Wetter/Herdecke. Vor 75 Jahren erschien die erste Westfalenpost, die Westfälische Rundschau ist minimal älter. Eindrücke von Redakteuren aus Wetter und Herdecke.

Der Journalisten-Alltag ist vielfältig. „Schreiben Sie das bloß nicht“, hören Reporter von manchen Gesprächspartnern. „Das müssen Sie unbedingt mal genau so schreiben“, wünschen andere. Redakteure kritisieren und erhalten Kritik. Einige sind zufrieden, wenn sich zwei verschiedene Parteien über die gleiche Berichterstattung beschweren.

Das kurze Sinnieren über diesen speziellen Berufszweig hat einen aktuellen Anlass. An einem Freitag vor 75 Jahren, am 26. April 1946, erschien die erste Ausgabe der Westfalenpost. Die WP als „Stimme der Heimat, Echo der Welt“ feiert nun ebenso Jubiläum wie die minimal ältere Westfälische Rundschau (Premiere am 20. März 1946).

Mitarbeiter der Lokalredaktion, die für beide Titel der Funke Mediengruppe recherchieren, geben hier persönliche Einblicke in das, was sie schon lange und mit Leidenschaft hauptberuflich tun. Das beinhaltet angenehme und mitunter lustige Begleitumstände, aber auch emotionale Herausforderungen, wenn es um Schmerz und Leid geht. Es handelt sich wohl doch um eine Berufung. Die bringt es mit sich, das gesamte Leben mit nahezu allen Facetten abzubilden. Zudem ist es mittlerweile eigentlich fast egal, ob ein Text im Internet oder tags darauf in gedruckter Form erscheint.

Stimme der Heimat, Echo der Welt

Erste Berührungen mit der Zeitung, Erinnerungen an besondere Situationen und natürlich an unzählige Treffen mit verschiedenen Menschen: Normalerweise berichten wir über relevante Themen in den zwei Ruhrstädten; hier erhalten Leser einen Eindruck, wer das regelmäßig für sie notiert und was die Schreiberlinge in den letzten Jahren erlebt haben. In den nächsten Tagen, Wochen und Monaten erscheinen anlässlich des Jubiläums weitere Berichte im Lokalteil.

Angesichts zahlreicher Kuriositäten, skurrilen Typen und herausfordernden Zeiten freut sich die Redaktions-Mannschaft auf weitere Geschichten. Als Stimme der Heimat in Wetter und Herdecke sowie als Echo der Welt drumherum.

Yvonne Held: Aller Anfang ist schwer

An meinen ersten Arbeitstag vor 21 Jahren, damals noch in der Gladbecker Lokalredaktion der Ruhr Nachrichten, kann ich mich noch sehr gut erinnern. Wir fuhren in der alten und klapprigen Ente unserer Fotografin (ohne Rücksitzbank) zum ersten Termin. Der 100. Geburtstag einer sehr fitten Bewohnerin der Ruhrgebietsstadt. Kaffee, Kuchen und ein nettes Schwätzchen unter anderem mit dem ebenfalls anwesenden Bürgermeister, bevor es nach einer Stunde zum nächsten Termin ging. Bilanzpressekonferenz von Karstadt: Kein gemütliches Beisammensein, sondern klinisch reine Tische in einem großen Besprechungsraum. Darauf parat liegend die Pressemappe, ein Lindt-Osterhase und eine Werbeuhr als Geschenk. Ich muss zugeben, damals war ich echt beeindruckt. Zeit, das Ganze zu verdauen, blieb nur wenig, denn in der Redaktion angekommen, musste beides schnell geschrieben werden. Außerdem galt es, die Fotos damals noch in unserer eigenen Dunkelkammer in der Redaktion zu entwickeln. Heute unvorstellbar.

Yvonne Held (rechts) überreicht als erste Frau im Gladbecker Fußball die Torjägerkanon.
Yvonne Held (rechts) überreicht als erste Frau im Gladbecker Fußball die Torjägerkanon. © Unbekannt | Peter Braczko

Damals noch für viele unvollstellbar war allerdings, dass eine Frau die Fußballberichterstattung auf den Sportplätzen übernahm. Tennis oder Synchronschwimmen war okay. Aber Fußball? Dementsprechend wurde ich mit großen Augen angeschaut, als ich mich zum ersten Mal an den Spielfeldrand begab. Jede Menge Skepsis verfolgte mich die ersten Monate.

Umso stolzer war ich aber damals, als ich offiziell als erste Frau die Torjägerkanonen, die die Sportredaktion gemeinsam mit dem städtischen Fußballbund vergab, überreichen durfte. Die Spieler hatten sich inzwischen an meinen Anblick gewöhnt, und so war es letztlich egal, aus wessen Händen sie die begehrte Trophäe erhielten. Heute nichts Ungewöhnliches mehr, damals aber etwas ganz Besonderes.

Elisabeth Semme: Die Zeit der Zeilenlümmel und Filmspulen

Kaum vorstellbar: Über 35 Jahre ist es her, mein erstes Praktikum bei der Westfalenpost-Lokalredaktion in Schwelm. Damals noch Studentin für Englisch und Deutsch auf Lehramt in Köln, packte mich das Zeitungmachen sofort so sehr, dass ich nach dem Staatsexamen statt ins Referendariat ins Volontariat ging.

Dabei waren die ersten journalistischen Gehversuche gar nicht so leicht – was weniger am Formulieren verständlicher Sätze, als an all dem technischen Drumherum lag, das auch damals schon die Arbeit der Zeitungsmacher begleitete. Fürs Fotografieren gab es beispielsweise noch keine Digital-Kameras. Die belichteten Filmstreifen wurden in der Dunkelkammer (oft wurde dazu eine Redaktions-Toilette ohne Fenster umfunktioniert) auf eine Spule gewickelt, bevor sie zum Entwickeln in eine mit Chemikalien gefüllte Dose wanderten. Genau dieses Aufwickeln war bisweilen ziemlich mühselig, wenn die Filmstreifen hakten und man im Dunkeln die ganze Prozedur erfühlen musste. Deswegen absolvierte man als Anfänger auch schon mal Trockenübungen, wie auf dem Bild links zu sehen ist.

August 1985. Elisabeth Semme mit dem damalige Redaktionsleiter aus Ennepetal, Volker Dörken, beim Versuch, den Filmstreifen auf die Spule zu wickeln.
August 1985. Elisabeth Semme mit dem damalige Redaktionsleiter aus Ennepetal, Volker Dörken, beim Versuch, den Filmstreifen auf die Spule zu wickeln. © Unbekannt | Christoph Brünger

Schwelm, Ennepetal, Hagen, Olpe, Gevelsberg – das waren die Stationen, bevor ich 1990 als Jungredakteurin in die WP-Lokalredaktion Wetter/Herdecke kam. An meiner Seite die beiden erfahrenen Journalisten Gernot Adamheit (Leiter der Redaktion) und Frank Gautzsch. Als vierter vervollständigte kurz darauf Fotograf Heinz Hendel das WP-Team, das in dieser Konstellation über viele Jahre gemeinsam für den Nachrichtenfluss in den Ruhrstädten sorgte.

2009 wurde die WP-Lokalredaktion geschlossen – die WR übernahm nicht nur die Federführung am Ort, sondern auch mich als Redakteurin. Nach vier Jahren kehrte die WP mit eigener, vergrößerter Redaktionsmannschaft zurück ins Ruhrtal – und ich zurück zu meinen WP-Wurzeln.

Klaus Görzel: Vom Leser zum Schreiber

Meine Liebe zur Zeitung kam in den letzten Jahren der Schule. Auch wenn es erst eine Liebe zum Lesen war: Eine Mitschülerin war Botin für WR und WP, und meist hatte sie ein Reserve-Exemplar über. Fortan bestanden die Pausen aus Lektüre. Die Stadt, das Land, die Welt – ich war immer auf Stand.

Mit Bart, Latzhose und Stabblitz: Klaus Görzel in den 80ern.
Mit Bart, Latzhose und Stabblitz: Klaus Görzel in den 80ern. © Unbekannt | Privat

Eine andere Mitschülerin wollte Journalistin werden. Ich nicht. Beim Praktikum in der Lokalredaktion brauchte sie jemanden, der zu ihren Texten die Fotos lieferte. Ich war dabei – und gefangen für Jahrzehnte. Ja, ich lernte das mit dem Fotografieren. Bitter war’s anfangs mit dem Würfelblitz, der auf die Kamera gesetzt wurde und nach vier Mal auslösen auch schon aufgebraucht war. Aber mit einem ordentlichen Stabblitz ging’s schon besser. Ja, ich fing auch mit dem Schreiben an. Schließlich dauerte das Praktikum der Mitschülerin nicht ewig, und ich hatte ausreichend Blut geleckt.

Andere fingen an zu studieren und wurden fertig. Ich fing auch an zu studieren – und arbeitete am liebsten in den Semesterferien und an den Abenden und am Wochenende in der Redaktion. Irgendwann war auch ich mit meinem Lehramtsstudium fertig, um sogleich als Volontär bei der Zeitung anzufangen. Lange ist’s her.

Viel habe ich dazu gelernt. Anderes wie die manuelle Einstellung beim Blitzen ist nicht mehr verlangt. Vor wenigen Jahren habe ich mir trotzdem noch mal einen gebrauchten Stabblitz von damals gekauft. 25 Euro statt 198 Mark. Bei Spaete in Herdecke. Aber auch der Laden ist schon wieder Geschichte.

Steffen Gerber: 10 Mark zum Einstieg und die Sonne Andalusiens

Die Jahrtausendwende. Der Student Steffen Gerber befand sich ab Herbst 1999 und bis zum Frühsommer 2000 in seinem Auslandssemester im schönen Sevilla. Tolle Zeit, geile Stadt, noch bessere Umgebung. Die harte Arbeit hielt sich, nun ja, in Grenzen. Eher fürs Leben lernen. Aber irgendwas fehlte. Heimweh? Ging so. Nein, der Journalismus war nicht da.

Am 30. August 2000 erschien in der Westfalenpost auf der Seite „Hochschule
Am 30. August 2000 erschien in der Westfalenpost auf der Seite „Hochschule" ein Bericht von Steffen Gerber über seine Auslandserfahrungen als Student in Sevilla. © Unbekannt | Archiv

Der Einstieg in diese Branche erfolgte im Herbst 1995. Nach dem Abitur an der FHS Herdecke sah die Welt auf einmal ganz anders aus. Zivildienst – ein guter Start ins Berufsleben. Aber da ging noch mehr. Ein Kumpel berichtete, dass die Lokalsportredaktion Hagen Freie Mitarbeiter für die Handball-Berichterstattung suchte. Anruf, abgemacht. Testweise mal ein Turnier in der Bleichsteinhalle verfolgen, der heimische Zweitbundesligist TSG trainierte den Ernstfall für die neue Saison. Vorbereitungsspiele am Samstag und Sonntag. Zwei volle Tage lang Ergebnisse und Erkenntnisse an die Zeitungsredakteure per Telefon durchgeben (beim Hausmeister stand ein Apparat mit Wählscheibe). Dann die Abrechnung für das gesamte Wochenende: satte 10 Mark. Wow, reich werden dann wohl eher andere...

Egal, die Probearbeit hatte den Appetit angeregt. Es folgten viele Texte – für Bilder sorgten damals noch fast ausschließlich Fotografen – sportlicher Natur, hinzu kamen Beiträge für die damalige Jugendbeilage Cocktail und den Freizeitteil. Passende Stichworte als Übergang zu besagten Monaten im südeuropäischen Andalusien.

Rückkehr ins regnerische Ruhrgebiet. Fertig studieren. Und vor allem wieder für die Zeitung schreiben. Geld für die Miete und den Lebensunterhalt verdienen, nun durchaus passable Summen. Nebenbei arbeiten. Das hatte manchmal zur Folge: nebenbei studieren. Denn die Stunden in der Hagener Westfalenpost-Zentralredaktion (oft im Hauptsport) summierten sich. Konzertbesuche – von Robbie Williams über die Kelly Family mit vielen bösen Leserbriefen angesichts eines etwas ironischen Berichts bis hin zu Metallica – oder Rezensionen über Stücke im Bochumer Schauspielhaus hellten den Uni-Alltag auf.

2005 Volontariat. Kirchensanierung in Soest, betrunkene Schützen in Olpe, Niederlagen in Siegen für Windkraftgegner – nach diesen Stationen stand 2006 die Fußball-WM im eigenen Land an. Es war wirklich ein (journalistisches) Sommermärchen vor der Haustür, auch wenn das politisch nicht mehr korrekt ist. Es folgten Lokalredaktionen. Erst im Ennepe-Ruhr-Südkreis, dann Online-Erfahrungen, Redaktion Dortmund. Schließlich Wetter/Herdecke. Im Jahr 2000 nicht absehbar. Da galt die Studentenattitüde locker-in-den-Tag-hinein-leben. In Andalusiens Sonne reifte ein neues Motto: eines-Tages-mal-Journalist-werden.

Jürgen Potthoff: Goliath schlägt David standesgemäß

Man merkt sich ja nicht gerade viel, was man als Journalist so geschrieben hat. Schon gar nicht wortwörtlich. Aber diesen Artikelanfang kann ich heute noch herbeten:

„Dass ich im 7. Zug dem Weltmeister Schach geboten habe, das werde ich noch meinen Enkeln erzählen. Dass ich im 16. Zug matt war, nun ja...“

Enkel habe ich noch nicht. Aber auch meine beiden Söhne, die besser Schach spielen als ich, kennen die Geschichte auswendig: Wie Papa als junger Journalist für die Westfälische Rundschau bei einem Simultanturnier gegen Weltmeister Garri Kasparow antrat. Seit Davids Gefecht gegen Goliath war nie mehr ein Kampf so ungleich wie jener im April 1992 in der Spielbank Hohensyburg. Den aber hat Goliath gewonnen.

Jürgen Potthoff im Schaukampf mit Schachweltmeister Garri Kasparow.
Jürgen Potthoff im Schaukampf mit Schachweltmeister Garri Kasparow. © WR | Franz Luthe

Garri Kasparow war damals zu Gast bei den Dortmunder Schachtagen und unserer Redaktion war angeboten worden, einen Platz bei einem Simultan-Schaukampf mit dem russischen Großmeister zu besetzen. „Wer möchte?“ Schweigen in der Redaktionskonferenz….

Aber eigentlich …. was hatte ich schon zu verlieren? Ich war jung, ich war selbstbewusst und kurz darauf war ich matt – jedoch um eine dieser Erinnerungen reicher, die unseren Journalistenberuf immer noch zu einem der schönsten machen.

Gelebt und ausgekostet habe ich diesen Beruf zunächst 23 Jahre lang bei der WR in meiner Heimatstadt Dortmund. Lokalredaktion. Landesredaktion. Das waren die Stationen. Oft ging es auch um Sport, immer da, wo er bunt wurde. Ich habe über Fans aus aller Welt bei der Fußball-WM 2006 berichtet, über Borussia Dortmunds diverse Meisterfeiern. 2013 habe ich das Team gewechselt und bin zur WP gegangen. Seither sorge ich am Hagener Südwestfalendesk mit dafür, dass die Zeitungsseiten der Ausgabe Wetter/Herdecke gut gestaltet, gut lesbar, möglichst fehlerfrei und in den Themen ansprechend gewichtet sind. Dass etwa auch Unterhaltsames und Historisches nicht zu kurz kommen.

Axel Gaiser: An der Torwand fing alles an

Der Aufkleber hinten auf dem reichlich vergilbten Schwarzweiß-Foto gibt näher Aufschluss. Erscheinungstag: 29.9.1971, Größe: 3spaltig, Titel: Ball, Ausgabe: Hagen – die Anweisungen für das Druckhaus waren konkret. Das war vor einem halben Jahrhundert mein erster Kontakt mit der Westfalenpost, als Neunjähriger und Motiv für WP-Fotografin Helga Reiher. Beim Weltkinder-Tag im Hagener Volkspark hat sie mich beim Schuss auf die Torwand erwischt. Mit perfekter Schusshaltung sicher, doch der Trainingsanzug mit dem Schalke-Logo hätte schon ein Indiz dafür sein können, dass es mit der angestrebten Profi-Karriere doch nichts wird.

Der Erstkontakt mit der Zeitung: Vor 50 Jahren wird Sportredakteur Axel Gaiser von WP-Fotografin Helga Reiher beim Schuss auf die Torwand in Hagen fotografier
Der Erstkontakt mit der Zeitung: Vor 50 Jahren wird Sportredakteur Axel Gaiser von WP-Fotografin Helga Reiher beim Schuss auf die Torwand in Hagen fotografier © WP-Archiv | Helga Reiher

Die Leibesübungen blieben jedoch zentraler Bestandteil für mich, nach Lehramtsstudium – ein Fach war natürlich Sport – und Volontariat bei der WP ab dem 1. Januar 1993 in der Hagener Lokalsport-Redaktion. 27 Jahre war ich dort als Redakteur tätig, zwischen Fußball-Kreisliga und Basketball-Europacup, jungen Nachwuchs-Talenten und Senioren-Gymnastik. Und immer wieder mit Kontakt nach Herdecke und Wetter, vom deutschen Handball-Endspiel der Ender D-Jugend 1994 über diverse Ruhrbike-Festivals bis hin zu Kanu-Regatta oder Nikolauslauf.

Besonders auf diese sportlichen Groß-Ereignisse habe ich mich auch gefreut, als ich vor einem Jahr in die Lokalsportredaktion nach Wetter gewechselt bin. Bisher wurde nichts draus, die Corona-Pandemie erzwingt andere Themen. Doch demnächst geht es bestimmt wieder mal zum Bleichstein. Auch da war ich vor 50 Jahren als Kind zum ersten Mal. Als Stan Libuda und die Schalker auf die TSG Herdecke trafen.