Menden..

Zehn Tage lang dauerte allein die Überfahrt mit der MS Berlin von Bremerhaven ins kanadische Halifax. Dann ging es noch einmal mehr als 5 000 Kilometer mit dem Zug weiter quer durch Kanada, bis nach Edmonton. Dort stand die 22-jährige Kuni Spruyt im Frühjahr 1957 und staunte: „Keine Obstbäume, keine Blumen, nur flache Prärie-Landschaft.“ Heute sagt die 76-Jährige: „Es war definitiv ein Kulturschock für mich.“

Ihre Geschichte ist eine Auswanderer-Erzählung der frühen Stunde: Denn während heute Menschen, die ins Ausland gehen, von Fernsehteams begleitet werden, war es vor 54 Jahren ein großes Unterfangen, insbesondere für eine junge Frau.

Kuni wurde 1934 als jüngstes von zwölf Kindern der Familie Schmidt in Menden geboren. Nach dem Abschluss der Josefschule arbeitete sie in der Bürstenfabrik Martin. Schon damals zog es sie als junge Frau in die Großstadt: Mit 18 Jahren ging Kuni nach Köln, um dort Krankenschwester zu lernen. Ihr praktisches Jahr absolvierte sie in Düsseldorf. Im dortigen Krankenhaus kam erstmals der Auswander-Gedanke auf: Denn dort traf Kuni auf Krankenschwestern, die nach Kanada ausgewandert waren.

Ein Hobby von Kuni Spruyt in Kanada ist das Handarbeiten. Foto: privat
Ein Hobby von Kuni Spruyt in Kanada ist das Handarbeiten. Foto: privat © WP | WP

Auch Kuni zog es weiter, zunächst für ein Jahr ans Universitätsklinikum in Frankfurt. „Dort traf ich auf Louise, die auch daran interessiert war, nach Kanada zu gehen“, sagt die heute 76-Jährige. „Meiner Familie habe ich nichts davon erzählt, sie hätten es mir wohl ausgeredet.“ Gemeinsam mit Freundin Louise schmiedete Kuni Pläne und konfrontierte ihre Verwandtschaft schließlich damit, dass sie nach Kanada gehen wollte. „Sie waren ein bisschen aus der Fassung gebracht“, erzählt die Auswanderin. Am Plan änderte das nichts.

Im April 1957 ging die Reise mit dem Schiff los. Mit dem Zug erreichten die beiden jungen Deutschen schließlich Edmonton, wo sie eine Freundin von Louise abholte. Mit deren Hilfe fand auch Kuni Arbeit, in Cornation, etwa drei Stunden von Edmonton entfernt. „Englisch konnte ich praktisch überhaupt nicht sprechen“, berichtet die gebürtige Mendenerin heute fließend in ebenjener Sprache. „Ich musste es nebenbei lernen.“

Und auch im Privatleben gab es große Veränderungen. Am 25. Dezember 1957 traf Kuni ihren heutigen Ehemann Walter, einen gebürtigen Holländer, bei einer Tanzveranstaltung. Im Mai 1958 zog Kuni weitere 600 Kilometer nach Westen, nach Fort St. John in British Columbia. „Dort war es sehr kalt im Winter, im Sommer gab es viele Stechmücken“, erinnert sich die heute 76-Jährige. Am 7. Februar 1959 heiratete Kuni ihren Walter, ein Jahr später zog die Familie zurück nach Edmonton. 1962 kam Sohn Jeffery auf die Welt, 1967 wurde Sohn Stephan geboren.

Im Sommer zog die Familie noch weiter westlich, nach Vancouver Island. Auf der Insel leben heute nur 20 Menschen pro Quadratkilometer, sie ist ein Naturparadies mit Schwarzbären, Pumas und Wölfen, Bergziegen, Elchen, Stinktieren und Kojoten. Kuni Spruyt arbeitete weiter als Krankenschwester, bevor sie 1994 in Rente ging. „Seitdem vertreibe ich mir die Zeit mit Weben, Spinnen und anderen Handarbeiten“, sagt sie. Und mit der Familie: Ein Enkelkind gibt es schon, das zweite ist auf dem Weg.

Besuch vom Bären im Garten. Foto: privat
Besuch vom Bären im Garten. Foto: privat © WP | WP

Menden hat sie bereits einige Male besucht: „Das Leben in Europa ist recht schnell im Gegensatz zu Kanada“, sagt die Auswanderin. Die Familie besucht Kuni regelmäßig in Kanada. Und die knapp 7 000 Kilometer Luftlinie zwischen Vancouver Island und Menden sind häufig nur einen Mausklick entfernt: Mit Hilfe des Computers und des Internets bleibt Kuni Spruyt auf dem neuesten Stand. Mit ihrer Schwester spricht sie über ­Skype jede zweite Woche, mit dem Bruder einmal im Monat.