Hagen. Über Kosten für den Rückbau des stillgelegten Kernreaktors in Hamm herrscht Streit. In Hagen ist die Mark-E als Gesellschafter mit im Boot.
Nie stand auf Hagener Boden ein Atomkraftwerk, doch ein hiesiges Energieunternehmen hat die Technik einst fleißig mit vorangetrieben - und ein Urteil vom Landgericht Düsseldorf erinnerte jüngst an die Altlast. Denn Versorger Mark-E sitzt als Anteilseigner in der Betreibergesellschaft eines stillgelegten Kernkraftwerks in Hamm-Uentrop, das jedes Jahr einige Millionen Euro verschlingt und in Zukunft zurückgebaut werden soll.
Das Landgericht urteilte Ende August, dass die Betreiber für die Kosten des Rückbaus aufkommen müssen. Diese Kosten bezifferte das Land NRW vor vier Jahren auf rund 753 Millionen Euro. Mittlerweile ist die Rede von mehr als einer Milliarde Euro. Wird auch die Mark-E zur Kasse gebeten?
Keine Folgen für Mark-E
Mit dem Urteil kämen nicht direkt Kosten auf die Gesellschafter zu, betont Andreas Köster, Sprecher Mark-E, auf Anfrage. „Das Gericht hat entschieden, dass die Verantwortung für den Rückbau nicht beim Land NRW bzw. Bund liegt, sondern bei der Gesellschaft Hochtemperatur-Kernkraftwerk GmbH“, so Köster. „Eine Haftung von Mark-E als Gesellschafter der HKG lässt sich aus dem Urteil aber nicht entnehmen.“
Diese Schlussfolgerung teilt auch Dirk Warnecke, Finanzministerium NRW. „Zweck einer GmbH ist es normalerweise, Gesellschafter abzuschirmen“, sagte Warnecke im Wirtschaftsausschuss des Landtages. Auch die Betreibergesellschaft nimmt in einer Mitteilung seine Gesellschafter aus der Ziellinie. Diese seien über die bereits geleisteten Beiträge hinaus nicht zu weiteren Zahlungen verpflichtet.
Versuchsreaktor aus 1980ern
Zum Hintergrund: Ende der von Bund, Land und mehreren Energieversorgern als ein Prototyp für die Zukunft der Atomenergie vorangetrieben, lief der Thorium-Hochtemperaturreaktor (Projektname „THTR-300“) in Hamm wegen technischer Probleme kaum ein Jahr, bevor er stillgelegt wurde. Die Brennelemente wurden entnommen und im Zwischenlager Ahaus untergebracht. Seit 27 Jahren schlummert der Atomreaktor im „sicheren Einschluss“ versiegelt vor sich hin und wartet auf den Abriss.
Streit um Abrisskosten
Betreiber des stillgelegten Kraftwerkes ist die „Gesellschaft Hochtemperatur-Kernkraftwerk GmbH“ (HKG), die in Hagen gegründet wurde. Dahinter stecken der Energiekonzern RWE und einige Stadtwerke, darunter auch die Mark-E mit Anteilen von 26 Prozent. Wer die Kosten für Rückbau und Abriss des Reaktors trägt, darüber ist ein Streit entbrannt. Die HKG fordert von Bund und Land die Übernahme der Kosten. Auch sollen sie Entsorgung und Endlagerung des strahlenden Materials übernehmen.
Offen bleibt nach dem Urteil des Landgerichts Düsseldrof, wer die Kosten für den stillgelegten Versuchsreaktor in Hamm zahlen muss. „Die Gesellschafter der HKG sind der Überzeugung, dass sie zu keinen Zahlungen verpflichtet sind“, so die HKG. „Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass Gesellschafter einer GmbH ohnehin nicht haften. Eine gegenteilige Auffassung lässt sich auch aus dem Urteil nicht entnehmen.“ Das Urteil des Landgerichts ist nicht rechtskräftig. Die HKG hat bis Ende September Zeit, vor dem Oberlandesgericht Berufung einzulegen.
Das Bundesforschungsministerium (BMBF) zeigt auf Anfrage wenig Bereitschaft, für die Rückbau-Kosten in die Bresche zu springen. Die Gesellschafter der HKG würden nach Vertragslage die maßgebliche Verantwortung für den Versuchsreaktor THTR in Hamm tragen, so eine Sprecherin des Ministeriums auf Anfrage. „Der THTR war ihr Projekt, von dem sie sich erhebliche wirtschaftliche Vorteile versprochen hatten. Wer von den Chancen einer Unternehmung profitieren will, muss aber auch bereit sein, die damit verbundenen Risiken zu tragen. Es ist deshalb nur angemessen, die Gesellschafter zur Finanzierung der Restabwicklung in die Pflicht zu nehmen. Das BMBF steht in dieser Sache beim Bürger, bei den Steuerzahlern.“
Insolvenz angekündigt
Derweil stellt sich die Landesregierung bereits darauf ein, dass die Betreibergesellschaft Insolvenz anmeldet. Angekündigt hat die Betreibergesellschaft diesen Schritt bereits bei der Atomaufsicht in ihrem Hause, sagte NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur im Wirtschaftsausschuss des Landtages. Für den Fall einer Insolvenz wolle das Wirtschaftsministerium im Wege der Ersatzvornahme für den Weiterbetrieb einspringen. Die dabei entstehenden Kosten werde das Land beim Bund geltend machen.
Hagen und die Atomkraft
Die Atomkraft galt ab den 1950ern als ein Energieträger der Zukunft und auch Hagener Energieversorger wollten den technischen Anschluss nicht verpassen. So trat die Elektromark bereits 1956 einem Verbund aus Energieversorgern bei, aus dem ein kleiner Versuchsreaktor in Jülich hervorging. Dieser nutzte eine damals innovative Hochtemperatur-Reaktortechnik, die bessere Energieausbeute als andere Reaktortypen versprach.
Unter der Führung der Vorstände Gerhard Hecker und Dr. Peter Hartmann verstärkte die Elektromark ab 1968 ihr Engagement für die Hochtemperatur-Reaktortechnik, so berichtet es das Enervie-Jubiläumsbuch. Die Hochtemperatur-Kernkraftwerk GmbH (HKG) wurde in Hagen gegründet. Größter Anteilseigner der Betreibergesellschaft HKG war RWE Nuclear (31 Prozent). Die Mark-E (ehemals Elektromark) und das Gemeinschaftskraftwerk Weser GmbH haben mit je 26 Prozent die zweitmeisten Anteile. Darüber hinaus gehören zu den Gesellschaftern die Gemeinschaftswerk Hattingen GmbH (WSW Wuppertaler Stadtwerke GmbH, RWE Power Aktiengesellschaft) und die Stadtwerke Aachen.
Die HKG trieb in den Jahren danach mit Bund und Land den Bau des Thorium-Hochtemperatur-Reaktors in Hamm mit einer Leistung von 300 Megawatt (THTR 300) voran. Mehr als 60 Prozent der Baukosten trug damals der Bund, den Rest übernahmen die Gesellschafter und das Land NRW. Im Jahr 1985 ging der Reaktor mit 300 Megawatt in den Versuchsbetrieb. Dafür wurden in der Folge auch tonnenweise hochangereichertes, also waffenfähiges, Uran aus den USA importiert.
Wegen technischer Probleme und Störfälle lief das Kraftwerk kaum ein Jahr unter Volllast und wurde bereits 1989 stillgelegt. Betreiber, Land und Bund vereinbarten den sicheren Einschluss ab 1997 für 30 Jahre. Ein Rahmenvertrag zwischen HKG, Land und Bund sicherte die Finanzierung. Mehrfach wurde der Vertrag in den Folgejahren wegen steigender Kosten ergänzt. Ende 2022 lehnte der Bund jedoch einen weiteren Ergänzungsvertrag ab. Es kam zur Klage der HKG vor dem Landgericht Düsseldorf, die im August 2024 zurückgewiesen wurde.