Wetter. Das “normale“ Geschäft ist eingebrochen. Taxiunternehmen leben jetzt von Krankenfahrten. Aber die Fahrer tragen ein hohes Risiko.
Wetter/Herdecke. "Schön, dass Sie mal an uns denken", sagt die freundliche Stimme in der Taxizentrale des Unternehmens RuhrTaxi in Alt-Wetter, bevor sie zum Chef durchstellt. Und fügt dann noch hinzu: "Applaus gab es ja bislang nur für andere Menschen aus systemrelevanten Berufen. Um uns kümmert sich eigentlich niemand. Ich stelle mich abends allein auf meinen Balkon und klatsche für mich selbst." In anderen Unternehmen in Wetter und Herdecke stößt die Redaktion bei der Nachfrage, wie es denn so läuft im Fahrgastgeschäft, auf ähnliche Resonanz. Tenor: Endlich schaut mal jemand auf uns.
Vorteil im ländlichen Bereich
"In der Tat fallen wir teilweise durchs Raster. Dabei leisten wir einen großen Beitrag, damit Patienten sicher zu den Ärzten kommen und sind dabei dem gleichen Risiko ausgesetzt wie Pfleger", sagt RuhrTaxi-Chef Peter Riske. Zur Einschätzung der Lage holt er etwas weiter aus: "Taxis in Deutschland sind sehr unterschiedlich organisiert. 80 Prozent sind selbstfahrende Einzelunternehmer, die einer übergeordneten Zentrale angeschlossen sind. Die haben keine eigenen Kunden, stehen an Bahnhöfen oder Flughäfen und bekommen Fahrgäste zugewiesen. Denen ist natürlich ein Großteil des Umsatzes weggebrochen. Ich schätze 70 bis 80 Prozent", sagt Riske. In ländlichen Regionen oder Kleinstädten dagegen würden sich eher Einzelunternehmen mit eigener Zentrale und eigenen Kunden finden: "Das ist ein großer Vorteil."
80 Prozent des Umsatzes weg
Er erinnert sich, dass ihm beim ersten Lockdown im März 2019 von einem Tag auf den anderen 80 Prozent des Umsatzes weggebrochen sind. Allerdings habe sich das nach einigen Wochen wieder normalisiert: "Wir waren aber auch stark auf Kranken-, Behinderten- und Seniorentransporte fokussiert." Das Reisegeschäft und der Haustürservice seien zu der Zeit komplett weggebrochen - mit großen Umsatzeinbußen als Folge. "Einen Großteil der Verluste konnten wir durch Krankenfahrten kompensieren, so dass wir bis jetzt ganz gut durch diese Krise gekommen sind. Wir haben einen hohen Vertrauensbonus bei Patienten und Ärzten."
Alle Mitarbeiter noch an Bord
Bei RuhrTaxi Wetter arbeiten zwölf Mitarbeiter; ihnen stehen acht Fahrzeuge zur Verfügung. Natürlich habe er, so Peter Riske, die Arbeitszeiten der Nachfrage angepasst; denn in den Abend- und Nachtstunden sei die Nachfrage eingebrochen. "Aber alle Mitarbeiter sind noch da, keiner wurde gekündigt, keiner ist in Kurzarbeit. So sind wir bislang mit einem blauen Auge davon gekommen, toi, toi, toi. Uns geht es nicht wirklich schlecht, aber man weiß ja nicht, was noch kommt", resümiert der Unternehmer.
Kurz vor der Rente
"Es dreht sich nicht viel", bringt Günter Karolczak aus Volmarstein die Situation auf den Punkt. Aus seiner Firma Taxi Günter mit Sitz im Schöllinger Feld ist im Verlauf der Corona-Pandemie ein Ein-Mann-Unternehmen geworden. "Zwei Wagen sind abgemeldet. Das einzige Auto, das noch angemeldet ist, fahre ich alleine", so der Unternehmer, der nach eigenen Angaben kurz vor der Rente steht. Aktuelle lebe er von vielen Vertragsfahrten: "Das sind jeden Tag die gleichen Leute, die ich zur Arbeit fahre. Darunter auch eine behinderte Dame im Rollstuhl. Einsteiger von der Straße gibt es eigentlich gar nicht. Aber das sagen auch die Kollegen", so Günter Karolczak. Auch Dialysepatienten gehören zu seinen Stammkunden. Um die kämpften gerade alle.
"Sehe aus wie ein Gammler"
"Aber ich kriege meine Unkosten rein und mache kein Minus", sagt er. Und das, obwohl die Situation zunehmend schwieriger werde. Um nur ein Beispiel zu nennen: "Ich habe keine Möglichkeit, zum Frisör zu gehen und sehe aus wie ein Gammler." Zwei Personen auf der Rückbank darf er den Regeln zufolge aktuell befördern. "Die meisten halten sich an die Vorschriften, aber einige muss ich darauf hinweisen, die Maske aufzusetzen und hinten einzusteigen. So lautet die Empfehlung, auf die auch ein Zettel an meiner Beifahrertür aufmerksam macht." Apropos Maske: Er sehe sich gerade als jemand, der noch arbeitet, nur mit Auflagen und Vorschriften konfrontiert. Etwa die Auflage, nun FFP2-Masken zu tragen: "Wir brauchen mehrere am Tag davon, müssen die aber aus eigener Tasche zahlen."
Ein Drittel in Kurzarbeit
Einbrüche verzeichnet, wie sollte es auch anders sein, ebenfalls das Herdecker Familienunternehmen vor der Brück. Von 90 Angestellten sind derzeit knapp 30 in Kurzarbeit. "Da macht sich das Taxigeschäft bemerkbar", sagt Chefin Simone vor der Brück. Nachts etwa gehe nichts mehr: "Natürlich fahren wird, und wir sind auch weiter vor Ort. Aber es gibt ja keine Events, keine Stadtfeste. Fahrten zu Frisöre, alles fällt weg. Es gibt so gut wie keinen Publikumsverkehr. Und die Generation, die uns zum Einkaufen braucht, die sollte eigentlich zuhause bleiben", so die Herdeckerin weiter. Befördern dürften Taxen zudem nur Personen eines Haushalts - auf der Rückbank. FFP2-Masken seien im Unternehme Pflicht, und nach jeder Transportfahrt werde das Fahrzeug komplett desinfiziert. "Das ist schon sehr aufwendig", sagt Simone vor der Brück. Und Altenheime forderten zusätzlich, dass ihre Mitarbeiter Mundschutz, Handschuhe und Schutzkleidung tragen, wenn sie Patienten zurück in die Einrichtung bringen.
Noch kein Corona-Fall
So kommt das Herdecker Unternehmen in der Tat hauptsächlich mit Krankenfahrten durch die Krise. "Für Dialyse-, Strahlen- und Chemobehandlungen. Das ist unverändert", sagt Simone vor der Brück und ist froh, dass es in ihrem Unternehmen bislang noch keinen einzigen Corona-Fall gegeben hat: "Da kann ich meine Leute nur loben und sagen, dass hier vernünftig gearbeitet wird." Denn die Fahrer seien schon eng mit den Fahrgästen beieinander: "10 bis 15 Patienten befördern sie am Tag, ohne die anderen Leute, die noch hinzukommen. Etwa die älteren Herrschaften, die nun zum Impfzentrum gebracht werden müssen."
Psychische Belastung
Zusätzlich zu dem gesundheitlichen Risiko würden die Fahrer etwa in den Krankenwagen auch viel Leid hören: "Oft wollen Angehörige eines Patienten mit zum Arzt fahren, aber Zweitpersonen kommen ja eh nicht mit in die Praxis. Das müssen wir dann oft klarmachen. Die psychische Belastung ist schon groß; denn man möchte den Menschen ja auch entgegenkommen." Und was die Herdeckerin gar nicht versteht: Ihre Taxifahrer werden nicht so schnell geimpft wie etwa Rettungssanitäter. "Dabei gehören sie für mich in die gleiche Gruppe; denn sie haben genauso viele Kontakte wie Pfleger oder Krankenschwestern. Und die sind meist noch in geschützten Einrichtungen wie Krankenhäusern. Wir dagegen müssen ja sogar zu den Leuten in die Wohnungen gehen, um sie dort abzuholen oder abzugeben."
Größtes Unternehmen in Ruhrstädten
Rainald vor der Brücke gründete das gleichnamige Taxiunternehmen vor 54 Jahren in Herdecke und leitet es noch heute gemeinsam mit seiner Tochter Simone. Sohn Jörg ist als Rettungsassistent für den qualifizierten Krankentransport zuständig.
Auch in Hagen
Seit 1997 ist das Unternehmen auch in Hagen vertreten. In der Attenbergstraße in Herdecke befindet sich die Verwaltung; längst gehören auch eine eigene Werkstatt sowie ein Dekra-Stützpunkt dazu.+++ Keine Nachricht aus Wetter und Herdecke verpassen: Hier für den täglichen Newsletter anmelden! +++ https://www.wp.de/staedte/herdecke-wetter/immer-die-neusten-nachrichten-aus-wetter-und-herdecke-id228405613.html