Kirchhundem. Die Familie Graefen hat eine Bauruine in Kirchhundem gekauft und saniert sie mit den eigenen Händen. Ihr Credo: „Einfach anfangen und machen.“
Kann man sich in eine Ruine verlieben? Ja, es geht. Familie Graefen aus Kirchhundem ist das beste Beispiel. Vor zwei Jahren erwarb sie ein mehr als 200 Jahre altes Fachwerkhaus in der Flaper Straße 8 in Kirchhundem, vermüllt, verwahrlost, veraltet und mit kapitalen Gebäudeschäden, um es in Handarbeit in ein schmuckes Mehrgenerationenhaus zu verwandeln. Der Plan scheint aufzugehen.
Wer Bernhard Graefen auf seiner Baustelle besucht, muss Zeit mitbringen. Der Bauherr kann über jede Ecke, jeden Balken, jedes Kabel und jedes Fachwerkfeld in den vielen Zimmern eine eigene Geschichte erzählen. Wer ihm länger zuhört, fragt sich, ob er den 44-Jährigen und seine Familie bewundern oder eher bedauern soll. Bewundern über den Mut, ein solches Mammut-Projekt überhaupt anzugehen, bedauern für das, was in nächster Zeit noch vor ihnen liegt.
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Die in Elspe lebende Familie Graefen fasste vor einigen Jahren den Entschluss, sich wohnlich zu verändern. „Wir hatten vor entweder ein altes Fachwerkhaus zu kaufen oder ein neues Naturstammhaus zu bauen“, blickt Bernhard Graefen zurück. Dann stieß Ehefrau Michaela Graefen im Internet auf das alte „Möllers Haus“ in der Flaper Straße in Kirchhundem. Die erste Begehung war mehr als ernüchternd. „Das Haus war total verwahrlost, die vorherigen Mieter müssen eine Mischung aus Messies und Mietnomaden gewesen sein. Elf große Container Müll wurden hier rausgefahren, bis das Haus besenrein war“, so Graefen. Doch er, seine Gattin und zwei der drei Söhne, 19 und 22 Jahre alt – der Älteste (24) lebt in Nürnberg –, erkannten trotz des riesigen Sanierungsaufwands das große Potenzial des historischen, denkmalgeschützten Fachwerkhauses.
Das 1819 erbaute Haus hat eine typische „Sauerländer Karriere“ hinter sich. Der einst stattliche Bauernhof wurde 1906 um eine Gastwirtschaft mit Fremdenzimmern erweitert. Nach der Aufgabe von Landwirtschaft und Gasthof wurde es nur noch zu Wohnzwecken vermietet. 450 Quadratmeter Wohnfläche bietet allein das Haupthaus ohne das riesige Dachgeschoss, hinzu kommen die Scheune, eine Remise, Stallungen und ein Hühnerpirk auf dem 1200 Quadratmeter großen Grundstück, zu dem sogar noch ein Stück des Flaper Bachs gehört. Im Laufe der Jahrzehnte wurden die Gebäude immer mal erweitert und umgebaut, aber umfassende Grundsanierungen der Gebäudeinfrastruktur hatte es seit Jahrzehnten, vielleicht sogar noch nie gegeben.
Alle Gewerke an Handwerksfirmen zu vergeben, das hätte jeden vertretbaren finanziellen Rahmen gesprengt. Aber das hatte Familie Graefen auch nie vor. „In Ruhe möglichst alles selber machen“, ist der Kern ihres Sanierungskonzepts. „Außer Dachdecker und Zimmermann war hier noch kein Handwerker drin“, sagt der 44-jährige Bauherr, der zunächst das Kfz-Elektriker-Handwerk erlernte, später eine weitere Ausbildung zum Palliativ-Krankenpfleger absolvierte.
Die gesamte Infrastruktur des Hauses – Pellet-Heizung, Elektroinstallation, Wasserleitung, Abwasserstränge etc. – hat Bernhard Graefen bereits selbst erneuert. Er und seine Frau, von Beruf selbstständige Unternehmerin, stammen beide aus Handwerkerfamilien. Auch die beiden Söhne, die in dem Haus eigene Wohnungen beziehen werden, sind im Handwerk tätig und helfen in ihrer Freizeit nach Kräften bei der Sanierung. „Das ist schon sehr viel wert, dass wir alle handwerklich recht begabt sind“, so Bernward Graefen.
Gemeinde: „Superaufwertung für den Ort“
Das malerische Fachwerk-Ensemble in der Flaper Straße in Kirchhundem war früher ein begehrtes Postkarten-Motiv und der Stolz des Ortes. Leider verfielen trotz Denkmalschutzes die ältesten, zum Teil unbewohnten Hofhäuser in den letzten Jahrzehnten immer mehr und drohen zu „Lost Places“ zu werden. Umso mehr freut sich auch die Gemeindeverwaltung über die Initiative der Familie Graefen. „Die Gemeinde ist sehr froh, dass sich jemand gefunden hat, der das Gebäude jetzt denkmalgerecht saniert. Das ist eine Superaufwertung für diesen Bereich in Kirchhundem“, so Susanne Mester, im Rathaus zuständig für den Denkmalschutz.
Trotz aller Probleme und immer neuer Überraschungen („Die hatten wir eingeplant“) bleibt die Familie ihrem Ziel treu: „Wir wollen, dass der Charakter des Hofes erhalten bleibt“, so der Bauherr. So sollen die historischen, von Hand bemalten Türen mit aufgeschraubten Kastenschlössern ebenso erhalten bleiben wie die alten Holzfenster, die lediglich eine Zweifachverglasung bekommen sollen.
Nachdem die eigene, im hinteren Bereich liegende Wohnung mittlerweile weitgehend fertiggestellt ist, hat sich Bernhard Graefen zu den vorderen Zimmern an der Flaper Straße vorgearbeitet. Ein Restaurier-Zimmererbetrieb hat bereits verfaulte Holzpfeiler und Schwellenbalken durch neue Eichenbalken ersetzt. „Aber nicht verschraubt, sondern verzapft, so wie früher“, betont der Bauherr.
An der seitlichen Außenfassade hat ein viele Jahre unbemerkter Wasserschaden das Gebälk ruiniert. „Plötzlich hatte ich einen kompletten Stützpfeiler in der Hand“, erinnert sich Bernhard Graefen an den Tag, an dem er das Fachwerk öffnete. Bei der Sanierung der kaputten Fachwerkfelder im Haus gibt es keine Kompromisse, sie werden „fachgerecht“ mit Lehmziegeln ausgemauert, diese dann mit Lehm, Jute-Vlies und Kalk verputzt. „Lehmputz kaufe ich tonnenweise ein“, sagt der Bauherr. Wie das handwerklich funktioniert, hat er sich selbst erarbeitet, unter anderem mit Videos aus dem Internet: „Ich war schon immer ein wissbegieriger Mensch und brenne darauf, Neues kennenzulernen. Man muss einfach anfangen und machen.“
„Mit Lehm wohnt man gesund, der nimmt die Feuchtigkeit auf und gibt sie wieder ab, wir haben immer eine Luftfeuchtigkeit um die 50 Prozent“, hat er festgestellt. Die Außenwände bekommen eine Innendämmung aus Holzfaserdämmplatten, mehr Dämmung ist nicht geplant. Einige „Ritzen“ werden womöglich bleiben. „Wenn man in so einem Haus wohnen will, muss man das in Kauf nehmen.“ Die Herrichtung der Wände bleibt in nächster Zeit seine Hauptaufgabe. In Kürze bekommt das Haupthaus ein neues Dach aus teurem Naturschiefer, der Denkmalschutz lässt keine andere Bedachung zu. Damit sind die bewilligten Denkmal-Fördermittel des Landes NRW in Höhe von 81.000 Euro schon mehr als aufgebraucht.
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Bei der Frage, wann alles fertig sein wird, zuckt Bernhard Graefen die Achseln. „Als wir angefangen haben, dachte ich in 10 bis 15 Jahren, jetzt hoffe ich in zwei Jahren“, sagt er. Ob dies klappen wird, weiß er nicht. „Man darf sich keinen Druck machen.“ Das ist auch seine Empfehlung an alle Bauherren, die mit der Sanierung eines alten Fachwerkhauses liebäugeln: „Fertig ist, wenn‘s fertig ist.“