Herdecke. Architektur-Student Elias Sturm aus Herdecke baut in seiner Heimatstadt nahe der Ruhr Wein an. Gute Zwischenbilanz und Pläne für zweiten Hang.
Kühne Optimisten können schon mal einen neuen Schlagertext nach einer bekannten Udo-Jürgens-Melodie anstimmen: „Herdecker Wein ist so wie das Blut der Erde, komm schenk dir ein...“ Doch der junge Mann, der dafür verantwortlich sein könnte, mahnt wegen Unwägbarkeiten zur Zurückhaltung. Dabei sprüht Elias Sturm vor Energie, wenn er über sein besonderes Projekt nahe der Ruhr spricht.
Der gebürtige und bekennende Herdecker studiert Architektur im vierten Semester an der Fachhochschule Dortmund. Und hat ein ungewöhnliches Hobby. Nach Fachabitur und Ausbildung (bautechnischer Assistent) zog es ihn 2019 für ein sechsmonatiges Praktikum nach Italien. „Ich wollte mal raus.“ Da seine Familie Verbindungen nach Bardolino hat und er Unterstützung über das Studenten-Programm Erasmus bekam, landete er bei einem Biowinzer am Gardasee. „Ich kam dort ohne Wein-Vorbildung an, hatte zuvor nur hier und da mal ein Gläschen oder auch mehr getrunken“, sagt Sturm. In Venetien kam der heute 21-Jährige im wahrsten Wortsinn auf den Geschmack.
Grundstück des Onkels Michael Kranz
Nach dem halben Jahr, vielen Einblicken in die Praxis und Ernte-Erfahrungen las Elias Sturm anschließend viel Fachliteratur. Im Winter 2019/2020 kam die Idee: „So schwierig kann ein eigener Weinanbau nicht sein.“ Die Suche nach einem passenden Grundstück in seiner Herdecker Heimat endete am Gerhart-Hauptmann-Weg. Sein Onkel Michael Kranz (manchen als Vorsitzender des hiesigen Segelvereins am Viadukt bekannt) bot ihm auf seinem Grundstück einen Hang in Südwestlage an. So begann das eher exotische Experiment.
Der Neffe begann mit den Vorbereitungen. Kaufte Bücher zum Weinanbau. Telefonierte mit Experten. Nahm Bodenproben und schickte die nach Internet-Recherchen in ein Labor. Ergebnis: Das kann funktionieren. Im Frühjahr 2020 holte Sturm Pferdemist von einem Bauern als Dünger. Und bestellte 115 Weinreben, um davon 99 mit einigen Freunden in einer anstrengenden 15-Stunden-Aktion am Gerhart-Hauptmann-Weg zu setzen. „Das ist für Privatleute ohne ein größeres Pflanzrecht gesetzlich so vorgegeben. Hintergrund sind europäische Richtlinien, da auf diesem Kontinent zu viel Wein angebaut wird.“
Rebsorte mit Widerstand
Elias Sturm pflanzte in Herdecke eine pilzwiderstandsfähige Rebsorte an. Der gemischte Boden nahe des Flusses im Ruhrsandsteingebirge sei auch wegen des Kalkschiefergehalts brauchbar.In weiteren, kleineren Versuchsanlagen probiert der 21-Jährige den Anbau von Weißwein aus. Der wird aller Voraussicht nach trocken und spritzig schmecken. „Und ist gut für den Feierabend geeignet.“Bei Recherchen fand Elias Sturm heraus, dass es im 18. Jahrhundert in Ende am heutigen Kallenberger Weg einen Weinanbau für das damalige Kloster gab.
In diesem Frühjahr fuhr Elias Sturm zu einem einmonatigen Praktikum bei einem großen Winzer ins Rheingau. Und lernte erneut viel über ökologischen Anbau. Zurück in Herdecke, schickte der Student erneut Bodenproben von seinem Hang ein. Die fielen ebenso erfreulich aus wie die Entwicklung seiner Pflanzen nach einem Jahr. „Starker und guter Austrieb, so wie erwünscht. Der häufige Regen hat meinem Weinberg gut getan.“ Ein kleiner Wildschaden an sechs Reben und etwas Verbiss durch Rehe falle kaum ins Gewicht.
Noch sei alles nicht tief genug verwurzelt. Daher rechnet der 21-Jährige mit einer Ernte der Trauben, die sich aber bereits abzeichnen, erst 2022. „Fachleute sagen, dass eine Rebe ungefähr eine Flasche Wein ergeben kann. Im ersten Jahr sollte man aber nur auf 50 Prozent hoffen.“ Wenn mit dem ökologischen Anbau glatt läuft, könnte es in Zukunft einen Regent-Rotwein der Marke „Project: Vino“ (so der Titel) geben. Auf seinem Versuchsfeld komme natürlich keine Chemie zum Einsatz, sondern nur natürliche Spritzungsmittel wie zum Beispiel Brennnesseln-Tee.
Kontakt zu Industriedenkmal-Stiftung
Das Ziel? Einen eigenen Wein herstellen. Der Geschmack? Trocken, elegant. Die Erwartungshaltung? Gedämpft. „Mal gucken, was daraus wird. Wenn aus diesem einen Hang mehr werden sollte, bräuchte es Hilfe von Fachleuten“, so Sturm.
Dabei hat der Hobby-Winzer eine Fortsetzung im Blick. Während des Rheingau-Praktikums kam ihm der Gedanke, in Herdecke eine zweite Fläche zu suchen. Fand aber nichts. Also fragte er bei der Stadtverwaltung an. Ein Mitarbeiter schlug einen Hang auf hiesigem Stadtgebiet vor, wobei es sich um ein Grundstück der auch hier bekannten Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur handelt. Mit deren Verantwortlichen traf sich Elias Sturm kürzlich, die stuften seine Weinanbau-Präsentation als „sympathische Idee“ ein. Weitere Gespräche, Untersuchungen und Verhandlungen werden zeigen, ob sich das ausgewählte Areal wirklich für eine Bepflanzung eignet.
Leidenschaft ausleben
Immer mehr Herdecker, so Sturm (weiterhin aktives Mitglied im heimischen Kanuclub), sprechen ihn bereits auf sein Hobby an. „Manche fragen sogar schon, wann sie meinen Wein kaufen können. Das ist noch ein langer Weg. Mir geht es zuvorderst darum, meine Begeisterung für diese Kultur auszuleben und das dazugehörige Lebensgefühl auch hier hin zu bringen.“
Natürlich sei das Ruhrgebiet keine klassische Gegend für den Rebstock-Anbau. Andererseits handele es sich um ein erlernbares Handwerk, in das sich Elias Sturm hineingearbeitet hat. Wein aus Herdecke – das ist für ihn keine Utopie mehr. „Komm schenk dir ein...“