Herdecke. Eigentlich ist der Kunstverein Hagenring in der Nachbarstadt beheimatet. Doch zu ihrem 100. Geburtstag hat er ein besonderes Geschenk für Herdecke.

Zehn Jahre lang mussten die Freunde des Kunstvereins Hagenring auf eine neue Gemeinschaftsausstellung warten. Zum 100-jährigen Jubiläum ist es nun so weit. Das Publikum darf sich über außergewöhnliche Arbeiten freuen, die in dieser Zusammenstellung so nirgends zu finden sind.

Galerie ist etwas Besonderes

Hartmut F. K. Gloger ist einer der ausstellenden Künstler und nimmt sich die Zeit, mit der Redaktion durch die Räume in der Dörken-Galerie zu gehen und zu erklären. Doch zunächst die brennende Frage: Warum wird diese Gemeinschaftsausstellung in Herdecke gezeigt? Schließlich gibt es in der Nachbarstadt, der Heimat des Hagenrings, doch ebenfalls geeignete Räume. Bei dieser Frage muss Gloger schmunzeln. „Ich bin schon häufiger zu Ausstellungen hier gewesen und wollte unbedingt hier hin. Die Galerie mit ihrem Industriecharme, die doch so modern gestaltet ist, ist schon etwas ganz Besonderes“, schwärmt er. Die Herdecker Gastgeber davon zu überzeugen, den Kunstverein aus der Nachbarstadt aufzunehmen, war nicht weiter schwer, denn allein der Ausstellungsname passt hervorragend ins Konzept: „Farbe satt“, so der Titel. „Das ist ein bisschen angelehnt an die Dörken-Themen ‚Farbe Blau‘ und ‚Farbe Rot‘“, gibt Gloger zu.

In dieser Kuppel erleben die Besucher Klang- und Videoinstallationen.  
In dieser Kuppel erleben die Besucher Klang- und Videoinstallationen.   © WP | Yvonne Held

Und mit diesem Ausstellungsnamen im Hinterkopf gingen 32 von 34 Mitgliedern des Hagenrings ans Werk, denn - auch das ist besonders - in Herdecke werden nicht nur bereits vorhandene Werke ausgestellt, sondern auch speziell dafür angefertigte Kunst wird gezeigt. Von Bildhauerei über Fotografien bis hin zu Malereien dürfte für jeden Besucher etwas dabei sein. Einige Arbeiten stechen dabei besonders ins Auge. Das erste Objekt, das die Besucher im zweiten Galerieraum wahrnehmen werden, sieht zunächst aus wie ein Iglu, das jemand in Rettungsfolie eingewickelt hat. Im Ausstellerverzeichnis ist zu lesen, dass es von Marc Bühren stammt und den Titel „Dystopian Cocoon I“ trägt. Auch die Erläuterung dazu („Geodätische Kuppel, Videoprojektion auf Papierfaltung aus Computeranimation und Realfilm, Field Recordings, synthetischer Sound, Videoloop 10 Minuten“) bringt den geneigten Besucher erstmal nicht viel weiter. Hartmut F. K. Gloger hilft: „Hier werden Ton und Video wiedergegeben. Durch die spezielle Papierfaltung entsteht dadurch der Eindruck, dass sich beispielsweise der Boden bewegt, wenn die Bilder darauf projektiert werden“, erläutert er und deutet in den Innenraum des Objekts.

„Soul Surfer“ von Andrea Hüsken.
„Soul Surfer“ von Andrea Hüsken. © WP | Yvonne Held

Wellenbewegungen könnte das Publikum auch spüren, wenn es sich den drei Objekten von Andrea Hüsken zuwendet. „Soul Surfer“ hat sie ihre Kreationen genannt. Boote, die verwittert aussehen, mit Farbstrichen, die an Bootslack erinnern, darauf zu sehen sind Menschen, die aufrecht stehend geradeaus blicken. Drei der Werke sind mitten im Raum ausgestellt.

Die Großformate der verstorbenen Künstlerin Claudia Schmidt sind der Blickfang am Kopf der Galerie.
Die Großformate der verstorbenen Künstlerin Claudia Schmidt sind der Blickfang am Kopf der Galerie. © WP | Yvonne Held

Einen Raum weiter tauchen die Besucher quasi in ein Meer von Farben ein. Zwei Großformate der inzwischen verstorbenen Künstlerin Claudia Schmidt sind ein absoluter Blickfang in pink und blau an der Kopfseite der Galerie. Rechts daneben sind Landschaften an der Volme zu sehen, sehr gegenständlich gemalt. Ein Kontrast, der Wirkung zeigt.

Karl Friedrich Fritzsche hat den Titel der Ausstellung „Farbe satt“ bildlich umgesetzt.
Karl Friedrich Fritzsche hat den Titel der Ausstellung „Farbe satt“ bildlich umgesetzt. © WP | Yvonne Held

Wer den Blick abwendet und sich umdreht, wird gleich vom nächsten Ensemble gefangen genommen. Karl Friedrich Fritzsche hat sein Tryptychon nach dem Titel der Ausstellung „Farbe satt“ benannt. Der Name ist Programm. „Er hat die Bilder extra für diese Ausstellung gemalt“, weiß Gloger zu berichten. Eines der drei Kunstwerke sticht besonders ins Auge. Nicht nur wegen der intensiven Farbe, sondern auch wegen des Motivs. Darauf zu sehen ist ein Mensch, der Farbe isst. Leergedrückte Tuben auf dem Tisch vor ihm und der verschmierte Mund zeugen davon, dass er von den Farben satt sein dürfte.

Herdecker Künstlerin setzt auf Weiß

Drei weitere Kunstwerke kommen in dem ganzen Farbenspiel erst eher unscheinbar daher. Eines davon ist sogar von einer Herdecker Künstlerin. Traute Kessler hat früher Textildesign studiert, ihr Bild zeigt verschiedene Papiere auf Holzuntergrund, die auf unterschiedliche Arten aufgerollt wirken. Das wiederum hinterlässt beim Besucher den Eindruck, als sei das Werk in Bewegung. Das Besondere: Es trägt den Titel „Weiß Pur“ und kommt dementsprechend nur mit dieser einen Farbe aus.

Ein Meer aus Brüsten zieht sich durch den Raum.
Ein Meer aus Brüsten zieht sich durch den Raum. © WP | Yvonne Held

Die Gestaltung direkt daneben fällt ebenfalls erst auf den zweiten Blick auf, wirkt aber dann umso eindringlicher. Ein Meer aus Brüsten ist am Boden arrangiert, das sich bis zur Wand hochzieht. Frauke Andrea Schütte hat diese „Landschaft“ aus Papier erschaffen. Das weibliche Geschlecht ist auch bei der Figur von Waltraut Schroll bestimmend. Aus Pflaumenholz hat die Künstlerin eine fließende Silhouette gearbeitet, die sie schlichtweg mit „Frau“ betitelt hat. Wer sich dem Objekt nähert, wird fasziniert erkennen, wie Schroll es geschafft hat, Brustwarzen aus den natürlichen Maserungen des Holzes entstehen zu lassen. „Ich finde die Figur wunderschön“, gibt Gloger zu. Er wird nicht der Einzige sein.

Sieben bis acht Schichten hat Hartmut F. K. Gloger auf seinen Bildern aufgetragen. 
Sieben bis acht Schichten hat Hartmut F. K. Gloger auf seinen Bildern aufgetragen.  © WP | Yvonne Held

Er selbst muss sich aber auch keineswegs verstecken. Mit zwei Kunstwerken ist er bei der Ausstellung selbst vertreten. Seine Mischtechniken auf Leinwand nennt der Autodidakt „Schichtung Rosa“ und „Schichtung Blau“. Wer genau hinsieht, wird die ursprüngliche Farbgebung noch erkennen, die zwar von „insgesamt sieben bis acht Schichten“ scheinbar in den Hintergrund gedrängt wird, aber dennoch hervorsticht.

Viel Publikum bei der Vernissage

So gibt es bei allen 62 Kunstwerken, die in der Dörken-Galerie ausgestellt sind, immer wieder ein neues Detail zu entdecken. Die unterschiedlichen Stilrichtungen der Künstler ergänzen sich in dieser Gesamtausstellung. Davon konnten sich bereits bei der Vernissage 120 Gäste überzeugen. „Ich war überrascht, dass so viele Menschen bei der Ausstellungseröffnung hier waren, weil an dem Tag auch das Spiel Deutschland gegen Spanien stattfand“, freut sich Gloger noch immer. Wer es bisher nicht geschafft hat, die Dörken-Galerie zu besuchen, um sich diese einzigartige Präsentation der Kunstwerke anzuschauen, der hat noch viermal die Gelegenheit dazu: an den beiden kommenden Samstagen, 3. und 10. August, jeweils von 14 bis 17 Uhr sowie an den Sonntagen 4. und 11. August, jeweils von 11 bis 17 Uhr.

Im Anschluss an diese Ausstellung wird es eine weitere Gemeinschaftsausstellung zum 100-jährigen Jubiläum des Hagenrings geben, dann allerdings im Osthaus-Museum in Hagen vom 12. September bis 10. November. „Da werden aber komplett andere Kunstwerke gezeigt“, erläutert Gloger.

Wer mehr über die Ausstellungen und Künstler sowie weitere Termine wissen möchte, der kann die Internetseite des Kunstvereins Hagenring besuchen.