WP-Serie „Unter einem guten Stern“: Die Stadt versucht mit unterschiedlichsten Formaten gegen Judenhass vorzugehen. Ein Überblick.
Was ist geblieben nach der großen öffentlichen Betroffenheit nach dem vereitelten Anschlag auf die Hagener Synagoge im Herbst 2021? Und wie positioniert sich diese Stadt nicht zuletzt nach dem grauenvollen Massaker, dass Hamas-Terroristen Feiernden im Süden Israels am 7. Oktober angetan haben? Was tut Hagen, um dem Thema Antisemitismus zu begegnen? Und bekommt der Judenhass in dieser Stadt überhaupt ein Forum, damit gegen ihn gearbeitet werden kann?
Zum ersten Mal seit all den Jahren, in denen Städte wie Hagen - oft den gleichen Abläufen folgend - der Judenverfolgung gedachten, wird die Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht in einem neuen Konzept in Hagen durchgeführt. Die Stadt möchte insbesondere junge Menschen aktiver einbinden. Das deckt sich im Übrigen mit dem Antisemitismus-Projekt, das diese Zeitung im Rahmen dieser Serie „Unter einem guten Stern“ gemeinsam mit dem Fichte-Gymnasium und dem Hildegardis-Gymnasium durchführt. Der Fokus richtet sich dabei auf jene, die in Zukunft Begegnungen untereinander schaffen. Die die Zukunft des Miteinanders in dieser Stadt sind.
Der Fokus nun auf Schülern
Die Stadt erklärt, dass der Perspektivwechsel nicht zuletzt ein Wunsch von Oberbürgermeister Erik O. Schulz gewesen sei. Ein Arbeitskreis „Gedenk- und Erinnerungskultur in Hagen“ wurde gegründet, dem rund 50 Hagener Einrichtungen (Schulen, Religionsgemeinschaften, Künstlervereinigungen, Theater Hagen, Allerwelthaus, verschiedene städtische Fachbereiche und viele andere) angehören. Dieser Arbeitskreis hat eine Reihe von Veranstaltungen rund um den 9. November - den Erinnerungstag an die Novemberpogrome - entwickelt. „Derzeit befindet sich ein Flyer in Vorbereitung, in dem alle Veranstaltungen aufgelistet sein werden. Hauptansatz ist die Gedenkveranstaltung am 9. November, welche diesmal auf einer Bühne auf dem Friedrich-Ebert-Platz stattfinden wird (Beginn 18 Uhr) und die sich hauptsächlich aus Programmpunkten zusammensetzen wird, die von Hagener Schulen konzipiert und umgesetzt werden“, erklärt die Pressestelle der Stadt Hagen. Auch diese Zeitung wird die Termine und Orte veröffentlichen.
Gaza-Krieg mit den Schülern besprechen
Alle Schulformen und alle Stadtbezirke werden beteiligt sein. Möglich werde dieses neue Veranstaltungsformat durch eine finanzielle Unterstützung durch die Antisemitismusbeauftragte des Landes NRW. In Kooperation mit dem Allerwelthaus würden schon seit Jahren regelmäßig Workshops der „Zweitzeugen e.V.“ an Schulen stattfinden. Zudem setze sich das Netzwerk „Schule ohne Rassismus- Schule mit Courage“ gegen jegliche Form von Ungleichheitsdenken ein. „Antisemitismus ist somit eine Form der Diskriminierung von vielen, die es zu thematisieren gilt. Die Lehrkräfte wurden dringend dazu angeraten, den Gaza-Krieg mit den Schülern zu besprechen. Handlungsempfehlungen für Lehrkräfte von Prof. Karim Fereidooni wurden weitergeleitet und auf Beratungsstellen verwiesen. Es wird also Aufklärungs- und Präventionsarbeit geleistet“, so die Stadt Hagen.
„Blinde Flecken“ sichtbar machen
In Zusammenarbeit mit der „Antidiskriminierungsberatung und Intervention bei Antisemitismus und Rassismus“ - kurz: Adira - und dem deutschen Gewerkschaftsbund NRW wurden in diesem Jahr vom Kommunalen Integrationszentrum Workshops für Lehrkräfte angeboten zum Thema Antisemitismus. „Blinde Flecken aufdecken“ – unter diesem Titel organisierte das Kommunale Integrationszentrum (KI) der Stadt zuletzt einen Workshop für interessierte Hagener im Rathaus an der Volme. Ziel war es, durch eine Verknüpfung und Gegenüberstellung der unterschiedlichen Ausprägungen von Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus die oft nicht reflektierten und nicht bewussten Deutungsmuster – also die „blinden Flecken“ – sichtbar zu machen und somit einen Perspektivwechsel zu fördern, was aufgrund der aktuellen gesellschaftlichen Spannungen besonders von Bedeutung ist. Die Veranstaltung fand im Rahmen der interkulturellen Woche statt. Für den ersten Aufschlag nahmen 16 Bürger teil.
Das Projekt „Gegen das Vergessen“
Caritas und Stadt haben bereits Anfang des Jahres das Projekt „Gegen das Vergessen“ zur Aufarbeitung behördlicher Gräueltaten während der NS-Diktatur gestartet. Bislang - so die Stadt - fehlt in Hagen eine angemessene Erinnerung an jenes Unrecht, das Menschen mit einer Behinderung während der nationalsozialistischen Diktatur erfahren haben. Hierzu gehören die behördlich verfügte Patiententötung, die Zwangssterilisation sowie die Zwangsabtreibung. Auch andere marginalisierte Gruppen wie Homosexuelle, Wohnungslose sowie Sinti und Roma wurden durch die Behörden verfolgt.
20 Israelis leben in Hagen
Die Stadt Hagen kann auf Anfrage der Redaktion nicht sagen, wie viele Menschen jüdischen Glaubens in Hagen leben. Die jüdische Gemeinde, die zu einem späteren Zeitpunkt dieser Serie noch Thema sein wird - ist derweil 250 Mitglieder. ihr Einzugsgebiet erstreckt sich allerdings bis nach Südwestfalen. Immerhin: 20 Menschen mit israelischer Staatsangehörigkeit leben in Hagen. Menschen mit Staatsangehörigkeiten aus dem Nahen Osten - eine geographische Bezeichnung, die für arabische Staaten Vorderasiens und Israel verwendet wird - gibt es viele in Hagen: 7577 Syrer, 838 Iraker, 541 Iraner, 297 Libanesen, 133 Ägypter, 157 Jordanier und eben 20 Israelis. Die Zahlen geben nur die Träger der Staatsangehörigkeit wider. Verwandte oder Kinder, die möglicherweise schon die deutsche Staatsbürgerschaft haben, sich den Nationalitätskreisen aber kulturell und gefühlsmäßig zugehörig fühlen, wird es noch viel mehr geben.
Menschen also, die sich vom Nahost-Konflikt betroffen oder berührt fühlen, leben gemeinsam im Hagener Stadtgebiet. Auch das, das wird diese Serie noch zeigen, sorgt für Konflikte, Vorbehalte, Zurückhaltung und Ressentiments. Jüdische Bürger beklagen schon seit über zehn Jahren, dass der Konflikt nicht weit weg sei, sondern sich in der Hagener Realität auch vor ihrer Haustür abspiele. Auch darauf wird das Format „Unter einem guten Stern“ noch eingehen.