Delstern..

Charlotte Seibel aus Krefeld starb am 12. September 1912. Vier Tage später, am 16. September 1912, wurde sie im Krematorium in Hagen eingeäschert. Um 11 Uhr ist in der dicken Kladde, die auf dem Tisch liegt, notiert. Preußisch korrekt. Dabei war gerade die preußische Obrigkeit gar nicht erbaut von der Initiative mancher Zeitgenossen, sich für Feuerbestattungen einzusetzen. In Hagen wirkten daran unter anderem Sanitätsrat Eduard Müller – der spätere Namensgeber – und Kunstmäzen Karl Ernst Osthaus mit, vermutlich nicht von ungefähr.

„Das Bestreben, sich für Feuerbestattungen einzusetzen, ging von Freigeistern aus. Sie wandten sich gegen das konservative Preußen“, meint Hans Becker, stellvertretender Krematoriumsleiter. Vor allem wandten sich die sogenannten Feuerbestattungsvereine gegen die Kirche und das Konzept der Auferstehung. Hagen war die erste Stadt in Preußen, die ein Krematorium baute. Heute steht der Bau, den Osthaus bei dem Architekten Peter Behrens in Planung gab, unter Denkmalschutz. Die Andachtshalle atmet Kunstgeschichte.

Tag der offenen Tür geplant

Damals wie heute gilt die Einäscherung als hygienischste Form der Bestattung – und „als gesellschaftlich akzeptiert“, ergänzt Hans-Joachim Bihs vom Wirtschaftsbetrieb Hagen (WBH), in dessen Aufgabenbereich die Friedhöfe inzwischen fallen. Die hundert Jahre will WBH mit einem Tag der offenen Tür begehen. Die Planungen dazu laufen.

Eins hat sich in den hundert Jahren des Krematoriums deutlich gewandelt: die Technik. Längst reicht der Keller des Krematoriums nicht mehr aus, es gibt einen Erweiterungsbau mit Felsenkeller. Detlef Baumgart steht am Schaltpult. Per Knopfdruck öffnet sich eine Klappe zu des dreigeschossigen Schachtofens. Der Holzsarg fährt ein und fängt Feuer. Drei Brennkammern durchläuft der Sarg, vom gegebenenfalls vorher Beschläge abmontiert werden. Der Brennvorgang dauert zwei bis zweieinhalb Stunden, Abgase werden gefiltert, die Wärme genutzt für Räume im Krematorium und in der Andachtshalle.

"Ein Kasten voller Asche"

Nachdem Leichnam und Sarg die drei Etagen durchlaufen haben, steht ein Kasten voller Asche im Ofen – und eventuellen Fremdmaterialien wie Implantate wie Herzschrittmacher oder Hüftgelenke. Sie werden aussortiert. Per Zentrifuge werden die Edelmetalle wie Zahngold und andere Metalle voneinander getrennt. Die Metalle werden verkauft. „Die Erlöse fließen hundertprozentig in die Gebührenkalkulation ein“, sagt Hans-Joachim Bihs. „Aber der Aufwand rechtfertigt die Erlöse nicht.“

Die Einäscherung ist mit rund 370 Euro weiterhin die günstigste Bestattungsform. Nach dem Aussieben kommt die Asche in eine Aschemühle, „und wird zu Mehlstaub verfeinert“, beschreibt Baumgart, der seit 20 Jahren im Krematorium arbeitet und eine gesunde Distanz zum Tod hat. „Als Sohn eines Friedhofsgärtners bin ich mit dem Tod aufgewachsen.“

Nach dem gesamten Prozess füllt Baumgart die Urne, die rund 1,5 Liter fasst, durchschnittlich zu drei Vierteln. Anschließend kann sie im Ruheforst auf der Philippshöhe oder in einem Grab bestatten. Der Trend zum Ruheforst ist ungebrochen. „Die Bestattungskultur hat sich verändert“, resümiert Bihs. Grabpflege ist aufwändig – und teurer gegenüber einem Platz unterm Baum. Den kann man in Delstern allerdings auch haben – der Waldfriedhof ist ungebrochen idyllisch.