Wetter. So verlockend die Abkürzung sein mag: Wie Polizei, Stadt und Schule Kinder in Wetter davon abhalten, die Gleise zu überqueren - und wie nicht.
Links ein rotweißer Baustellenzaun, rechts ein rotweißer Baustellenzaun, dazwischen gut zwei Meter Flatterband mit der Aufschrift „Polizei“. Das Band ist etwas runtergedrückt und gerade mal noch kniehoch. So soll an der Hagener Straße verhindert werden, dass Schüler den Schulweg über die Doppelgleise der Bahn abkürzen.
Wiederholt war das in den letzten Wochen der Fall. Der Weg aus Alt-Wetter zum Schulzentrum in Oberwengern ist nämlich länger geworden, seit die nahe Overwegbrücke über die Ruhr wegen Bauarbeiten oberhalb der Bahnlinie gesperrt ist. Ein Ersatzweg ist ausgeschildert und nach Kritik auch schon besser ausgeleuchtet worden. Aber der Weg über die Gleise bleibt kürzer.
Das niedergedrückte Flatterband zeigt, dass gerne mal die Lücke in der stabileren Absperrung genutzt wird, um auf die andere Seite der Gleise zu gelangen. Drüben, hinter den beiden Gleisen, verläuft der Ruhrtalradweg. Über ihn geht es nach Alt-Wetter. Von der Hagener Straße aus sind immer wieder Radfahrer und Fußgänger zu sehen, die auf dem Weg unterwegs sind. Zu erkennen ist auch eine leichte Plastikkette auf dem Streifen zwischen Ruhrtalradweg und Schotterbett. Mehr Absperrung ist auf dieser Seite der Gleise nicht.
Aufklärung und Warnung
An beiden Ufern der Ruhr gibt es einen doppelten Schienenstrang. Nach Volmarstein hin verkehren hauptsächlich Güterzüge. Aber auch Personenzüge nutzen gelegentlich diese Verbindung zwischen Hagen und Witten. Nach einer längeren Gerade geht es nahe der als Abkürzung genutzten Stelle in eine Kurve. Übersichtlicher wird es dadurch nicht. Dabei ist die Eisenbahn eine große Gefahr, weiß Jörg Ackmann von der Bundespolizei. Er war jetzt im Geschwister-Scholl-Gymnasium, um die Jungen und Mädchen auf diese Gefahren hinzuweisen. „Die Eisenbahn“, sagt er, „ist das unbekannte Wesen.“ Heutzutage seien die Menschen das Auto gewohnt. Wer wisse da noch, dass ein Zug nicht ausweichen und mit einer Tonnenlast hinter sich auch nicht mal eben abbremsen könne?
Seine Aufgabe ist die Aufklärung, und deshalb denkt er über undurchlässige Sperrgitter an Bahnlinien hinaus: „Die Schranken, die Absperrungen müssen in den Köpfen vorhanden sein“, sagt er über die Schüler. Wirkungsvoll gegen leichtsinnige Überquerungen sei die Erinnerung: „Das ist saugefährlich.“
Gleich mehrfach hat die Schule allen Kindern Infos über den nötigen Umweg mitgegeben, so Ursula Zimmer, Leiterin des Geschwister-Scholl-Gymnasiums. 130 Jungen und Mädchen kämen aus dem Bereich, der jetzt ein bisschen weiter weg gerückt worden ist von der Schule. Alle 130 hätten ein persönliches Schreiben bekommen. Schließlich gab es in zwei Durchläufen die Infoveranstaltung der Polizei. Es sollte Einsicht gewachsen sein, sagt Ursula Zimmer. Was für sie aber klar ist: „Wir können da nicht Wachen hinstellen. Das wäre die Aufgabe von Anderen.“ Schulwegsicherung sei jedenfalls von der Schule nicht zu leisten.
Die Stadt Wetter spricht von einem „regelmäßigen Austausch mit der Polizei“ nach dem ersten Hinweis der Polizei Mitte März über Schüler auf den Gleisen. Der Gleiskörper sei an beiden Seiten jeweils mit einer rotweißen Plastikkette abgesperrt: „Hier herrscht also ein sichtbar verbotener Zutritt“, so eine Stellungnahme aus dem Rathaus. Auf die Stadt ginge auch die dringende Bitte an die Schulleitung des Gymnasiums zurück, Eltern und Schüler vor dem verbotenen Gleisübertritt zu warnen.
Und wie viel weiß die Bahn von der problematischen Stelle? Wann gibt es Besserung? „Die Bahn kümmert sich“, heißt es auf Anfrage, und sie sagt eine Prüfung zu.
>>> Polizei berichtet am GSG von folgenschweren Unfälle
„Gefahren beim Übergang der Bahngleise“ waren jetzt Thema im Geschwister-Scholl-Gymnasium. Die Stadt Wetter hatte sich bei der Bundespolizei Unterstützung geholt, weil immer wieder Kinder die Gleise als Abkürzung nutzen.
„Wir haben sofort am Tag nach der ersten Meldung gehandelt“, so Sabine Sabel, Leiterin vom Fachdienst Schule der Stadt Wetter. Auch sei aufgefallen, dass der veröffentlichte Alternativweg zu schlecht beleuchtet und bei Notfällen für gerufene Hilfe nur schlecht zugänglich sei. Deshalb werden die Schüler dazu aufgefordert den sichereren, aber 500 Meter längeren Schulweg ohne Gleise zu nutzen.
Mit Berichten von realen Unfällen, bei denen Kinder und Jugendliche verletzt oder ums Leben kamen, wollen Melanie Danzer und Olaf Bauer von der Bundespolizei Dortmund die Gefahren deutlich machen. Der Bremsweg der Züge werde häufig unterschätzt, ebenso der Hochspannungsstrom.
Manchmal gibt es unerbetenen Applaus. „Einige scheinen die Infoveranstaltung als Event zu betrachten“, sagt Jörg Ackmann, ebenfalls von der Bundespolizei. Die Erfahrung hat ihn gelehrt: Viele tun so, als seien sie nicht berührt, würden aber durchaus viel mitnehmen.
>>>Der Kommentar von Klaus Görzel: Handeln - Zum Schutz der Kinder
Schüler machen so was halt. Den Weg abkürzen, wenn die Umleitung ein paar Minuten kostet. Über die Gleise springen. Den Kopf riskieren. Gegen jede Vernunft. Und wenn das so ist, müssen andere für sie die Verantwortung übernehmen.
Ist am Durchlass zu den vielbefahrenen Gleisen in Oberwengern genug geschehen? Eine leichte Plastikkette auf der Ruhrseite, Flatterband kniehoch auf der Seite zur Schule hin? Das ist doch wohl mehr eine Einladung als ein ernsthafter Versuch der Verhinderung.
Die Infoanstrengungen der Schule und auch die Nachbesserung bei der Beleuchtung auf dem ausgeschilderten Ausweichweg sind Schritte in die richtige Richtung. Aber es sind nur Tippelschritte.
Wann wird der Zugang endlich dicht gemacht? Wo sind zwischenzeitlich die Schülerlotsen, die während der Schulzeit aufpassen, dass Schüler nicht ihr Leben aufs Spiel setzen für ein paar Minuten weniger auf dem Heimweg? Und: Sind Kinderleben nicht am Ende wichtiger als Knöllchen bei Falschparkern in der Innenstadt? Wo also bleibt – befristet – das Ordnungsamt?
„Die Zuständigkeiten sind nun mal so.“ – Da sollte niemand drauf beharren. Hier ist schnelles Handeln gefordert, wenn nicht bald das erste Unglück passieren soll. An einem offenen Grab wird die Frage höchstens lauten, warum vorher nicht alles Menschenmögliche unternommen wurde, um der erkannten Unvernunft der Kinder zu begegnen.