Finnentrop/Siegen. Ein 72-jähriger Rentner wird Anfang Januar erstochen. Unmittelbar vor seinem Tod spricht er noch mit seiner Frau. Das sind seine letzten Worte.

Dem jungen Mann in die Augen zu sehen, der ihrem geliebten Ehemann Anfang Januar auf offener Straße das Leben nahm, das brachte die 71-jährige Witwe aus Finnentrop nicht über ihr Herz. Während sie also mit leiser Stimme über das für sie Unbegreifliche sprach, hörte der 18-jährige geständige Täter im Nebenraum zu, die Tür einen Spalt geöffnet. Am Donnerstagmittag wurde vor dem Siegener Schwurgericht der Fall weiterverhandelt, der Anfang des Jahres nicht nur die Menschen in Finnentrop sprachlos machte: Ein junger Mann aus der Gemeinde Wenden, gerade einmal 18 Jahre jung, dafür der Polizei bestens bekannt, stach mehrfach auf einen 72-jährigen Rentner ein und verletzte ihn dabei tödlich, nur wenige Meter von dessen Wohnhaus an der Kirchstraße entfernt. Der Senior war zuvor mit seinem geliebten Hund im nahegelegenen Lennepark unterwegs gewesen. Der Wendener, der sich wenige Stunden nach der Tat der Polizei stellte, ist wegen Mordes angeklagt.

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Doch was ist dann passiert? Welchen Grund gab es für die Gewalteskalation? Zum Prozessauftakt in der vergangenen Woche gab der Angeklagte an, er sei von seinem späteren Opfer rassistisch beleidigt worden, ihm seien die Sicherungen durchgebrannt. „Im Leben nicht“, antwortete die Witwe auf Nachfrage von Vorsitzender Richterin Sabine Metz-Horst, ob sie eine solche verbale Entgleisung ihres Mannes für möglich halte. Der 71-Jährigen kommen mehrfach die Tränen. Auf die Frage von Richterin Metz-Horst, wie es ihr aktuell gehe, antwortete die Finnentroperin leise mit einem Wort: schlecht. Ihre Tochter und ihr Enkelkind, die mit im Haus leben, gäben ihr Halt. Ein bisschen Ablenkung erfahre sie, wenn sie in der nahegelegenen Schule putze – früher habe sie das mit ihrem Mann gemeinsam gemacht. Doch dann kam der Tag, der alles in ihrem Leben veränderte.

Der Vormittag des 3. Januar verlief gewöhnlich. Ihr Mann, der nicht nur seinen Hund, sondern auch das Tüfteln an Autos liebte, sei nach dem Frühstück am späteren Vormittag mit dem Hund nach draußen gegangen. Kurze Zeit später klingelte ein Nachbar, den Hund an der Leine. Die Frau ging raus auf die Straße und konnte mit ihrem Mann noch einige letzte Worte wechseln. „Ich habe ihn gefragt, was passiert ist. Er sagte, dass er überfallen wurde und ein Messer im Rücken hatte“, berichtet die Witwe. Wenige Minuten später ist ihr Mann tot. Er verstirbt noch im Rettungswagen und hinterlässt bei seiner Familie eine große Leere.

Die Mutter schweigt

Die Familie des Angeklagten kann nur wenig zur Klärung dieses schrecklichen Vorfalls beitragen. Die Mutter (53) macht von ihrem Schweigerecht Gebrauch, anders als der Zwillingsbruder, der seit der Bluttat keinen Kontakt mit seinem in Haft sitzenden Bruder hat. Warum, will die Richterin wissen. „Ich muss das selber erstmal verkraften“, sucht der 18-Jährige, der als Maschinen- und Anlagenführer arbeitet, nach einer plausiblen Antwort. Während seiner Befragung wird jedoch offensichtlich, dass sich das Verhältnis der beiden Zwillinge schon vor der Tat enorm abgekühlt haben muss. Sie teilten sich zwar bis zum Schluss ein Zimmer, doch wusste der eine offenbar nicht, was der andere im Alltag tat. Ausflüge mit der gesamten Familie, die habe es schon lange nicht mehr gegeben.

„Früher haben wir so lange geredet, bis wir eingeschlafen sind.“

Der Zwillingsbruder des Angeklagten

„Früher haben wir so lange geredet, bis wir eingeschlafen sind, und haben zusammen Marihuana geraucht“, erklärt der Zwillingsbruder im Zeugenstand. Doch das sei schon lange vorbei. Kurz vor der Tat, im November 2023, eskalierte ein zunächst verbaler Streit sogar und endete in einer handfesten Auseinandersetzung, nach einer Rauferei zerbrach der Wohnzimmertisch. Dass der Angeklagte, der während der Vernehmungen mehrfach gähnte und ein Mal sogar lachen musste, kein Unschuldslamm war und Gewalt zu seinem Alltag gehörte, wurde bereits am zweiten Verhandlungstag vergangene Woche deutlich.

So kam die Jugendgerichtshilfe des Kreises Olpe, die eigentlich am letzten Verhandlungstag vorgesehen war, bereits zu Wort. Und hier gab es durchaus ungewöhnliche Informationen: So die, dass der Angeklagte der Gerichtshilfe bereits seit seinem 13. Lebensjahr bekannt ist – dass aber zwischen dem Erstkontakt und dem erneuten Aufeinandertreffen, das nach der Bluttat von Finnentrop der Fall war, nicht ein einziges Gespräch bei der Jugendgerichtshilfe anstand. Dabei gab es in der Zwischenzeit sage und schreibe 45 polizeiliche Ermittlungsverfahren, von denen aber nur die letzten zwei von der Staatsanwaltschaft angeklagt worden waren. Das dazu nötige Gespräch bei der Jugendgerichtshilfe sollte just an dem Tag stattfinden, an dem sich dann die Bluttat in Finnentrop ereignete.

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Zurück zum dritten Verhandlungstag an diesem Montag. Die drei Polizisten, die nach der Tat direkten Kontakt mit dem Angeklagten hatten, nachdem sich dieser gestellt hatte, beschrieben den jungen Mann unisono als teilnahms- und emotionslos. So verhielt er sich auch am Montag – mit einer Ausnahme. Ein Satz seines Zwillingsbruders sorgte dann doch für eine Emotion: Tränen stiegen dem Wendener in die Augen, als sein Bruder sagte: „Egal, was er getan hat, ich werde ihn immer lieben.“ Am Donnerstag geht der Prozess weiter.