Finnentrop/Siegen. Der Prozess gegen den Jugendlichen, der einen Rentner aus Finnentrop erstochen hat, geht weiter. So beschreibt ihn seine ehemalige Lehrerin.

Was treibt einen jungen Mann mit gerade einmal 18 Jahren an, am helllichten Tage einen Rentner mit einem Messer anzugreifen, mehrfach auf diesen einzustechen und ihn dabei tödlich zu verletzten? Genau das geschah am Mittag des 3. Januar mitten in Finnentrop (wir haben mehrfach berichtet). Das Opfer, so viel ist bislang klar, war nach einem Spaziergang mit seinem Hund im nahe gelegenen Lennepark nur noch wenige Meter von seinem Wohnhaus in der Kirchstraße entfernt, als ihn der 18-Jährige mit dem Messer angriff. Wenige Minuten später war der Senior trotz Reanimierungsmaßnahmen tot. Noch am selben Tag stellte sich der Jugendliche aus Wenden, den Staatsanwalt Rainer Hoppmann wegen Mordes angeklagt hat, der Polizei.

Am ersten Verhandlungstag vor der Jugendkammer als Schwurgericht des Landgerichts Siegen sagte der Angeklagte aus, er sei von dem Rentner rassistisch beleidigt worden. Doch war eine verbale Entgleisung des älteren Herrn Grund für diese Gewalt-Eskalation?

„Ich glaube, er hat damals Orientierung gesucht, eine mitreißende Persönlichkeit, nur leider ging dieser Schuss in die falsche Richtung los.“

Die ehemalige Klassenlehrerin über den Angeklagten

Das Gericht jedenfalls ist darum bemüht, die Hintergründe aufzuklären und mehr über den weitgehend schweigsamen Wendener herauszufinden. Helfen sollen dabei auch Menschen, die ihn kennen. Zu diesen Personen gehört die 49-jährige ehemalige Klassenlehrerin, die am Donnerstag am vierten Prozesstag im Zeugenstand Platz nahm. Sie hatte laut eigener Aussage einen guten Draht zu ihrem einstigen Schüler – offenbar eine von wenigen. „Anfangs war er ein verträumter Junge“, erinnerte sich die Lehrerin zurück und meinte damit die ersten beiden Jahre an einer Gesamtschule im Kreis Siegen-Wittgenstein. Doch schon in den Klassen fünf und sechs habe er sein schulisches Potenzial nicht abgerufen.

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Die ernsthaften Probleme begannen laut Aussage der 49-Jährigen in Klasse sieben. Der heute 18-Jährige habe sich von einem neuen Mitschüler negativ beeinflussen lassen und sei Mitglied einer an der Schule berüchtigten „Jugend-Gang“ geworden, die vor Gewalt nicht zurückgeschreckt habe. Die Lehrerin erzählte, dass Drogen und Alkohol ins Spiel kamen und sich der Angeklagte von seiner Mutter immer mehr distanzierte. Zwischenzeitlich habe er sogar bei einem Kumpel im Kreis Siegen-Wittgenstein gelebt.

Nachdem die „Gang“ einen Oberstufen-Schüler angegriffen hatte, drohte die Schule dem 18-Jährigen aus Wenden sogar mit einem Verweis, doch so weit kam es nicht. „Ich glaube, er hat damals Orientierung gesucht, eine mitreißende Persönlichkeit, nur leider ging dieser Schuss in die falsche Richtung los“, suchte die ehemalige Klassenlehrerin am Donnerstag nach einer Erklärung dafür, warum ihr ehemaliger Schüler auf die schiefe Bahn geraten war: ein „falscher“ Freundeskreis.

Keine Reaktion auf das „Alles Gute“

Dann kam Corona – und es sei noch schwieriger geworden. „Wir haben ihn nicht mehr über den digitalen Unterricht erreichen können und als der Präsenzunterricht wieder zurück war, kam er immer seltener oder gar nicht mehr zur Schule“, fasste seine ehemalige Klassenlehrerin zusammen, „dabei hätte er einen guten Hauptschulabschluss machen können.“ Doch dazu kam es nicht mehr. Als Richterin Sabine Metz-Horst die Befragung beendet hatte und die Lehrerin den Raum verlassen wollte, schaute sie noch einmal zu dem Angeklagten hinüber und wünschte ihm „Alles Gute“. Eine Reaktion, geschweige denn ein Blickkontakt, blieb aus.

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Schon am Montag (3. Verhandlungstag) hatten weitere Zeugen ausgesagt, unter anderem drei Polizisten, die am Tattag im direkten Kontakt mit dem Angeklagten standen. „Er wirkte gelangweilt und desinteressiert, als wenn ihm die Tat egal gewesen wäre“, beschrieb ein 48-jähriger Beamter der Olper Kreispolizeibehörde seine Eindrücke, nachdem sich der 18-Jährige ihm im Lennepark mit den Worten „Sie können mich festnehmen. Ich war es. Ich habe auf den alten Mann eingestochen“ gestellt hatte. Ein 51-jähriger Kollege, der für die Spurensicherung zuständig war, ergänzte: „Er (der Angeklagte, Anm. der Red.) war klar bei Verstand, aber völlig emotionslos. Er hat nicht gezittert, sondern war kühl und teilnahmslos.“ Von einem „desinteressierten Eindruck“ sprach zudem ein 42-jähriger Polizist, den Sabine Metz-Horst vernahm. Der Prozess geht am Montag, 1. Juli, weiter.