Olpe. Dr. Frank van Buuren vom St.-Martinus-Hospital Olpe stellt besorgt fest, dass Herzkranke in der Corona-Krise oft zu spät eine Klinik aufsuchen.
Oft sterben Corona-Patienten nicht an dem Virus selbst, sondern an einem zweiten Infekt. Das bedeutet, dass neben der Lunge vor allem auch das Herz in Mitleidenschaft gezogen wird. In der Behandlung gegen Covid 19 ist demnach auch die Kardiologie stark miteingespannt. Wie stark, das erklärt Dr. Frank van Buuren, Leiter der medizinischen Klinik und einer der Chefärzte auf der Intensivstation am St.-Martinus-Hospital in Olpe.
Worauf muss man aus Sicht der Kardiologie bei einer Corona-Infektion besonders achten?
Dr. Frank van Buuren: Hierbei können drei Probleme auftreten: Endothelschäden – also Schäden an der Innenschicht der Gefäße –, Myokarditis – eine Herzmuskelentzündung – und Gerinnungsstörungen.
Bei den Endothelschäden ist es so, dass die Innenschicht der Gefäße aufgeht, die darunterliegende Colesterin-Plaque herauskommt und das Gefäß verschließt. Das kann schließlich einen Herzinfarkt auslösen. Und tatsächlich haben wir in den vergangenen Wochen die Beobachtung gemacht, dass mehr Leute mit einem Herzinfarkt zu uns kommen.
Abgesehen davon kann eine Corona-Infektion auch eine Herzmuskelentzündung hervorrufen – auch bei bislang gesunden Menschen. Meist entwickelt man eine derartige Entzündung bei einem schweren bronchialen Infekt, aber das Coronavirus scheint hierbei auch eine besondere Rolle zu spielen. Das Wesentliche hierbei ist, dass die Pumpleistung der Herzkammer sehr schlecht werden kann und bösartige Herzrhythmusstörungen entstehen.
Außerdem haben wir mittlerweile gelernt, dass sich bei einer Covid-Infektion schneller Gerinnsel in den Gefäßen bilden. Deswegen setzen wir verhältnismäßig früh Medikamente wie Heparin ein, um diese Gerinnselbildung zu hemmen. Das soll verhindern, dass der Patient Thrombosen, einen Schlaganfall oder einen Gefäßverschluss der Kranzarterien bekommt.
Inwieweit beeinflusst Bluthochdruck bzw. blutdrucksenkende Medikamente den Verlauf von Covid 19?
Tatsächlich ist es so, dass Bluthochdruck die Infektion dynamisieren kann. Dann können sich auch schwere Krankheitsverläufe mit Lungenversagen ergeben. Bedeutsam ist dabei aber natürlich, dass man den Blutdruck gut eingestellt hat. Damit kann man das Risiko minimieren. Das unterstreicht nochmal, wie wichtig es ist, dass man sich trotz dieser Corona-Phase jetzt in ärztliche Behandlung begibt.
Es gibt Studien, die sagen, dass sich das Virus über einen bestimmten Rezeptor, der auch für die Blutdruckbehandlung genutzt wird, in die Körperzelle einschleust. Richtig wissenschaftlich bewiesen ist das aber noch nicht.
Mitte März hat Gesundheitsminister Jens Spahn mit einem Alarmbrief an alle Krankenhäuser appelliert, dass planbare Operationen verschoben werden sollten, um Ressourcen zu schonen und Kapazitäten freizuhalten. Hat sich das in den vergangenen Tagen – mit dem allmählichen Rückgang der Neuinfektionen – geändert?
Wir lagen in der Corona-Hochphase bei etwa 40 Prozent der planbaren Leistungen, die wir vorher erbracht haben. Mittlerweile sind wir bei etwa der Hälfte angekommen. Hochfahren bedeutet in diesem Sinne, dass wir uns anders vorbereiten müssen im Vergleich zu vorher. Wir müssen die Abläufe regeln: Auf welche Station kommen die Patienten? Wie vermeiden wir Kontakte zwischen verschiedenen Patientengruppen? Und das Wesentliche: Patienten, die bei uns operiert werden sollen, werden vorher auf Covid-19 getestet. Wenn der Test negativ ausfällt, kann derjenige auf die „Normalstation“ verlegt werden. Die anderen Bereiche, in denen Covid-19-Patienten behandelt werden, werden wir weiterhin konsequent isolieren. Das bedeutet, es hat sich mittlerweile eine ganz andere Raumstruktur ergeben.
Insgesamt halten wir aber weiterhin ein Drittel unserer Intensiv-Kapazitäten frei, um Covid-19-Patienten aufnehmen zu können.
Gab es bei Ihnen in den vergangenen Wochen Fälle, in denen die Patienten fast zu spät gekommen sind, weil sie Angst vor einer Corona-Infektion hatten?
Die Angst der Bevölkerung ist nach wie vor ausgeprägt. Natürlich gibt es immer mal wieder Leute, die zu spät kommen, weil sie Angst haben. Aber man hat schon den Eindruck, dass es mehr geworden ist. Und das kann wirklich fatal sein, wenn man Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems auf die lange Bank schiebt. Dabei ist die Gefahr, sich hier im Krankenhaus mit Corona zu infizieren, sehr gering. Die Patienten, die zu uns ins Haus kommen, werden fast durchgängig getestet. Und das auch bei minimalen Symptomen. Solange das Ergebnis aussteht, verbleibt dieser Patient in einem Einzelzimmer, um die Infektionskette zu unterbrechen.
Ich habe in dieser Woche zum Beispiel einen Patienten behandelt, der seit zwei Monaten mit einer Angina-Pectoris-Symptomatik zuhause saß. Als wir ihn dann kathetert haben, haben wir festgestellt, dass eines seiner Kranzgefäße zu 99 Prozent zu war. Das haben wir zwar wieder gut aufbekommen, aber das hätte auch fatal ausgehen können. Das ist ein Positiv-Beispiel, aber es gibt eben auch Fälle, in denen das nicht so glimpflich abläuft. Wir haben im Kreis Olpe verhältnismäßig viele Patienten, die an Covid-19 verstorben sind. Und weil wir Schwerpunkt-Haus sind, haben wir auch viele davon begleitet. Da waren einige dabei, die erst gekommen sind, als sie schon sehr knapp mit der Luft waren.
Gibt es etwas, was Menschen mit Herzerkrankungen bzw. Vorbelastungen mehr beachten sollten in der Corona-Krise als womöglich vollkommen gesunde Menschen? Mal abgesehen davon, dass sie sich am besten gar nicht infizieren sollten.
Gesunde Ernährung macht eine Menge aus. Natürlich sollte man sich an die entsprechenden Abstandsregeln halten, aber man kann ja durchaus rausgehen und ein bisschen aktiv bleiben. Man muss nicht die ganze Zeit zuhause sein und warten bis die Corona-Welle über uns hinweggeschwappt ist. Man sollte das Immunsystem ein bisschen bei Laune halten. Dazu gehören zum Beispiel auch Spaziergänge, bei denen man auch mal ins Schwitzen kommt. Damit werden die Gefäße trainiert und die Elastizität bleibt erhalten. Das ist sehr wichtig aus der Sicht des Kardiologen.
Mittlerweile weiß man ja, dass ältere Menschen und solche mit signifikanten Vorerkrankungen zur Risikogruppe gehören. Wie können Sie es sich aber erklären, dass auch bei eigentlich gesunden Menschen die Erkrankung einen schweren Verlauf annehmen kann?
Das hat einerseits mit dem eigenen Immunsystem zu tun, andererseits aber auch mit dem Moment, in dem das Virus einen überrennt. Vor zwei Monaten hatten wir zum Beispiel eine Influenza-Welle. Nach so einem Grippe-Infekt ist man natürlich erstmal geschwächt. Wenn dann fünf Tage später on top noch das Coronavirus hinzukommt, dann kann es mit voller Wucht zuschlagen. Auch bei eigentlich gesunden Menschen.
Unsere erste Patientin, die wir im Rahmen ihrer Covid-19-Erkrankung beatmen mussten, war 50 Jahre alt und hatte keinerlei Vorerkrankungen. Sie hatte sich im Skiurlaub mit dem Virus angesteckt. Wir haben sie lange beatmen müssen, zeitweise stand es auch wirklich knapp um sie. Vergangene Woche konnten wir sie schließlich wieder entlassen und sie hat über beide Ohren gestrahlt. Das war ein wirklich schöner Moment. Dieser Verlauf ist aber leider nicht jedem Patienten vergönnt.
Manche Ärzte haben auch Adipositas als einen weiteren Risikofaktor ausgemacht. Können Sie das aus Ihrer Erfahrung heraus bestätigen?
Unbedingt. Adipöse Patienten sind nicht selten auch von Diabetes betroffen bzw. haben generell eine schlechte Immunabwehr. Adipositas hat für uns aber eine ganz große Bedeutung, wenn die Patienten beatmungspflichtig werden. Das liegt vor allem an der Atemtechnik. Das kann man sich so vorstellen: Ein Drittel der Atemleistung besteht daraus, dass wir den Brustkorb heben, zwei Drittel der Atemleistung wird durch das Zwerchfell geleistet. Bei einem kräftigen Patienten kann sich das Zwerchfell aber nicht so einfach in Richtung Bauch bewegen. Und gerade, wenn wir einen Beatmungsmodus wählen müssen, wo wir mit einer hohen Atemfrequenz arbeiten müssen – wie zum Beispiel im Fall einer Corona-Infektion –, kommt dieses Problem besonders zum Tragen.