Drolshagen/Bergneustadt. Der Luftsport-Club Dümpel bietet regelmäßig Schnupperfliegen für Interessierte an. Unsere Reporterin machte einen Selbstversuch.
Der Blick geht nach Südsüdosten. Ein heller Streifen am Horizont. Darin setzt Sebastian Besting jetzt seine Hoffnung. Er zeigt auf die Thermikkarte, die der Beamer an die Wand projiziert. Darin eingezeichnet: grüne, graue, weiße und rote Punkte. Vor allem grüne und rote Flecken erstrecken sich über das Sauer- und Siegerland sowie über den Oberbergischen Kreis. Nicht die besten Bedingungen fürs Segelfliegen, denn: Grün steht für Regen, rot für Gewitter. „Wir befinden uns gerade an der Südseite des Regengebiets“, sagt Besting. „Das heißt, wir können nicht zu 100 Prozent sagen, ob der Regen uns tatsächlich trifft. Was wir aber sicher sagen können: Lange fliegen werden wir heute nicht.“
Der Reiz
Sebastian Besting (39) ist Segelflug-Lehrer beim Luftsport-Club Dümpel und seit fast 25 Jahren dabei. Mit mehr als 950 Starts gehört der gebürtige Olper definitiv zu den erfahrenen Fliegern. „Der größte Reiz bei der ganzen Sache ist für mich, dass man sich nur mit der Kraft der Natur über mehrere hundert Kilometer in der Luft hinweg bewegen kann“, sagt er. Ein Gefühl, das man nur schwer beschreiben kann, wenn man es nicht selbst erlebt hat. Und genau deswegen nimmt er die Reporterin heute mit zu einem Rundflug in fast ein Kilometern Höhe. War nicht vorhin noch die Rede von Gewitter…?
Die Vorbereitung
Als erstes wird mir der Fallschirm-Rucksack auf den Rücken geschnallt. Eine Vorsichtsmaßnahme. Springen musste hier bisher noch niemand. „Dann ziehst du diesen roten Knauf nach hinten, schiebst die Abdeckung nach oben und springst“, erklärt Besting. Aus 1000 Metern Höhe springen. Aha.
Das Fallschirm-Geschirr sitzt fest, der Gurt des Hartschalen-Sitzes wird so eng gemacht, dass sämtliche Bewegungen mit dem Oberkörper eingeschränkt werden. „Bist du bereit?“, fragt Besting, der als Pilot in dem Sitz hinter mir das Flugzeug steuert. Klar bin ich bereit! Dass ich gar nicht weiß, wie ich mich hier ohne fremde Hilfe aus dem Sitz schälen soll, verschweige ich.
Der Start
Das Motorflugzeug vor uns rollt. Das Seil zwischen den beiden Flugzeugen spannt sich, bis unsere Maschine schließlich mitgezogen wird. Schneller und schneller. Der Flieger hebt ab und kurz darauf haben auch wir keinen Boden mehr unter den Füßen. Ein kurzes Absacken. Muss man fürs Segelfliegen eigentlich einen starken Magen haben? „Es kann sein, dass einem am Anfang ein bisschen schlecht wird, weil die Frequenz der Bewegung relativ hoch ist“, meint Besting. Das könne man sich wie ein kleines Boot auf dem Meer vorstellen, das stärker vom Wellengang beeinflusst werde als beispielsweise ein Ozeantanker. Seefest bin ich. Dann sollte das ja kein Problem sein. Oder?
Das Gleiten
Als wir etwa 500 Meter über dem Flugplatz angekommen sind, klinkt Besting unser Segelflugzeug aus. Wir gleiten. Über Felder und Äcker, über die Listertalsperre und den Biggesee, über den Steinbruch in Drolshagen-Scheda. Am Horizont drängt sich ein anderes Gewässer ins Panorama. Das ist schon die Aggertalsperre. Bis dahin soll es heute aber nicht gehen, die Thermik-Bedingungen sind zu schlecht. Über welches Wetter freuen sich denn Segelflieger am meisten? Blauer Himmel und strahlender Sonnenschein? „Das finden wir zwar schön, aber nicht gut“, sagt Besting und lacht. „Ideal ist kalte Luft und hoher Druck. In dem Fall gibt es ausreichend thermischen Aufwind. Wir nutzen die wärmere Luftmasse, die sich nach oben bewegt, um aufzusteigen und damit länger segeln zu können.“ Eine gute Thermik erkenne man übrigens an den Cumulus-Wolken. Und ganz wichtig: Segelflieger brauchen freie Sicht. Bei Regen ist die natürlich eingeschränkt, wenn sich Tropfen auf der Scheibe sammeln. So wie jetzt.
Die Übernahme
Bevor wir aber die Landung einleiten, soll ich mal für einen Moment das Steuer übernehmen. Kein Scherz. „Kannst du dich noch dran erinnern, wie das funktioniert?“, fragt Besting und spielt damit auf die Einweisung am Flugplatz an, die er mir vor ein paar Minuten gegeben hat. Steuerknüppel nach vorne drücken – die Flugzeug-Nase geht runter – der Flieger wird schneller. Steuerknüppel anziehen – die Nase geht nach oben – der Flieger wird langsamer. Aber wie war das nochmal mit dem Lenken? „Seiten- und Querruder müssen gleichzeitig betätigt werden. Wenn du nach rechts fliegen willst, trittst du das rechte Pedal – das Seitenruder – und drückst den Steuerknüppel nach rechts. Und das Gleiche bei links“, wiederholt Besting. Eigentlich gar nicht schwer, wenn man den Bogen heraushat, wie schnell das Flugzeug auf Lenkbewegungen reagiert. Trotzdem ist es sehr beruhigend zu wissen, dass ich einen ausgebildeten Fluglehrer hinter mir habe, der jederzeit eingreifen kann, weil vor seinem Sitz ebenfalls Pedale und Steuerknüppel angebracht sind. Auch einen Auto-Fahrschüler würde man ja nicht gleich in der ersten Fahrstunde sich selbst überlassen.
Die Landung
Nach meinem kurzen Piloten-Crash-Kurs – bitte nicht bildlich verstehen – übernimmt Sebastian Besting wieder die Führung. Er leitet die Landung ein: Gegenanflug, einkreisen in den Queranflug, Endanflug. Mit ausgefahrenen Bremsklappen nähern wir uns dem Boden. Abseits der Landebahn warten schon andere Segelflieger, die als nächstes abheben wollen. Knatternd setzen wir auf dem Rasen auf und brettern noch ein paar Meter über den Flugplatz – bis zum Stillstand.
Abschnallen, das Verdeck öffnen, durchatmen. „Und, war doch gar nicht so schlimm, oder?“, fragt Besting. Überhaupt nicht! Wann hat man schon mal die Möglichkeit, die Region aus der Vogelperspektive wahrzunehmen? Über die Ortschaften zu kreisen, den Blickwinkel zu ändern und die Welt gewissermaßen neu zu entdecken? Nur der Magen, der ist nicht ganz so euphorisch. Der fühlt sich wie ein kleines Segelboot, das von den Wellen hin und hergerissen wurde. Trotzdem möchte auch er die Erfahrung nicht missen.