Hagen. Julia Brinkmann hat ihren Traumjob beim Finanzamt gefunden. Wir erzählen, was die allein erziehende Mutter an diesem Arbeitsplatz so schätzt.

Beim jüngsten Klassentreffen 20 Jahre nach dem Abitur wurde es ihr wieder bewusst: Den Ruf, besonders sexy zu sein, genießt ihr Job nun wahrlich nicht. „Als ich die Standardfrage gestellt bekam, was ich denn so beruflich mache und ich erzählte, dass ich beim Finanzamt Betriebsprüferin sei, da gingen die Kinnladen erst einmal runter. Das ist nichts, wo die Leute noch ein paar Rückfragen stellen“, erzählt Julia Brinkmann. Beliebt sei man eigentlich nur, wenn offene Fragen zur Steuererklärung im Raum stehen und Hilfe gebraucht werde.

Leidenschaft zur Mathematik

Gereizt hat die heute 38-Jährige nach ihrem Schulabschluss vor allem die Chance auf ein Duales Studium mit Diplom-Abschluss. Obendrein war sie durch ihre Mutter, die ebenfalls beim Hagener Finanzamt ihr Geld verdient, familiär vorbelastet. „Außerdem hat mir Mathe schon in der Schule immer gut gefallen - aber das ist nur ein Teilgebiet meiner Arbeit.“ Als Betriebsprüferin schaut sie heute hinter die finanziellen und wirtschaftlichen Kulissen von Unternehmen.

Das Spektrum reicht von Einzelunternehmen über Kapitalgesellschaften bis hin zu Personengesellschaften. „Da gucke ich meist über einen Drei-Jahres-Zeitraum die steuerlichen Unterlagen durch, ob alles nach Recht und Gesetz gelaufen ist.“ Dazu fährt sie entweder direkt zu den Unternehmen oder zu Steuerberatern, die diese Mandanten betreuen. „Das ist sehr spannend und ein Job, den ich gerne für den Rest meines Lebens machen würde“, bekennt Julia Brinkmann mit einem strahlenden Lächeln, das gar keine Zweifel an ihrer Leidenschaft aufkommen lässt.

Akten bekommen Gesichter


„Man kann hinter die Kulissen gucken, die Akten und Sachverhalte bekommen plötzlich Gesichter.“ Die produzierenden Bereiche eines Betriebes werden ihr ebenso präsentiert wie die wirtschaftlichen Kennzahlen. „Es ist eine unheimliche Horizonterweiterung. Für mich ist es ein wenig wie die Sendung mit der Maus für Erwachsene.“ Für die steuerliche Würdigung sind diese Betrachtungen vor Ort im Maßstab 1:1 maßgeblich.

Dabei ist sie sich durchaus bewusst, dass ihre Besuche in manchen Firmen für Gänsehautmomente sorgen. „Ich stelle mir das immer vor wie bei der Verkehrskontrolle: Obwohl man glaubt, alles richtig gemacht zu haben, fühlt man sich doch sehr unwohl, wenn die rote Kelle kommt.“ Sie setzt dabei eher auf die menschliche Begegnung, wirbt um Verständnis für ihren Blickwinkel, „um den Sachverhalt steuerrechtlich richtig zu bewerten“, verfällt die eloquente und selbstbewusste Frau in den etwas spröden Betriebsprüfer-Jargon.

Konflikte sind eine Seltenheit

Die Fälle, bei denen es wirklich mal zu Konflikten kommt, bleiben dabei die Seltenheit: „Das liegt aber auch daran, dass wir im Deeskalationsbereich geschult sind. Wenn man merkt, dass ein Gespräch von einer sachlichen auf eine emotionale Ebene rutscht, gibt es immer Möglichkeiten, die Situation zu entschärfen.“

Als Betriebsprüferin ist man langfristig angemeldet, so dass sich der Unternehmer im Vorfeld auf die Situation einstellen und vorbereiten konnte. Somit ist das Stresslevel in der Regel nicht so hoch. Häufig sind auch Steuerberater zwischengeschaltet, die jeden Fall auf eine professionelle Ebene lenken und für eine entsprechende Aufbereitung sorgen. „Ich muss mir hinterher keine Perücke aufsetzen, weil ich nach einer Betriebsprüfung dem Unternehmer beim Bummel durch Hagen besser kein zweites Mal begegnen möchte.“

Seit neun Jahren ist Julia Brinkmann als Betriebsprüferin für das Finanzamt Hagen unterwegs, nachdem sie ihre Karriere mit einem Studium an der Fachhochschule für Finanzen in Nordkirchen begonnen hat. Bevor sie als Betriebsprüferin eingesetzt war, hat sie die Abteilungen Veranlagung sowie Firmenstelle und die sogenannte Qualitätssicherungsstelle durchlaufen. Doch als Betriebsprüferin hat die Steueramtfrau (A-11-Beamtin, Vollzeit: ca. 3800 Euro brutto, bei einer 26-Stunden-Stelle rund 2400 Euro brutto) ihren Traumposten gefunden.

Chance zur Heimarbeit

Zumal das Finanzamt der allein erziehenden Mutter einer sechsjährigen Tochter die Chance eröffnet, die Aufarbeitung ihrer Fälle auch in Heimarbeit erledigen zu können. Dennoch muss die 38-Jährige mit der 26-Stunden-Stelle auch an einem Tag pro Woche an ihrem Schreibtisch in der Behörde präsent sein.„Es wird schon viel für die einzelnen Lebenssituationen der Beschäftigten getan“, betont die Beamtin, „das erleichtert die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.“ Natürlich muss Julia Brinkmann gelegentlich auch den augenzwinkernden Argwohn der Kollegen erdulden, sie säße daheim bei schönem Wetter bloß in der Sonne: „Es wurde festgestellt, dass gerade die Heimarbeitskräfte unter dem Strich aufgrund eines schlechten Gewissens mehr schaffen“, kommt prompt ihr Konter.

Aber auch bei ihren Tagen im Finanzamt fühlt sich Julia Brinkmann unter den Kollegen sehr wohl: „Ich komme immer gerne hierher, es herrscht ein gutes Arbeitsklima und ich arbeite in einem tollen Team. Gerade als Betriebsprüferin ist der Austausch vor Ort mit anderen Prüfern wichtig und hilfreich. Dadurch entwickeln sich auch abseits der Arbeit viele Bekannt- und sogar Freundschaften.“ Dies wird auch durch den Arbeitgeber außerhalb der Dienstzeit gefördert – beispielsweise bei den Treffen der wiederbelebten Fußball-AG.