Hagen-Emst. Mit einem Liebesbrief an ihre liebgewonnene Heimat verabschieden sich die Bewohner der Elmenhorststraße voller Wehmut von ihrem Zuhause.
Die Elmenhorststraße, einst voll Leben,
hat uns Heimat und Schutz gegeben.
In ihren Mauern wuchs die Zeit,
voll Freude, Leid und Zärtlichkeit.
Wo Kinder lachten, Feste blühten,
und Nachbarn ihre Sorgen hüteten,
fließen nun Tränen – stiller Schmerz,
für all das, was wir halten im Herz.
Der Gartenzaun, das alte Tor,
sind Zeugen von dem, was längst verlor’.
Doch selbst wenn Steine niederfallen,
bleibt uns das Miteinander in uns allen.
Die Straßen weichen, doch nie vergeht
das, was in unseren Herzen steht.
Nein, hier ist nicht urplötzlich ein längst vergessener Heimatdichter wieder aufgetaucht, der seine Liebe zur Elmenhorststraße in Reime gegossen hat. Diese Poesie wurde mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) generiert. Sie mag zwar etwas hölzern klingen und erhebt keinerlei Anspruch, Kandidat für einen Lyrikpreis zu sein. Doch diese Verse beschreiben dennoch in komprimierter Schlichtheit eine Gefühlswelt, deren Fundamente für die Bewohner der unteren Elmenhorststraße keine Zukunft mehr haben. Denn der Abrissbagger wird in den kommenden Jahren eine etwa 100 Jahre alte, den meisten Hagenern unbekannte Siedlung irgendwo im Nirgendwo zwischen Delstern und Emst verschwinden lassen, die über Generationen ihre Bewohner zusammengeschmiedet und beschützt hat.
Millionen-Invest in zwei Etappen
20 Millionen Euro nimmt die Hagener Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft (HGW) in den nächsten Jahren in die Hand, um die bestehenden elf Mehrfamilienhäuser in zwei Etappen abzureißen und durch neun moderne Wohnobjekte zu ersetzen. Doch bevor es richtig losgeht, möchte HGW-Geschäftsführer Alexander Krawczyk gemeinsam mit den Bewohnern in der Elmenhorststraße noch ein Abschiedsfest auf die Beine stellen. Eine letzte Sause, bei der gegessen, getrunken, geschnackt und gelacht wird, aber neben der Schaufel des Abrissbaggers sicherlich auch das ein oder andere Tränchen sich kaum vermeiden lässt.
Zunächst werden im kommenden Jahr die fünf unteren Wohnblocks der Elmenhorststraße abgerissen. Die erforderlichen Bauanträge für vier dort neu entstehende Immobilien sind bereits raus. Der Spatenstich soll nach Möglichkeit im Frühjahr 2025 erfolgen, sodass im Herbst 2026, so die ambitionierte Planung von Krawczyk, dann die ersten Mieter in die 75 bis 111 Quadratmeter großen Wohnungen mit Balkonen einziehen können.
Darunter werden sicherlich auch einige Bewohner der oberen sechs HGW-Häuser aus den 1920er-Jahren sein, die bis dahin ja ebenfalls ihr Zuhause räumen müssen, um für die zweite Phase des Projektes das Feld für den Abrissbagger freizugeben. Hier entstehen im Gegenzug wie an einer Perlenkette entlang der unteren Elmenhorststraße fünf weitere Punkt- und Zeilenhäuser. Insgesamt lässt die HGW damit auf einer Gesamtwohnfläche von gut 7000 Quadratmetern nach derzeitigem Stand 84 Wohneinheiten errichten. Einschließlich einer Souterrain-Etage entstehen in der Hanglage viergeschossige, energetisch auf Klimaneutralität ausgerichtete Gebäude. Der Mietpreis wird mit 9,50 Euro/qm veranschlagt.
Nach anfänglicher Enttäuschung und Wut über die Entscheidung bleibt bei den Mietern, die jetzt alle auseinandergerissen werden, lediglich noch Trauer und Wehmut: „Wer selbst dort nicht gelebt hat, kann das kaum nachvollziehen. Die Häuser mögen alt und gammelig sein, aber das Miteinander ist bis heute frisch und innig. Wir sind dort wirklich eine Familie“, signalisieren die Bewohner unisono.
Wirtschaftlich ohne Zukunft
Der Grund für die Planierung eines kompletten Straßenzuges klingt ebenso schlicht wie nachvollziehbar: Die Hagener Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft (HGW) als Besitzer der Mehrfamilien-Objekte sieht angesichts des baulichen Zustandes und der Grundrissschnitte der Einheiten keine wirtschaftliche Perspektive mehr, diese Bausubstanz weiter zu erhalten. Denn aus den 25 bis 65 Quadratmeter großen Einheiten entstehen in den Augen der HGW auch durch Zusammenlegungen keine marktgerechten Wohlfühloasen.
Die elf maroden Mehrfamilienhäuser sollen in zwei Etappen zeitgemäßen Objekten weichen. Gut für den Hagener Mietwohnungsmarkt, aber eben ein Stich in die Herzen der bis zuletzt verbliebenen HGW-Mieter. Aufgewühlt und mit Tränchen in den Augenwinkeln schleppen diese zurzeit Woche für Woche ihr Hab und Gut in die Umzugswagen, um zumindest übergangsweise, aber weit verstreut an anderen Orten zarte Wurzeln zu schlagen.
Quartier der Schmuddelkinder
Ein Schritt, den in der verschworenen Elmenhorststraßen-Gemeinschaft niemand wirklich gewollt hat. Oft wurden die Bewohner – sicherlich auch mit einem Schuss gesunder Arroganz der oft besser betuchten Emster oben vom Berg – als die „Schmuddelkinder“ des Quartiers angesehen. Doch genau diese Stigmatisierung festigte über all die Jahrzehnte eher den Zusammenhalt der Menschen, deren Eltern und Großeltern schon oft dort lebten.
Als die Mehrfamilienhäuser in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts errichtet wurde, war die Elmenhorststraße noch eine Staubpiste. An die heute schickeren Ecken von Emst war seinerzeit nicht zu denken. Es gab keine weiteren Anwohner. Ringsum dominierten die Felder und das Grün – an den heute angrenzenden Kleingartenverein Elmenhorst war nicht einmal zu denken. Damals wurde die Flurbezeichnung „Horst“, die ursprünglich auf ein Gehölz und/oder Feuchtgebiet hinweist, ihrem Wortsinn noch gerecht.
„Für viele Menschen warst du immer nur ein Schandfleck, doch für uns, Deine Bewohner, die das Privileg hatten, hier aufwachsen und leben zu dürfen, warst Du etwas ganz Besonders, ein Schatz, ein Rückzugsort, ein Schutzraum und vor allem eine Heimat.“
Heimat und Zuhause
Aber es ist keineswegs eine nostalgisch-sentimentale Verklärtheit, die den Abschied für die Bewohner heute so schmerzvoll macht. Vielmehr ist es die gefestigte Symbiose aus Heimat und Zuhause: Man ist hier aufgewachsen, fühlt sich zugehörig, hat eine eigene Identität entwickelt und zugleich Gefühle der Geborgenheit, Sicherheit, Zufriedenheit, Unbeschwertheit und Gemütlichkeit empfunden. Die Menschen sind hier verwurzelt, man ist unter Gleichen, sozial eingebunden, hat nichts zu befürchten und zieht daraus wiederum Stärke und Bewusstsein. Ein Gefühlsmix aus Seelenfrieden, Zufriedenheit, Lebensglück und Unbeschwertheit. Ein Kraftplatz, an dem man sich gut aufgehoben und zugleich frei fühlt. Ein Universum des Miteinanders, wie es am Ende eben nur die Elmenhorster selbst nachempfinden können.
Oft haben die Bewohner in den letzten Wochen ihres nachbarschaftlichen Daseins gemütlich zusammengesessen, auf die vergangenen Jahrzehnte geblickt und in Erinnerungen geschwelgt. Entstanden ist daraus ein sentimentaler, aber von Herzen kommender Abschiedsbrief, adressiert an eine Straße, der viel Rückbesinnung und Anekdoten bündelt, aber nur das „Wir“ als namentlichen Absender kennt. „Für viele Menschen warst du immer nur ein Schandfleck, doch für uns, Deine Bewohner, die das Privileg hatten, hier aufwachsen und leben zu dürfen, warst Du etwas ganz Besonders, ein Schatz, ein Rückzugsort, ein Schutzraum und vor allem eine Heimat“, heißt es dort. „Wir hatten die schönste Zeit in der für uns schönsten Straße“, wird hier ein Zuhause als wahrer Freund skizziert.
Abenteuerwelt für Kinder
Die Kleinsten erlebten die Elmenhorststraße mit ihren Grünzonen und stattlichen Bäumen zwischen den Häusern sowie den Wäsche- und Teppichstangen vorzugsweise als einen großen Abenteuergarten zum Spielen und Feiern, ein Parkett für Unsinn und Streiche, Klingelmännchen-Eskapaden oder als Bauplatz für Buden und Iglus. „Wir hatten in dieser Straße eine unglaubliche Zeit“, erinnern sich die mit den Häusern in die Jahre gekommenen Generationen voller Glückseligkeit an ihre Kindheitstage zurück: „Jede freie Zeit verbrachten wir miteinander. In jedem Winter sind wir auf unserer ,Todesbahn‘ Schlitten gefahren und in jeder Kurve umgekippt, wir haben Schnitzeljagden veranstaltet, Tarzan auf unserem Berg nachgeeifert und vor unseren Häusern Gummitwist gespielt. Der Kletterbaum war stets ein Treffpunkt, um sich zu verabreden oder nach einem Streit wieder zu versöhnen. Von hier aus haben wir den Jugendlichen hinterher spioniert, wenn sie sich zum Rauchen, Fummeln oder Knutschen in geschützte Ecken verdrückten. Wir haben uns gegenseitig das Fahrradfahren beigebracht und uns am Heiligen Abend nach der Bescherung mit unseren Geschenken getroffen.“
Bei Wind und Wetter trieb es die Kinder-Generation vor die Türen, und die Mädchen und Jungen kehrten oft erst zurück, wenn die Dunkelheit hereinbrach, sie vom Regen durchnässt waren und die Klamotten – zum Leidwesen der Mütter – vor Dreck standen. Es gab Löcher im Kopf zu verarzten, gebrochene Arme zu beklagen, Schneeballwürfe in offenstehende Fenster, lange Schlangen am Eiswagen und kreative Freiluft-Spiele, die heute kein Kind mehr kennt. „Wir hatten in dieser Straße eine unglaubliche Zeit. All die Abenteuer, die wir erleben durften, sind unbezahlbar, und all das haben wir dir, liebe Elmenhorststraße, zu verdanken.“
Höhen und Tiefen geteilt
Doch dabei blieb es meist nicht. Aus Kindheitsfreunden wurden Erwachsene, aber die Verbundenheit untereinander sowie zu dem vertrauten Straßenabschnitt blieb: „Sehr viele von uns sind hier groß geworden, haben in dieser Straße ihre eigene Familie gegründet oder neue Generationen zogen zurück. Für manche war es auch das allererste und für ein paar von uns sogar das letzte Zuhause ihres Lebens“, heißt es in dem Abschiedsbrief, der sogar an einen romantischen Heiratsantrag im Schnee erinnert. „Jeder kannte sich. Wir haben zusammen getrauert, Geburtstage und Hochzeiten gefeiert, Familien- und Kinderfeste veranstaltet oder es einfach beim Sommerfest mit Live-Musik mal ordentlich krachen lassen! Und so manche Party war erst vorbei, als es schon hell wurde.“
Wer sich auch immer um die Wohnhäuser herumbewegte, traf am Gehweg, am Fenster oder einem der angrenzenden Gartenzäune einen Nachbarn für ein Schwätzchen und den neuesten Tratsch. Wenn’s passte, gab’s gerne auch mal einen Kaffee oder ein Würstchen vom Grill dazu. Was manch einer als zu enges, gar penetrantes Miteinander empfinden könnte, entwickelte sich hier zu einem harmonischen, sozialen Zweckbündnis gepaart mit einer Kultur der Herzlichkeit, in der jeder auf den Nächsten aufpasste sowie stets offene Arme und Ohren zur Verfügung stellte.
„Niemand konnte sich jemals vorstellen, woanders zu leben“, formulieren die letzten Elmenhorster in ihrem Abschiedsbrief an ihre Heimatstraße, die für sie nie ein Schandfleck war. „Hier gab es alles: Liebe, Freude, Leid, Trauer – ein Schmelztiegel der Emotionen – aber vor allem viele wertvolle Freundschaften. Letztlich waren es stets die Menschen und ihr Zusammenhalt, die diese Straße zu etwas Besonderem machten. In dieser Straße wuchsen Fremde zu einer großen, einzigartigen Familie zusammen. Was wir hatten, bleibt einzigartig!“ Oder wie die KI von ChatGPT reimen würde:
In der Elmenhorststraße, wo Heimat erwacht,
wird Zuhause zum Ort, der uns glücklich macht.
Wo Gemeinschaft im Herzen, im Miteinander blüht,
und das Wohlfühlen durch alle Räume zieht.