Hagen.. Das Theater Hagen wagt sich an den „Rosenkavalier“ von Richard Strauss und macht aus der Riesen-Oper ein sensationell gelungenes Theaterfest
Wie schwarzer Schimmel kriecht die Vergänglichkeit an den Wänden hoch. Marschallin, Octavian, Ochs und Sophie tanzen mit Amor Wiener Walzer, während schon die Waffen für einen furchtbaren Krieg geschmiedet werden. Im Spannungsfeld zwischen Standesdünkel, Intrigen und Amouren wird der Hagener „Rosenkavalier“ jetzt zu einem sensationellen Theaterfest, zum Triumph eines überaus engagierten Ensembles und Orchesters. Das Publikum feiert diese Meisterleistung mit langem Beifall auch im Stehen.
„Der Rosenkavalier“ gehört trotz seiner viereinhalb Stunden Spieldauer zu den populärsten Opern. Das Libretto von Hugo von Hofmannsthal zählt zur Weltliteratur. Und die Partitur von Richard Strauss ist ein unerschöpfliches Musikuniversum. Doch bei der Uraufführung im Jahr 1911 stand der Erste Weltkrieg schon vor der Tür. Die Gesellschaft, der Strauss und Hofmannsthal hier in einer traurigen Komödie ein Denkmal setzen, ist zum Untergang verurteilt.
Mächtige Doppelwand
Der Hagener Bühnenbildner Jan Bammes und Regisseur Gregor Horres stellen die überbordende Ornamentik der Partitur und die ungeheure Textfülle in einen schlichten Raum, der von einer mächtigen Doppelwand dominiert wird. Die dient als Grenze zwischen den Ständen, in ihren Schluchten verirren sich die Protagonisten, und wenn sie ausgeklappt wird, erscheint Faninals Stadtpalais wie ein Gefängnis für die junge Sophie. Mit seinen angedeuteten Tribünen funktioniert das Raumelement auch als Theater im Theater. Der Farbverlauf von schwarz nach rot deutet an, dass dieses System dabei ist, den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Rosenkavalier im Theater Hagen
Octavian ist der verkörperte Amor, ein Jüngling mit Lockenköpfchen, welcher der verheirateten Marschallin die einsamen Stunden versüßt und sich bereitwillig in Sophie Faninal verliebt, die doch eigentlich den Ochs heiraten soll. Der abgewirtschaftete Baron braucht das Geld des bürgerlichen Faninal; der wiederum will über seine Tochter aufsteigen.
Doch Ochs bricht in die Symmetrie der amourösen Verirrungen ein wie ein antiker Fruchtbarkeitsgott, ein lüsterner Anti-Amor aus der Provinz sozusagen, ein ungezähmter Faun, der seine Begierden unumwunden auslebt und damit den anderen einen Spiegel vorhält. Rainer Zaun ist als Sänger und als Darsteller ein umwerfender Ochs, der seine tiefen Basstöne wie Waffen in einem Testosteron-Wettbewerb einsetzt. Solche widersprüchlichen Helden sind seine Spezialität. Denn Zaun kann hinter die Maske blicken, er kann die schäbigen kleinen Eitelkeiten zeigen, aber auch die Unsicherheiten.
So gibt es zwei Schlüsselmomente. Wenn Zaun nach dem Duell sein „Da lieg ich“ singt, wird das zur Beichte eines alternden Getriebenen, der lieber gemütlich daheim auf dem Land wäre, aber aus Prinzip nichts anbrennen lassen kann. Generalmusikdirektor Prof. Florian Ludwig peitscht diese Szene gespenstisch auf, so dass der Dynamiden-Walzer plötzlich wie ein Geistertanz aus einem Mendelssohn’schen Waldweben klingt.
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Wird hier die heile Welt im Orchester deutlich verstört, so erzittert sie wenige Minuten zuvor geradezu. Denn wenn Octavian in seiner Funktion als Rosenkavalier bei Sophie erscheint, gerät das regelmäßige Uhrwerk der Schlagzeuger ins Stocken, wird dissonant, und in Klängen scharf wie Scherben bleibt die Zeit angesichts der Liebe stehen. Florian Ludwig und den wunderbaren Hagener Philharmonikern gelingt es nicht nur, Strauss’ Partitur in allen Farben zum Blühen zu bringen, sie machen sie sogar sprechend.
Geschickte Chorführung
Das kleine Theater Hagen kann tatsächlich den großen „Rosenkavalier“ aus eigenen Kräften besetzen. Veronika Haller ist eine Marschallin mit bittersüßer Wehmut im schönen Sopran. Kristine Larissa Funkhauser singt und spielt den Octavian geradezu zum Knuddeln. Maria Klier stattet ihre Sophie mit betörenden Spitzentönen aus, und Kenneth Mattice ist als Faninal hin und her gerissen zwischen Vaterliebe und Opportunismus.
Das private Kammerspiel wird zweimal mit der Öffentlichkeit konfrontiert. Regisseur Gregor Horres zeichnet diese Milieus dank einer geschickten Chorführung mit ihren Glücksrittern, Berufsintriganten, Prostituierten, Friseuren und Almosengängern so grotesk und komplex, wie sich die Moderne 1911 schon vor den Palästen darstellte. Dass er dabei ein paar Zeitschleifen einbaut, spricht nur für diese kluge Inszenierung. Denn wie sagt die Marschallin: Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding.