Herdecke. Sabine Jessinghaus geht in den Ruhestand. Die Aufgaben an der Schrabergschule in Herdecke werden ihr fehlen. Besonders die Kinder.

Ihr Abschied von der Schule hat einen langen Vorlauf, und doch siegen nun mehr und mehr die Gefühle. „Es ist ein total schwerer Gang“, sagt Sabine Jessinghaus. Zwei Jahrzehnte war sie Lehrerin an der Grundschule am Schraberg, seit 2010 als Leiterin. Zum Abschluss des Schuljahres türmen sich noch einmal die Aufgaben. Danach hat sie Schulfrei. Für immer.

Wann war für Sie klar, dass Sie Lehrerin werden wollten?

Eigentlich wollte ich in den Bereich der Medizin gehen. Da aber reichten schlicht die Noten nicht. Danach wollte ich Kinder- und Säuglingskrankenschwester werden. Als ich mich dann aber als Patientin ins Krankenhaus begeben musste, habe ich dieses ganze Leid und Elend gesehen und gemerkt: Das kann ich nicht. Das ist mir zu emotional. Das schaffe ich nicht. Schließlich war klar: Dann werde ich Lehrerin. Weil damals viele in diesen Beruf gestrebt sind, habe ich anfangs aber keine Stelle bekommen und erst mal etwas anderes gemacht.

Sollte es immer schon Grundschule sein?

Ich habe von vorneherein Grundschullehramt studiert. Ich habe immer gedacht: Die Altersspanne der betreuten Kinder zwischen sechs und zehn Jahren ist ein unheimlich wichtiger Lebensabschnitt, den man als Schule und als Lehrerin mit prägt.

Waren Sie eine gute Schülerin?

Eine völlig normale Schülerin war ich und bin ganz gut durchgekommen. Die Wahl des Mathe-Leistungskurses war im Nachhinein betrachtet sicherlich nicht die klügste Entscheidung. Seitdem habe ich immer extremst viel Verständnis gehabt für Kinder, die in Mathe Schwierigkeiten haben.

Die Schrabergschule ist die größte Grundschule in Herdecke. Bringt das mehr Beachtung bei den eigenen Anliegen oder einfach nur mehr Arbeit?

Auch eine einzügige Schule kann sich sehr wohl Gehör verschaffen, bei Verwaltung oder wo auch immer. Das liegt daran: Was tut die Schule? Welche Außenwirkung hat sie? Das ist unabhängig davon, ob sie ein, zwei oder dreizügig ist. Eine große Schule ist aber sicherlich für Schulleiter schon mal herausfordernder, weil man mehr Personal einbinden muss. Die Vielzahl der Aufgaben, die inzwischen auch von außen an Schule herangetragen werden, ist mit einem großen Kollegium natürlich besser zu bewältigen.

Schule ist schon lange kein Halbtagsbetrieb mehr. Wie bewerten Sie den Offenen Ganztag?

Ganz klar: Für viele Kinder ist OGS eine echte Chance. Den Schraberg betrifft das wegen des Einzugsbereiches nicht ganz so intensiv, aber auch hier durchaus. Dadurch, dass wir länger Schule haben, dass länger Lehrer da sind, dass wir länger zusammensitzen, gibt es auch viel mehr Kommunikation. Das Miteinander in Schule ist über Jahrzehnte ein ganz anderes geworden. Persönlich bedauere ich allerdings auch, dass der Offene Ganztag wenig Flexibilität mehr zulässt, auch da, wo Eltern sonst vielleicht mehr Zeit mit ihren Kindern zubringen würden.

Dem deutschen Bildungssystem wird nachgesagt, dass der familiäre Hintergrund entscheidend ist für den Bildungserfolg. Entspricht das Ihrer Erfahrung?

Das muss leider man so sagen. Bildungsnähe des Elternhauses spielt schon eine große, große Rolle. Es gibt natürlich auch Elternhäuser, wo eigentlich Unterstützung da sein sollte und sie nicht stattfindet. Beim überwiegenden Anteil der Eltern unserer Schule ist der Anspruch an die Leistungen der eigenen Kinder allerdings sehr hoch.

Gehen Differenzierung und Fördermöglichkeiten weit genug?

Schule hat sich mittlerweile so entwickelt, dass wir es schaffen, in einer einzelnen Klasse eine unglaubliche Bandbreite von der Förderung der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf bis hin zur Begabtenförderung zu bieten. Der Lehrer hat dabei einen Rollenwechsel zum Lernbegleiter vollzogen. Das gilt besonders für die Grundschulen. Anders als die weiterführenden Schulen bekommen wir ja auch immer alle Kinder. Die Aufteilung erfolgt erst später.

Wie sehr haben die Kinder in der Pandemiezeit gelitten?

Unsere Kinder hier vor Ort haben das eigentlich sehr gut geschafft. Wir hatten durchgängig eine Notbetreuung. Am Ende waren das an die 60 Kinder, die trotz allem täglich da waren. Aber ja, es war eine schwierige Zeit, und ich möchte nicht sagen, dass das irgendeiner völlig schadlos überstanden hat. In Herdecke hatten wir den Vorteil, dass wir digital sehr gut aufgestellt waren. Das hat Online-Unterricht möglich gemacht, oder wir konnten die Jungen und Mädchen zu einer Sportstunde digital in die Schule holen. Wir haben Gottesdienste per Videokonferenz gemacht. Uns als Lehrer hat das viel, viel weiter gebracht in Sachen Digitalisierung. Das hätte sonst viel länger gedauert. Allerdings merkt man jetzt bei den Kindern, die in der Coronazeit im Kita-Alter waren, ganz viele Defizite. Die haben mehr gelitten.

Hadern Sie im Nachhinein mit einigen der Vorgaben?

Wie das so gelaufen ist, haben das alle nach bestem Wissen und Gewissen gemacht. Ob es der Wechselunterricht war oder das komplette Dichtmachen - wir haben ja die unterschiedlichsten Modelle in dieser Zeit erfahren. Besserwisserei im Nachhinein nutzt aber nichts. Allerdings denke ich: Es würde wohl nie wieder in dieser Form gehandhabt werden. Wir haben das Beste daraus gemacht und hoffen, dass es nie wieder passieren wird. Ende.

Was brauchen die Grundschulen im Moment als Nötigstes?

Eindeutig: Weniger Verwaltungsaufgaben, mehr Personal. Ebenso kleine Klassen, selbst wenn wir die hier in Herdecke noch haben. Da sehe ich uns sehr begünstigt. Die Vielfalt in einer Klasse lässt sich heute allein kaum noch stemmen. Wir brauchen eigentlich permanent ein zweites Paar Augen, Ohren und Hände. Das muss nicht unbedingt eine Lehrkraft sein. Wir sind da im Grundschulbereich auf einem guten Weg und haben in unserer Schule tatsächlich eine Alltagshelferin als Unterstützung. Das müsste aber durchgängig Praxis werden.

Zur Person: Sabine Jessinghaus

Sabine Jessinghaus ist Jahrgang 1959, hat zwei erwachsene Söhne und lebt in Herdecke.
Nach einem Lehramtsstudium war sie zunächst sechs Jahre bei der Industrie- und Handelskammer in Dortmund im Bereich der Erwachsenenbildung beschäftigt.
Zunächst hat sie als Lehrerin im Märkischen Kreis gearbeitet, bevor sie 2000 nach Herdecke gewechselt ist und 2010 als Nachfolgerin von Wolfgang Schmiedel Leiterin der Schrabergschule wurde.
Neu an der Spitze der Grundschule am Schraberg steht ihre bisherige Stellvertreterin Claudia Brunow.

Bringen die neuen, jungen Lehrerinnen und Lehrer Verständnis mit für Unterricht als Team-Projekt?

Auf alle Fälle. Die vielen Jungen im Kollegium sind totale Teamer, immer offen. Die sehen auch, dass sich damit ressourcenschonender arbeiten lässt.

Auf wie viele männliche Kollegen im Laufe Ihres Berufslebens kommen Sie?

An meiner ersten Schule waren in einem Zwölfer-Kollegium tatsächlich fünf Männer - ohne Hausmeister. Natürlich gab es einen Schulleiter und einen Konrektor. Aber darüber hinaus blieben drei weitere männliche Kollegen, was unheimlich gewinnbringend war für das Miteinander. Danach habe ich gewechselt und kam in einen reinen „Damenbetrieb“ mit acht Kolleginnen. Da war dann wirklich nur noch der Hausmeister ein Mann. Als ich nach Herdecke kam, gab es immerhin außer meinem Vorgänger Wolfgang Schmiedel immer noch zwei weitere männliche Kollegen. Inzwischen sind die auch hier alle weg, aber ein Lehramtsanwärter hält die Fahne hoch. Es wäre fürs Miteinander, vor allem aber für die Kinder, wirklich schön, wenn wir mehr Männer in der Grundschule hätten.