Hagen. Experten des Pestel-Instituts warnen vor der Stagnation in Hagen: Leerstandsquote darf den Blick auf die Realitäten nicht trüben.
Es muss gebaut werden: Bis 2028 braucht Hagen den Neubau von rund 320 Wohnungen – und zwar pro Jahr. Diese Wohnungsbau-Prognose für die kommenden vier Jahre hat das Pestel-Institut in einer aktuellen Regional-Analyse zum Wohnungsmarkt ermittelt. „Der Neubau ist notwendig, um das bestehende Defizit – immerhin fehlen in Hagen aktuell rund 220 Wohnungen – abzubauen: Aber auch, um abgewohnte Wohnungen in alten Häusern nach und nach zu ersetzen. Hier geht es insbesondere um Nachkriegsbauten, bei denen sich eine Sanierung nicht mehr lohnt“, sagt Matthias Günther vom Pestel-Institut.
„Der Neubau ist notwendig, um das bestehende Defizit – immerhin fehlen in Hagen aktuell rund 220 Wohnungen – abzubauen: Aber auch, um abgewohnte Wohnungen in alten Häusern nach und nach zu ersetzen. “
Das in Hannover ansässige Pestel-Institut, das die aktuellen Zahlen jetzt vorlegt, ist ein unabhängiges Forschungs- und Beratungsinstitut, das sich auf angewandte Sozialforschung sowie wirtschafts- und sozialpolitische Beratung spezialisiert hat. Dazu zählt auch die intensive Beschäftigung mit der Analyse und Beratung im Bereich der Wohnungs- und Bauwirtschaft.
Hoher Bedarf trotz Leerständen
An dem Wohnungsbedarf in Hagen ändere auch die Zahl leerstehender Wohnungen nichts: Der aktuelle Zensus registriert für Hagen immerhin rund 6010 Wohnungen, die nicht genutzt werden, so das Pestel-Institut. Das seien 5,9 Prozent vom gesamten Wohnungsbestand in der Stadt. Ein Großteil davon – nämlich rund 3200 Wohnungen – stehe jedoch schon seit einem Jahr oder länger leer. „Das sind immerhin rund 53 Prozent vom Leerstand. Dabei geht es allerdings oft um Wohnungen, die auch keiner mehr bewohnen kann. Sie müssten vorher komplett – also aufwendig und damit teuer – saniert werden“, sagt Matthias Günther.
Weitere interessante Themen aus Hagen und Breckerfeld:
- Gastronom insolvent: Was wird aus Haus Glörtal?
- Bagger entdeckt überraschende Schätze unter dem Neubaugebiet Emst
- Weitere Baustelle bremst den Verkehr auf den Autobahnen rund um Hagen aus
- Wer denkt sich sowas aus: Zwei Picknicks parallel auf Emst
- Schlossspiele in Hohenlimburg steuern auf Rekordjahr zu - warum nur?
- Raumluftmessung am Gymnasium Hohenlimburg soll für Klarheit sorgen
- Diese Häuser an der Hördenstraße sind tatsächlich eine Attraktion
- Werbung für eine Neueröffnung, die bereits 300 Tage her ist
- Neues Lebensmittel-Outlet mitten in der Fußgängerzone
Grundsätzlich sei ein gewisser Wohnungsleerstand aber immer auch notwendig. „Rund 3 Prozent aller Wohnungen, in die sofort jemand einziehen kann, sollten frei sein. Schon allein, um einen Puffer zu haben, damit Umzüge reibungslos laufen können. Und natürlich, um Sanierungen überhaupt machen zu können. Aber es wird nur selten gelingen, Wohnungen, die lange leer stehen, wieder zu aktivieren und an den Markt zu bringen“, so das Fazit von Matthias Günther.
Denn viele Hauseigentümer halten sich nach Beobachtungen des Pestel-Instituts mit einer Sanierung zurück: „In ihren Augen ist eine Sanierung oft auch ein Wagnis. Sie sind verunsichert. Sie wissen nicht, welche Vorschriften – zum Beispiel bei Klimaschutz-Auflagen – wann kommen. Es fehlt einfach die politische Verlässlichkeit. Ein Hin und Her wie beim Heizungsgesetz darf es nicht mehr geben“, kritisiert der Leiter des Pestel-Instituts. Außerdem hapere es bei vielen auch am nötigen Geld für eine Sanierung.
Weitere Gründe, warum leerstehende Wohnungen nicht vermietet werden: „Immer wieder kommt bei Erbstreitigkeiten kein Mietvertrag zustande. Und oft scheuen sich Hauseigentümer auch, sich einen Mieter ins eigene Haus zu holen, mit dem sie sich am Ende vielleicht nicht verstehen“, sagt Matthias Günther. Für ihn steht deshalb fest: „Am Neubau von Wohnungen führt daher auch in Hagen kein Weg vorbei.“
Bessere Rahmenbedingungen gefordert
Das Pestel-Institut hat die Regional-Analyse zum Wohnungsmarkt, die jetzt von den Hannoveranern vorgelegt wurde, im Auftrag des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB) durchgeführt. Für dessen Präsidentin macht die Untersuchung eines deutlich: „Es ist eine Milchmädchenrechnung, die leerstehenden Wohnungen gegen den aktuellen Bedarf an Wohnungen gegenzurechnen. Das funktioniert so nicht. Politiker, die das gerade versuchen, betreiben Augenwischerei“, sagt Katharina Metzger.
„Es ist eine Milchmädchenrechnung, die leerstehenden Wohnungen gegen den aktuellen Bedarf an Wohnungen gegenzurechnen. Das funktioniert so nicht. Politiker, die das gerade versuchen, betreiben Augenwischerei.“
Für die Verbandschefin vom Baustoff-Fachhandel steht fest: „Der Wohnungsbau ist auch in Hagen das Bohren dicker Bretter.“ Um voranzukommen, fordert Metzger, die Baustandards zu senken: „Einfacher bauen – und damit günstiger bauen. Das geht, ohne dass der Wohnkomfort darunter leidet. Andernfalls baut bald keiner mehr.“ Es müsse ein „starkes Abspecken“ bei Normen und Auflagen geben – im Bund, bei den Ländern und Kommunen. Katharina Metzger warnt: „Am Ende stoppen überzogene Förderkriterien, Normen und Auflagen den Neubau von Wohnungen – von hoch geschraubten Klimaschutzmaßnahmen, ohne die es keine Förderung gibt, bis zu Stellplätzen, ohne die erst gar nicht gebaut werden darf.“
Auch die Perspektive sei schlecht: Bis 2028 wolle die Bundesregierung Sozialwohnungen mit weniger als 22 Milliarden fördern. „Das reicht hinten und vorne nicht. Und es ist ein willkürlich gegriffener Zeitraum, um eine vermeintlich hohe Milliardensumme in den Raum zu stellen. Doch die Wahrheit dahinter ist: Der soziale Wohnungsbau wird bei dieser Bundesregierung auch weiter auf der Strecke bleiben. Das müssen die Menschen den heimischen Bundestagsabgeordneten in Hagen jetzt klarmachen. Nur wenn es massiven Druck vor Ort gibt, werden diese und die kommende Bundesregierung begreifen, wie ernst die Lage ist“, fordert Katharina Metzger in der Mitteilung.
Die Verbandspräsidentin des Baustoff-Fachhandels warnt gemeinsam mit dem Pestel-Institut vor einer „Absturz-Spirale beim Wohnungsneubau“. Die Situation sei fatal: „Wohnungsnot trifft auf Nicht-Wohnungsbau. Diese toxische Entwicklung muss dringend gestoppt werden.“ Denn Wohnungsmangel schaffe soziale Spannungen. „Wenn sich Menschen wochen- und monatelang um eine neue Wohnung kümmern müssen, dann braut sich da etwas zusammen. Das ist Gift für das soziale Miteinander in der Gesellschaft“, so Katharina Metzger.