mendener Buchhändler Andreas Wallentin nach Iserlohn – unter neuen Vorzeichen: Mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat sich inzwischen eine neue populistische Partei gegründet, die bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen erste Erfolge feierte.
Gauck warnt vor der „gefährlichen Verführerin“ Sahra Wagenknecht
Natürlich spricht Joachim Gauck auch über „die seltsame Frau Wagenknecht“. Er bezeichnet sie als eine „gefährliche Verführerin“, die mit Simplifizierungen arbeite und keine Ideen für die Zukunft habe, sondern die Stimmen der Unzufriedenen sammele. Ihre Politik sei eine „Betreuung des Unmuts“. Am anderen politischen Rand sieht Joachim Gauck eine AfD, die weiter viel Zustimmung erhält – vor allem im Osten, in der ehemaligen DDR. Gauck, der selbst aus dem Osten kommt, warnt allerdings davor, alle AfD-Wähler Nazis zu nennen: „Die wollen keinen Hitler, einen Orban zu meinem Erschrecken aber schon.“
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Im Interview mit IKZ-Chefredakteur Torsten Lehmann geht Joachim Gauck der Frage auf den Grund, warum populistische Parteien gerade im Osten so erfolgreich sind. „Die Menschen im Osten haben 56 Jahre Diktatur erlebt, die im Westen nur zwölf. Die Ossis mussten sehr viel lernen, die Demokratie ist für sie eine große Herausforderung“, sagt Gauck und prognostiziert, dass es noch zwei bis drei Jahrzehnte Unterschiede in der politischen Kultur zwischen Ost und West geben werde.
Gauck: Erklärung von Kanzler Olaf Scholz ein „gutes Signal“
Dass der 84-Jährige mit seinem Blick in die Zukunft oft richtig liegt, zeigt sein womöglich bekanntestes Zitat aus dem Jahr 2015 auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise. Der Satz „Unser Herz ist weit, aber unsere Möglichkeiten sind endlich“ sei ihm nicht leicht gefallen, sagt Gauck in Iserlohn. Und doch sieht er sich heute bestätigt. Die Parteien in der Mitte hätten die Sorgen der Menschen nicht ernst genug genommen, davon profitierten heute AfD und BSW. Dass Kanzler Olaf Scholz (SPD) jetzt eine Abschottung an den Grenzen ankündigt, will Gauck als „gutes Signal“ dafür verstehen, dass die Regierung verstanden hat. Für praktikabel hält Gauck es nicht, Menschen auf Dauer an den Grenzen aufzuhalten und zurückzuschicken. Das könne höchstens eine befristete Maßnahme sein.
Für notwendig hält Gauck allerdings eine stärkere Sicherung der EU-Außengrenzen. Dass Deutschland qualifizierte Zuwanderung braucht, macht Gauck ebenfalls deutlich: „Deutschland hat Rücken.“ Das Wort Remigration nimmt Gauck nicht in den Mund. Er sagt aber, dass es undenkbar sei, alle Menschen mit Einwanderungsgeschichte zurückzuschicken: „Wie sieht es denn dann in Deutschland aus – ohne Ärzte, Spargelstecher und Menschen in der Gastronomie?“ Im Parktheater erleben die Menschen einen sehr persönlichen Joachim Gauck. Moderator Torsten Lehmann greift immer wieder die Biografie des Altbundespräsidenten auf, auch seine Arbeit als Pfarrer. Immer wieder gibt es Applaus für Gauck – vor allem dann, wenn er sich klar gegen Rechts positioniert.
Gauck lobt das Unternehmertum in Westfalen
Zwischen seinem Vortrag im ersten Teil des Abends und dem Interview mit Torsten Lehmann besucht Joachim Gauck auch noch eine größere Gruppe des Märkischen Arbeitgeberverbandes (MAV) im Löbbecke-Saal des Theaters. Die Unternehmer freuen sich über seinen Kurzbesuch, bei dem sich Gauck als „Westfalen-Fan“ outet. Geschäftsführer Özgür Gökce fragt Gauck, wie man die AfD-Wähler erreichen könne, doch der Bundespräsident a.D. hat eigene Pläne. Er lobt das eigenverantwortliche Unternehmertum, das in Westfalen weit verbreitet sei. „Arbeiten zu gehen, ist viel wert, aber selbst eigenverantwortlich zu wirtschaften, ist noch wertvoller“, so Gauck. Er sei dankbar für dieses Engagement. „Das wollte ich Ihnen hier einfach mal verklickern“, sagt er und nimmt ein Präsent entgegen, das Özgür Gökce und Vorstandsmitglied Matthias Kampschulte überreichen.
Zur AfD äußert sich Gauck vor großem Publikum. Und er spricht auch über Außenpolitik, besonders über den russischen Präsidenten Wladimir Putin und dessen Krieg gegen die Ukraine. Wenn AfD und BSW nun von Friedensverhandlungen sprächen, sei das gefährlich. Gauck griff ein Zitat des ehemaligen SPD-Vorsitzenden und Vizekanzlers Sigmar Gabriel auf, der erklärt habe, ein Putin Friede mache die Nachkriegszeit zur Vorkriegszeit. Gauck betonte es sei richtig, die Landesverteidigung zu stärken. Auch die Lieferung von Waffen an die Ukraine hält er nach wie vor für richtig.
Nach langanhaltendem Applaus und stehenden Ovationen zum Abschluss fragt Torsten Lehmann Gauck, ob dieser nochmal nach Iserlohn kommen werde. Gauck winkt ab: „Der Herzlichkeit wegen schon, aber mit Blick auf mein Alter wohl eher nicht.“ Gauck nimmt sich aber viel Zeit, um alle Signierwünsche zu erfüllen.