Volmarstein. Berufsbildungswerk versucht durch engen Kontakt per Telefon, psychische Auswirkungen wie Depressionen bei den 170 Betroffenen niedrig zu halten.
Das Coronavirus hat den Alltag vieler durcheinandergewirbelt, die Auswirkungen sind in zahlreichen Branchen bekanntlich enorm. Einen besonderen Blick auf die außergewöhnliche Lage haben Mitarbeiter des Berufsbildungswerks (BBW) in Volmarstein. Sie betreuen etwas mehr als 500 junge Leute, die entweder mit körperlichen Behinderungen oder mit einer Autismus-Spektrum-Störung zurechtkommen müssen. Veränderungen gewohnter Abläufe wirken sich für diese Gruppe – im Volksmund Autisten genannt – oftmals sehr nachteilig aus.
Großteil der Klientel wohnt auf dem Gelände
Dementsprechend groß waren und sind die Herausforderungen für den psychologischen Dienst. Die Probleme begannen für dessen Leiter Dr. Andreas Krombholz und Co. mit der Bekanntgabe der Landesregierung, dass auch Berufsbildungswerke und das Werner-Richard-Berufskolleg schließen müssen. „Wir mussten erst einmal ermitteln, ob und wie wir unser Klientel nach Hause schicken konnten oder ob dort eine passende Versorgung gewährleistet sei. Schließlich wohnt ein Großteil von ihnen bei uns auf dem Gelände und erhält eine angepasste Betreuung“, berichtet der Psychologe von etlichen Telefonaten, die auch der medizinische Dienst führte. Mit „Bauchschmerzen“ entließen die Verantwortlichen dann nach Klärung der Rahmenbedingungen die Schüler und Auszubildenden in kleinen Gruppen.
Gravierende Probleme ohne geregelte Tagesstruktur
Als Fachreferent Autismus kümmert sich Krombholz vor allem um diese Gehandicapten. Momentan gehören zum BBW 170 junge Leute mit Autismus-Spektrum-Störung (ASS). Die sind – bis auf zwei Ausnahmen – zwischen 17 und 25 Jahre alt. Große Bedeutung habe für sie eine geregelte Tagesstruktur, der Verlust des bewährten Umfelds könne zu gravierenden Problemen führen. „Also versuchen wir Betreuer, im regelmäßigen Rhythmus über viele Telefonate und Videochats den Kontakt möglichst intensiv zu halten. Das klappt meistens ganz gut.“ Wobei es zuhause oder in der entsprechenden Unterbringung auch Schwierigkeiten gebe, „weswegen wir schon mal nachjustieren müssen“. Krombholz nennt ein Beispiel: Viele ASS-Betroffene haben in Volmarstein ein Einzelzimmer. Das sei andernorts naturgemäß nicht immer gewährleistet. Auch der ungewohnte Kontakt etwa mit jüngeren Geschwistern oder fehlende Rückzugsmöglichkeiten sorge in Familien für Konfliktpotenzial.
Medienfreie Zeit einplanen
„Unvorhersehbare Ereignisse mögen Autisten in der Regel nicht, das ist für sie unangenehm und führt zu Unsicherheit“, sagt Krombholz und nennt eine Reihe von Herausforderungen durch die Corona-Krise. Damit keine Ängste oder Schlimmeres entstehen, wollen die Betreuer durch viele Ferngespräche für ein gutes Gefühl sorgen oder drängende Fragen beantworten. „Dabei geben wir auch Tipps, mal keine Nachrichten zu gucken und eine medienfreie Zeit einzuplanen. Zudem empfehlen wir eine klare Tagesstruktur mit geregelten Mahlzeiten.“ Auch der individuell entworfene Stundenplan soll dabei helfen, gerade jetzt während der Osterferien sei ein Rhythmus wie auch der Kontakt zu gewohnten Ansprechpartnern wichtig. Falls all das nicht fruchte, könne das zu Depressionen führen. Derzeit eher öfter als seltener. Die psychischen Belastungen nehmen ja auch allgemein in der Gesellschaft zu.
Sicherheit fehlt
„Immer wieder wollen die jungen Leute auch wissen, wann sie zurück zum BBW können“, berichtet der Leiter des psychologischen Dienstes. Darauf keine Antwort zu haben, sorge für weiteren Verdruss und sei beinahe „unerträglich“. Gleichwohl erzählen die Ausbilder, dass der Austausch mit den ASS-Kranken und Gehandicapten grundsätzlich gut funktioniere. „Wir wachsen mit unseren Aufgaben. Vor zwei, drei Wochen waren Video-Telefonate noch ungewohnt, heute sind sie selbstverständlich.“ Bei besonders kritischen Fällen erwägen Betreuer auch, ob ein Besuch vor Ort die angespannte Lage erleichtern könne. Zweimal habe das zur Beruhigung der Situation geführt. Krombholz: „Der persönliche Kontakt ist nicht zu ersetzen.“
Eine weitere Hürde: Haben sich die Autisten an ihre derzeitige Umgebung gewöhnt, könne das mittelfristig zu einem Bruch der Beziehung zum BBW führen. Auch eine Rückkehr von den mehr als 500 jungen Leuten lasse sich nicht von jetzt auf gleich organisieren. „Daher wäre ein Zeitrahmen zur Klärung dieser Übergangssituation für uns alle sehr hilfreich“, sagt Dr. Andreas Krombholz.