Menden. Der Autorenfrühling von Andreas Wallentin überrascht immer wieder, denn wann gibt es schon mal eine Lesung ohne einen Blick in ein Buch.

Der Mendener Buchhändler Andreas Wallentin hatte wieder zu einer seiner berühmten Lesungen geladen, als Gast konnte der Professor für Internationale Politik an der Fakultät für Staats- und Sozialwissenschaften, Universität der Bundeswehr München, Carlo Marsala, gewonnen werden. Die neueste Veröffentlichung des Autors „Warum die Welt keinen Frieden findet“ schien den Nerv der Bürgerinnen und Bürger zu treffen, denn: „Er ist ein gefragter Gast in diesen unruhigen Zeiten.“ Die Meinung des Insiders und seine Einschätzung der globalen Situation traf auf großes Interesse, denn das Theater am Ziegelbrand war ausverkauft. Wallentin hatte zudem eine gute Nachricht für alle, die sich umsonst um Tickets bemühten: „Wir werden noch ein, ich sage mal, Zusatzkonzert geben.“ Inzwischen steht dafür auch der Termin fest: Am Montag, 4. November, wird Masala um 19 Uhr auf der Wilhelmshöhe sein dann ganz neues Buch vorstellen.

Moderator Dirk Becker (stellvertretender Redaktionsleiter der Westfalenpost Menden) verkündete anschließend einen ungewöhnlichen Ablauf des Abends: „Unser Gast wird aus keinem seiner Bücher lesen, ich gebe Stichpunkte vor, der Professor gibt Antworten.“ Eine Lesung ohne Lesung also, die Autorenreihe sorgt immer wieder für Verblüffung.

Der Druckfehler wird in der zweiten Auflage geändert

Seine jüngste Veröffentlichung habe eine Einleitung, drei Kapitel, ein Schlusswort, es werde im Speziellen auf den Ukrainekrieg eingegangen, Gaza komme auch vor, so der Talkmaster. Der unbewusst sogar auf den einzigen Druckfehler in der Publikation stieß, denn mit dem 24. Februar 2023 übernahm er den Zeitpunkt des Einmarsches russischer Truppen auf das ukrainische Territorium unkorrigiert. Masala berichtigte schmunzelnd auf die korrekte Jahreszahl 2022 und versicherte: „Wird in der zweiten Auflage geändert.“

Lesung Carlo Masala
Auf der Bühne im Theater am Ziegelbrand greifen Carlo Masala und Dirk Becker höchst unterschiedliche Themen auf. © WP Menden | Peter Benedickt

Die erste Frage lautete, anlehnend an eine Formulierung im Buch, wie sich denn ein „Krieg“ von einem „Angriffskrieg“ unterscheide. Eine Aufklärung sei hier nicht einfach, zerstreute der Experte die Hoffnung des Publikums auf eine kurze Erläuterung. Völkerrechtlich legal sei eigentlich ein Waffengang nur, wenn ein Angriff auf die Nation selbst kurz bevorsteht.

Der Kriegsbegriff ist nicht klar definiert

Im 18. und 19. Jahrhundert war die Sache klar: „Es gab eine Kriegserklärung und dann ging es los.“ Im Prinzip seien militärische Auseinandersetzungen in der Charta der Vereinigten Nationen sogar verboten. Zudem ist der Begriff Krieg nicht klar definiert. Wenn sich zwei bewaffnete Gruppen über einen längeren Zeitraum mit mindestens 1000 Toten im Monat bekämpfen, lautet die Deutung, die in den meisten Fällen herangezogen wird. Deshalb macht die Antwort auf Unterschiede militärischer Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Nationen Probleme.

Lesung Carlo Masala
Das Publikum bekommt ebenfalls die Möglichkeit, Fragen zu stellen. © WP Menden | Peter Benedickt

Souverän und verständlich beschrieb Carlo Masala Hintergründe, Abläufe und Ursachen bewaffneter Konflikte. So vertritt er die Meinung, dass der Einsatz von strategischen Nuklearwaffen keinen Sinn macht, weil jeder betreffende Staat eine gesicherte Zweitschlagmöglichkeit hat: „Flugzeuge in der Luft oder U-Boote können nicht ausgeschaltet werden.“ So zählt der Spruch: „Wer als erster schießt, ist als zweiter tot.“ Der Vorteil des Erstschlages wird damit zunichte gemacht.

Es herrschen falsche Vorstellungen

„Bei den taktischen Atomwaffen wiederum herrschen falsche Vorstellungen“, präzisierte Masala. „Denn deren Einsatz bringt viel weniger, als in den Vorstellungen der Bevölkerung allgemein angenommen wird. „So muss eine hohe zweistellige Anzahl dieser Gefechtsfeldwaffen eingesetzt werden, nur um eine Division zu zerstören, bringt also Null.“

Lesung Carlo Masala
Prof. Carlo Masala signiert zahlreiche Bücher. © WP Menden | Peter Benedickt

Eine Illusion nahm der Experte den Gästen zudem: „Russland wird auf Jahre hinaus kein Partner sein.“ Es sei „fatal, zu glauben, dass sich der Aggressor mit 20 Prozent der Ukraine zufriedengibt“, führte Masala weiter aus. „Ein Blick in das überfallene Land genügt, um zu bemerken, dass dort die Identität zerstört wird, Denkmäler werden zerstört, Kinder verschleppt, am Ende soll nichts mehr an die Ukraine erinnern.“ Nächste Schritte werden unweigerlich folgen, in Transnistrien sind erste Ansätze zu erkennen, die baltischen Staaten sicherlich nicht vergessen. Konkreter: „Von der östlichen Außengrenze Deutschlands bis zur Westgrenze von Belarus will Putins einen seiner Meinung nach historischen Fehler korrigieren.“ Zudem bekräftigte der Insider: „Es ist nicht nur Putins Krieg, in großen Teilen der russischen Bevölkerung bekommt er Unterstützung.“

Kurz vor der Pause zeigte sich der Militärfachmann in Richtung Moderator durchaus humoristisch: „Dies war für sie ja eine einfache Arbeit, nur drei Fragen, in 45 Minuten beantwortet, ich hoffe, es ist niemandem langweilig geworden.“ Tatsächlich brandete Beifall auf, zeigte deutlich, dass er mit den Themen ins Schwarze traf.

Als einziger Präsident keinen Krieg begonnen

Eine Überraschung präsentierte Dirk Becker nach der Pause, als er Masala zitierte und mitteilte, dass Donald Trump einer der wenigen US-Präsidenten sei, der keinen Krieg anzettelte. „Schätzen wir den Mann falsch ein?“, war die provokante Frage. Carlo Masala benannte auch hier die Zusammenhänge: „Nein, wir sehen ihn schon richtig. Sein Feindbild heißt China, der Rest interessiert ihn schlicht und ergreifend einfach nicht.“

Es ging noch um die Wehrpflicht („Wird sich keine Partei herantrauen“), Tauruslieferung („Wird kein Gamechanger“) den europäischen Strafgerichtshof, die aktuelle Abhöraffäre, hybride Kriegsführung. Aus dem Publikum kamen Fragen, keine blieb unbeantwortet, die Anwesenden zeigten sich sehr interessiert.   

Beim Signieren bildete sich schnell eine lange Reihe, geduldig wartete jede Besucherin und jeder Besucher auf seine Widmung