Hagen. Durch das Corona-Virus ist quasi eine neue Krankheit entstanden. Christian Dürich und sein Team kümmern sich in Hagen um genau diese Phobie.

Christian Dürich (37) ist Chefarzt der Psychosomatik im Johannes-Hospital in Boele. Derzeit beschäftigt er sich intensiv mit der Corona-Phobie – der Angst vor dem Virus. Die Corona-Krise könne diverse psychische Symptome hervorrufen bzw. verstärken, so der Arzt. Im Interview verrät er, warum er eine Videosprechstunde eingerichtet hat und was es damit auf sich hat.

Ist durch den Virus eine neue Krankheit entstanden?


Christian Dürich: Das kann man so sagen, wir Mediziner sprechen von Corona-Phobie. Zugegeben, eine neue Wortschöpfung, aber gar nicht so weit gefehlt. Menschen, deren Gedanken aktuell angesichts der täglich neuen Erkrankungszahlen und abendlichen Meldungen im Fernsehen nur um dieses eine Thema kreisen, muss dringend geholfen werden. Wer in anderen Menschen potenzielle Infektionsüberträger sieht und ständig denkt „Hilfe ich könnte mich anstecken“, kann ernsthaft psychisch erkranken.

Wie real ist die Angst, die die Corona-Krise hervorruft?

Das kommt ganz auf die jeweilige Persönlichkeit an. Es gibt Patienten, die werden derzeit ganz von dieser Angst beherrscht. Und sie sind sehr dankbar, dass wir ihnen auch in dieser Zeit zur Verfügung stehen und sie über ihre Ängste sprechen können.

Die soziale Isolation trägt dazu sicher ihren Teil bei, oder?

Speziell Menschen mit Ängsten und Depressionen leiden in diesen Tagen, Wochen und Monaten ganz besonders. In den eigenen vier Wänden mehr oder weniger eingeschlossen zu sein, ohne die Möglichkeit zu haben, sich mit der besten Freundin, den Eltern oder auch Geschwistern im nächsten Ort einfach mal auf einen Kaffee oder ein Eis zu treffen, bringt viele Menschen an die Grenzen der Leidensfähigkeit.

Die Angst korrespondiert also nicht unbedingt mit dem wirklichen Ansteckungsrisiko?

Es ist ja gerade dieses diffuse Bedrohungsgefühl, das von dem Virus ausgeht, das vielen Menschen den Boden unter den Füßen wegreißt. Es ist ein unsichtbarer Feind, über den noch nicht allzu viel bekannt ist.

Sie meinen, dass die Infektionswege noch nicht ausreichend erforscht sind?

Noch immer gibt es unterschiedliche Aussagen darüber, ob man sich an Türgriffen oder glatten Oberflächen infizieren kann. Ob jemand, der keine Symptome hat, dennoch andere Menschen anstecken kann. Ob diese oder jene Strategie im Kampf gegen den Virus die richtige ist. All diese Widersprüche rufen bei sensiblen Menschen vor allem eines hervor: Unsicherheit. Und Angst.

Sie sagten, der Umgang mit der Krise hänge nicht zuletzt von der Persönlichkeit jedes Einzelnen ab.

Jeder geht, basierend auf seiner psychischen Ausstattung, anders mit der Krise um. Wer eine starke Psyche besitzt, den mag die Situation weniger belasten. Wer aber bisher nicht so viel Glück im Leben hatte, wer seelische Vorerkrankungen hat, wer zu Depressionen neigt, für den kommt Corona jetzt knüppeldick obendrauf.

Der unsichtbare Feind?

Ja, das Virus aktiviert archaische Strukturen in unserem Gehirn. An solchen Mentalitäten knüpfen übrigens auch Horrorfilme an. Doch leider führt das bei manchen Patienten zu einem überschießenden Bedrohungserleben, indem sie in anderen Menschen nicht mehr primär Menschen, sondern Infektionsüberträger sehen.

Welche Wege gibt es, um solche Denkmuster zu durchbrechen?

Das kann man nicht pauschal beantworten. Jeder Mensch verarbeitet die Krise anders. In manchen Fällen kann es sinnvoll sein, nur noch einmal pro Tag die Nachrichten zu schauen, um sich nicht von dem immer gleichen Thema überfluten zu lassen. Auch Entspannungsübungen oder Yoga können helfen, ebenso soziale Kontakte über die Distanzmedien, etwa das Internet. Aber es gibt eben auch Menschen, wo das alles nichts hilft, weil sie sich nicht mehr vom Angstgeschehen abgrenzen können. Das ist übrigens nichts, wofür man sich zu schämen braucht.

Und wie helfen Sie denen?

Wir haben für depressive und coronaphobische Patienten eine Videosprechstunde mittels „Clickdoc“ eingerichtet. Menschen, die Therapie-Hilfe benötigen und dieses neue Angebot nutzen möchten, können dafür einen Termin vereinbaren. Die Krankenkassen zahlen für diese digitale Therapie, das alles ist schon geklärt und freigegeben, unabhängig davon, welcher Krankenkasse der Patient angehört.

Kann der Bildschirm denn die persönliche Begegnung mit dem Therapeuten ersetzen?

Nein, das ist nicht geplant und auch nicht gewollt. Wenn jemand lieber persönlich vorbeikommen möchte, geht das auch. Vor-Ort-Termine sind selbstverständlich unter Einhaltung aller hygienischen Maßnahmen nach Absprache möglich. Aber gerade in der Corona-Krise, die die persönliche Begegnung ja in allen Lebensbereichen erschwert, kann die Videosprechstunde eine sinnvolle Alternative sein.

Wie gehen eigentlich Ihre Mitarbeiter mit der Krise um?

Für das medizinische Personal unserer Krankenhäuser stellt die Corona-Pandemie eine Herausforderung dar. Stress, Unsicherheit und erhöhte Arbeitsbelastung gehen auch an medizinisch erfahrenen Menschen nicht spurlos vorüber. Wir bieten Einzelgespräche zur Bewältigung dieser ungewohnten Situation an. Das kann helfen, um die eigenen Bewältigungsmechanismen zu stärken.


Mit Christian Dürich
sprach Hubertus Heuel