Hagen. Nach der Bäderdebatte in Hohenlimburg, nimmt ein Professor aus Koblenz eine interessante Perspektive ein. Er fordert mehr Fantasie bei Planungen.
Sie hat sich abgekühlt, die Hohenlimburger Bäder-Debatte. Der Rat hat bekanntlich beschlossen, das marode Freibad in Henkhausen für einen Gesamtbetrag von 12,4 Millionen Euro in eine zeitgemäße Ganzjahres-Schwimmstätte zu verwandeln. 4,8 Millionen Euro der Summe fließen als Fördermittel vom Land, die übrigen 7,6 Millionen Euro muss der Kämmerer aus Investitionsmitteln aufbringen. Das Lennebad wird hingegen abgerissen. Soweit, so bekannt und auch von dieser Zeitung aus sämtlichen Blickwinkeln beleuchtet. Dass diese Entscheidung auch einen soziologischen Effekt hat, ist dabei bislang nur wenig Thema gewesen. Einer der Vorkämpfer für Bäder in Deutschland, Prof. Dr. Lutz Thieme von der Hochschule in Koblenz, nimmt diese Perspektive ein.
Unter seiner Leitung wurde bis Ende des Jahres 2022 eine umfassende Datengrundlage zu Schwimmbädern und Badestellen in Deutschland erarbeitet. Der Forschungsbericht „Bäderleben“ ist eine bundesweite Bestandsaufnahme und auf einer dazugehörigen Homepage (www.baderleben.de) sind nicht nur bis in den letzten Winkel Deutschlands alle Hallen- und Freibäder zu finden, selbst Klinikbäder und Hotel- und Schulbäder sind dort zu sehen. Der Sportwissenschaftler Lutz Thieme und sein Team sind dabei, ein Messverfahren zu erarbeiten, das die Versorgungsrate einzelner Regionen mit einem Schwimmangebot darstellt.
Die Hohenlimburger Debatte hat Thieme mitbekommen. Mit Blick auf Henkhausen sagt er: „Es ist in der Psychologie erwiesen, dass etwas Neues schon doppelt so gut sein muss wie das Alte, damit wir Menschen es schätzen.“ Der Mensch sei konservativ geprägt, hänge am Alten. In diesem Fall am Lennebad. „Aus soziologischer Perspektive ist das aber verzerrend. Die Wenigsten nehmen die Nutzersicht ein und sehen nicht, dass mit einer Neuausrichtung auch neue Zielgruppen erreicht werden können. Es braucht Fantasie.“
Schwimmen als soziale Teilhabe
Bäder seien prägend für die Infrastruktur einer Stadt. Auch heute noch. Dem stehe entgegen, dass die Förderung von Sportstätten nur eine freiwillige kommunale Aufgabe sei. „Nirgends ist festgelegt, in welcher Entfernung man beispielsweise Schulschwimmen anbieten können muss“, so Thieme. Das Schwimmen, das gehe auch aus seinen Forschungen hervor, werde von den Menschen als Sportart Nummer eins des Lebens betrachtet. Danach würden Wandern und Radfahren folgen. „Das ist so, weil das Schwimmen zwei wichtige Aspekte hat. Die Selbstrettung im Ernstfall und die soziale Teilhabe. Kannst du nicht schwimmen, bist du von vielen Aktivitäten ausgeschlossen. Das fängt schon im Kinderalter an.“
Prägende Infrastruktur
Wer neu in einer Stadt sei, müsse zunächst mal ihre Freibäder besuchen. „Man lernt doch nach wie vor viel über den sozialen Umgang in einer Stadt. Das Freibad ist einer der letzten Orte, wo die Menschen ohne Symbole zusammenkommen. Die Hallenbäder hingegen sind funktionaler. Beide haben aber einen Einfluss auf den kommunalen Zusammenhalt. Sie merken das daran, dass sich nahezu überall, wo Bäder geschlossen werden sollen, Bürgerinitiativen zum Erhalt bilden. Die Menschen begreifen das dann als Einschränkung ihrer Lebensmöglichkeiten. Das bedeutet, dass sie es als prägende Infrastruktur empfinden, auch wenn sie es nur selten nutzen. Das klingt paradox, aber es geht um die generelle Möglichkeit, es nutzen zu können.“
Überdies dürften Kinder und Jugendliche mit Blick auf die Schwimmbadversorgung nicht davon abhängig sein, ob ihre Kommune arm oder reich so. „Sonst geht die Schere irgendwann so weit auseinander, dass es sich auch darauf auswirkt, wie gut Kinder in einer Region schwimmen können oder nicht.“