Hagen. Schon seit 28 Jahren lebt Dr. Sultan Hamid Narwan in Hagen. Er stammt aus Afghanistan. Und seine Heimat liegt ihm nach wie vor am Herzen.
Afghanistan ist so ziemlich das Gegenteil eines politisch stabilen Landes. Seit Jahrzehnten herrschen dort Krieg und Terror. Kein Wunder, dass zahlreiche Menschen aus ihrer Heimat flüchten, um in der Ferne ihr Glück zu suchen. 358 Afghanen hat es nach Hagen verschlagen, die meisten kamen seit der großen Flüchtlingskrise im Jahr 2015 und danach. Sultan Hamid Narwan (59) lebt dagegen schon seit 28 Jahren in der Stadt. „Wenn ich Afghanistan mit meiner Familie damals nicht verlassen hätte, wären wir vielleicht nicht mehr am Leben“, sagt er.
Bis zu seiner Flucht gehörte Narwan zum Establishment des krisengeschüttelten Staates. Sein Vater war ein angesehener Jurist in der Hauptstadt Kabul, er selbst studierte internationales Recht im aserbaidschanischen Baku und war als Lehrer für Sprachen und Geschichte an einer Abendschule tätig. Nach dem Studium arbeitete Narwan als Beamter im afghanischen Außenministerium und erlebte den brutalen Krieg zwischen den einmarschierten sowjetischen Besatzungstruppen und den Mudschahedin hautnah mit. „Ich habe mit keiner von beiden Seiten sympathisiert“, berichtet er. Doch als Gorbatschow die Sowjets abzog und die Islamisten immer mehr Einfluss gewannen, floh er über Tschechien nach Deutschland. So kam er nach Hagen.
Doktortitel an der Fernuniversität
Es war eine schwere Zeit, berichtet Narwan. Vielleicht nicht so sehr für seine Kinder, die sich bald integrierten und längst beruflich erfolgreich sind. Aber für den gebildeten Narwan, dessen berufliche Existenz zerstört war und den die Ereignisse in seiner Heimat, das fortwährende Morden und Kämpfen, nicht los ließen. Er büffelte Deutsch an der Abendschule, erwarb an der Fernuniversität den Doktortitel und fand schließlich eine Tätigkeit als freier wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centre of the Politics of Transnational Law der Freien Universität Amsterdam.
Inzwischen hat Narwan mehrere Bücher über die Geschehnisse in Zentralasien publiziert. In „Politischer Selbstmord der Sowjetunion und Geburt neuer unabhängiger Staaten“ analysiert er, welche Rolle die misslungene Eroberung Afghanistans unter Breschnew auf den Zerfall der Sowjetunion hatte. Dagegen will Narwan „Afghanistan – Ein Pufferstaat in wechselnden Puffersystemen“ durchaus als Beitrag zur Bewältigung der politischen Krise seines Landes verstanden wissen.
Glaube an einen möglichen Frieden
„Die Situation in Afghanistan ist zwar sehr schlimm, aber ich glaube dennoch, dass Frieden möglich wäre“, gibt er die Hoffnung nicht auf. Narwan plädiert dafür, das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Ethnien im Land durch einen „gebändigten Föderalismus“ herzustellen. Außenpolitisch müsse der Staat neutral agieren und dürfe sich nicht in Bündnisse mit den Nachbarvölkern einlassen. „Ich stelle mir mein Land als neutralen Pufferstaat vor, wobei die Vereinten Nationen als Garant fungieren müssten.“
Es sind wissenschaftliche Werke, einige davon sind in deutscher und englischer Sprache erschienen. Narwan weiß, dass er damit keine große Leserschaft gewinnen wird, aber vielleicht werden sie in politisch einflussreichen Kreisen Afghanistans gelesen und können zu einer politisch stabilen Ordnung beitragen – wer weiß, ob die Kriegshandlungen nicht doch irgendwann ein Ende nehmen.
Manchmal überkomme ihn ein wenig Heimweh, sagt Narwan.