Hagen. Die Hagener Philharmoniker haben bei ihrem Neujahrskonzert unter Generalmusikdirektor Florian Ludwig musikalisch die Funken sprühen lassen: mit einer klangvollen Reise von Wien nach Moskau starteten sie mit Walzertakten ins Jahr 2013.
Es gibt Klänge, die bis heute nichts von ihrem Glanz und Feuer verloren haben und trotzdem überwiegend nur noch in den Neujahrskonzerten gepflegt werden: Die Unterhaltungsmusik der goldenen Ära der Strauß-Dynastie mit ihren Walzern, Märschen und Polkas. Ähnlich wie das berühmte Wiener Pendant bildet auch das Neujahrskonzert der Hagener Philharmoniker einen ebenso traditionellen wie beliebten Eintrag im Terminkalender am ersten Tag des neuen Jahres.
Generalmusikdirektor Florian Ludwig achtet darauf, dass er neben den bekannten Schlagern dieses Repertoires immer auch vergessene Schätze hebt, die er jetzt unter dem Stichwort „Wien – Moskau“ zu einer funkensprühenden musikalischen Reise verknüpft hat. Die Pizzikatopolka von Johann und Josef Strauß sowie der Walzer „Abschied von St. Petersburg“ von Strauß Sohn sind Beispiele für eine untergegangene Musikkultur, die, in Gaststätten, Parks und anderen öffentlichen Orten aufgeführt, dem Vergnügen eines breiten und zahlreichen Publikums diente.
Die russischen Kompositionen des Familienkonzerns Strauß zum Beispiel wurden im Auftrag der Zarskoje-Selo-Eisenbahngesellschaft geschrieben, für diese spielten die Strauß-Kapellen viele Jahre lang im Sommer im Vauxhall in Pawlowsk vor täglich 6000 bis 10.000 entzückten Zuhörern. Im amerikanischen Boston baute man anlässlich der Tournee des Walzerkönigs eigens eine Halle für 100.000 Personen, die bei allen 14 Strauß-Konzerten ausverkauft war.
Russisches Kolorit
Dass ausgerechnet Richard Wagner Strauß Sohn den Ehrentitel Walzerkönig verlieh, ist ein Beweis dafür, dass die Schere zwischen Unterhaltungsmusik und sogenannter ernster Musik in jener Epoche nicht existierte. Im Gegenteil: Es gab ein fröhliches gegenseitiges Lernen; mit der Erfindung des Konzertwalzers zum Beispiel gestaltete Strauß die einfachen Varianten der Wiener Tanzmusik zur großen sinfonischen Form; umgekehrt schauten sich andere Komponisten bei ihm das eine oder andere ab. Z
um Beispiel Peter Tschaikowski mit seinem Walzer aus „Eugen Onegin“ und Richard Eilenberg in seiner berühmten „Petersburger Schlittenfahrt“. Franz von Suppés Ouvertüre zu „Pique Dame“ spiegelt den Wiener Esprit jener Tage, und Mihael Glinka, Zeitgenosse von Strauß Vater, formuliert in seiner Ouvertüre zu „Ruslan und Ludmilla“ einen russischen Nationalstil, dessen eigentümliches Kolorit dann von Strauß Sohn in seiner „Russischen Marschfantasie“ verwendet wird.
Die Hagener Philharmoniker elektrisieren mit ihrer Spielfreude das Publikum regelrecht und bieten genau die musikalischen Gefühlserlebnisse, für die das Neujahrskonzert berühmt ist: golden aufstrahlendes Blech, samtigen Streicherglanz und das kecke Schnarren der kleinen Trommel stellvertretend für den Schlagzeugapparat, der die Rhythmen vorantreibt, die ins Blut gehen.
Wegen der gegenseitigen Einflüsse ist es üblich, im Neujahrskonzert Werke klassischer Komponisten zu integrieren. In Wien wählt man Jubilare, jetzt Wagner und Verdi. In Hagen hat Florian Ludwig den Begriff „Strauß“ ausgedehnt und den deutschen Komponisten Richard Strauss mit einbezogen. Die junge Sopranistin Maria Klier liefert bei der Arie der Zerbinetta „Großmächtige Prinzessin“ prickelnde Hochton-Akrobatik und verleitet die Zuhörer auch mit Reinold Glieres „Konzert für Koloratursopran“ zu Bravorufen.
Beliebte Zugaben
Ob die gut halbstündige „Rosenkavalier-Suite“ von Richard Strauss tatsächlich in ein Neujahrskonzert gehört, darüber darf man streiten - nicht aber darüber, dass GMD Florian Ludwig mit seinen Philharmonikern hier in glühenden Farben geradezu einen Klangrausch entfesselt – ein grandioses Walzerfest als Verbeugung vor der wegbereitenden Dreivierteltakt-Kunst der Wiener Sträuße mit „ß“. Zugaben sind im Neujahrskonzert obligatorisch: Chatschaturjans „Säbeltanz“ belohnt das begeisterte Publikum ebenso wie der unverzichtbare Radetzkymarsch.