Menden / Platte Heide. Der Mendener Martin Havers entwickelt die Systeme der Landwirtschaft von Morgen. Wie das unsere Medizin und Ernährung verändern kann.

Es ist vergleichbar mit dem Beginn der großen Silicon-Valley-Firmen wie Apple, Google oder Microsoft: Im Elternhaus in Menden tüftelt Martin Havers an Technologien, die die Zukunft verändern können. Seine Firma „Agile Solutions“ entwickelt unter der Marke „PlantoVision“ neuartige Beleuchtung und Anlagenkonzepte für optimales Pflanzenwachstum.

Dabei ist die Idee der Leuchten nicht gänzlich neu. Allerdings habe jede Pflanze eigene Bedürfnisse, wie der 50-Jährige sagt. Ihm zufolge werden bestehende Systeme zwar grundlegend gute Arbeit leisten, dennoch noch nicht genug, um damit wirtschaftliches „Vertical Farming“ im großen Stil zu betreiben. Vertical Farming ist das Anbauen von Pflanzen in Regalen oder Tanks. Im Falle von „PlantoVisions“ erstem Projekt sind es Mikroalgen wie die Spirulina. Diese wird in großen Tanks angebaut und mit dem Beleuchtungssystem von Havers optimal zum Wachstum angeregt. Havers plant dabei nicht nur die Beleuchtungssysteme der Farmen, sondern auch die Farm selbst. Sein aktuellstes Projekt ist eine Mikroalgen-Farm im Niedersächsischen Duderstadt bei Göttingen.

Salat im U-Bahntunnel anbauen: Das ist möglich mit Technik aus Menden

Durch diese Art der Kultivierung lassen sich beispielsweise in Großstädten lokale Produktionen an sonst ungenutzten Flächen realisieren. Martin Havers: „In London benutzt man bereits jetzt ausrangierte U-Bahn-Tunnel, um dort Salat anzubauen. Da es dort sehr dunkel ist, wird künstliches Licht für das Wachstum der Pflanzen benötigt.“ Und genau diese Lichtsysteme entstehen auf der Platte Heide. Havers zufolge sei das erwartete Wachstum in dieser Branche ein Milliardengeschäft. Bis 2050 würde die Weltbevölkerung auf bis zu 10 Milliarden Menschen anwachsen, während die landwirtschaftlich nutzbare Fläche um 30 Prozent schrumpfe.

Martin Havers war 13 Jahre bei dem Mendener Unternehmen HJS und hat dort unter anderem als Leiter der Steuergeräteentwicklung Systeme für Abgasnachbehandlung entwickelt – bei VW sorgte die Manipulation solcher Systeme für den berühmten Diesel-Skandal. „Ich fühlte mich dort aber immer wie der Unternehmer im Unternehmen“, begründet er den Weggang vom Fahrzeugtechnik-Zulieferer. Havers machte sich 2011 selbstständig und hat seitdem für viele internationale Großkunden gearbeitet. Für das Projekt der Mikroalgenfarm hat sich Havers intensiv mit der Biologie der Alge und deren Photosynthese beschäftigt. Für ihn sei es wichtig gewesen, die Pflanze zu verstehen. Nur so könne er das Optimum aus seinen Projekten herausholen. Dabei ginge es jedoch nicht ausschließlich um Licht: Alle Technologien stünden im Fokus, um den Pflanzen ein optimales Umfeld zu schaffen.

Zur Person

Gelernt hat Havers zunächst Kommunikationselektronik am heutigen Theodor-Reuter-Berufskolleg in Iserlohn. Anschließend machte er sein Diplom als Ingenieur der Nachrichtentechnik an der Universität (damals noch Gesamthochschule) Paderborn in Meschede. Zur Schule ging Havers in Menden auf die Bonifatius Hauptschule Platte Heide. Privat ist Havers oft in der Luft zu finden: Sein Hobby ist das Segelfliegen beim A.C. Hagen in Iserlohn-Sümmern. Seine Firma „Agile Solutions“ hat er mit seiner Frau Constance zusammen gegründet, mit der er seit 2006 verheiratet ist und zwei Töchter hat.

Im Vertical Farming lassen sich jedoch derzeit nur schwer Grundnahrungsmittel erzeugen. Der Fokus liegt dabei ganz stark auf der Nahrungsergänzung, Kosmetik und der Pharmaindustrie. Laut Havers ist beispielsweise die Spirulina eine hervorragende Quelle für Eiweiß und weitere für die Industrie interessante, sekundäre Pflanzenstoffe. Durch das schnelle Wachstum unter den Idealbedingungen in Havers Systemen kann die Mikroalge etwa alle 18 Stunden geerntet werden. Dabei kommen etwa 100 Kilogramm Algen pro Tag zusammen. Nötig sind dafür große Anlagen unter Reinraumbedingungen, wie eine von Havers geplante in Duderstadt. Sie verfügt über 3600 Quadratmeter Produktionsfläche. Das ist jedoch weniger als benötigt wird, um auf herkömmliche Weise Nahrungsmittel zu produzieren – von der Zeit ganz zu schweigen.

„Vertical Farms“ – vertikale Farmen – wie diese in Duderstadt entwickelt Martin Havers mit seiner eigenen Technologie.
„Vertical Farms“ – vertikale Farmen – wie diese in Duderstadt entwickelt Martin Havers mit seiner eigenen Technologie. © Joshua Kipper | Martin Havers / Privat

Die Industrie profitiere von solchen Anlagen. Bestehende Hersteller von Spirulina-Erzeugnissen liefern bislang nur getrocknete Produkte, die weniger Einsatzzwecke haben als die lebende Alge. Die Anlagen von Havers können die lebende Alge produzieren, die sich gewinnbringender verkaufen lässt, als ein getrocknetes Pulver, sagt der Unternehmer.

Mehrere hundert neue Medikamente

Die Pharmaindustrie hingegen könne mithilfe solcher Anlagen neuartige Medikamente auf den Markt bringen. Martin Havers zufolge soll ein Pharmakonzern bereits schätzungsweise 400 Medikamente in Marktreife haben, jedoch sei bislang noch kein Lieferant von Mikroalgen der benötigten Qualität vorhanden. Die Anlage in Duderstadt solle dies nun ermöglichen.

„In der Natur kommt dieses Flackern ja auch vor: Man denke an Bäume, die sich im Wind bewegen.“

Martin Havers
Unternehmer

Das Resultat seien individuelle Konzepte mit pflanzenspezifischen Licht-„Rezepten“. In einem Nebenraum von Havers Büro steht ein Teil des Beleuchtungssystems, das in Duderstadt zum Einsatz kommt. Es flackert mit einer hohen Frequenz. Laut Havers rege dieses Flackern die Photosynthese stärker an: „In der Natur kommt dieses Flackern ja auch vor: Man denke an Bäume, die sich im Wind bewegen. Durch die Bewegung der Äste und folglich der Überlappung des Blattwerkes kommt ja auch nicht immer konstantes Licht auf die Blätter.“

Trotz schwieriger Bedingungen: Herstellung in Deutschland

Besonders stolz ist er darauf, dass sowohl Entwicklung als auch Produktion seiner derzeitigen Projekte ausschließlich in Deutschland geschieht. Dennoch muss Havers zugeben: „Es wird am Wirtschaftsstandort Deutschland immer schwieriger zu produzieren.“ Der Mendener nennt die Energiepolitik und die daraus resultierenden Energiepreise sowie Vorgaben der Bundesregierung als Gründe dafür.

Seine Farming-Projekte werden vom Elektronikriesen Würth Elektronik unterstützt. Würth Elektronik ist die Elektroniksparte des Schraubenriesen gleichen Namens. Havers erklärt, dass „Würth die Einzigen in Deutschland sind, die die Dioden für die Leuchten in der Qualität produzieren, wie wir sie brauchen. Daraus ist eine hervorragende Partnerschaft entstanden.“ Zuletzt war Havers mit seiner Marke „PlantoVision“ auf der Messe „Agritechnica“ in Hannover mit einem gemeinsamen Stand mit Würth Elektronik vertreten. Die „Agritechnica“ ist die weltgrößte Messe für Agrartechnik und hat dementsprechend großes Publikum: Mehr als 470.000 Besucher aus 149 Ländern sollen, laut Angaben der Messe selber, durch die Ausstellungshallen gewandelt sein.

Die Messe hat ihm international Aufmerksamkeit verschafft: Mehrere Universitäten möchten mit ihm Forschungsprojekte, unter anderem zur Photosynthese unter dem flackernden Licht, starten und auch in der Industrie fällt der Name Martin Havers und „PlantoVision“ nun immer häufiger. Von Menden in die Welt.