Hagen.. Während die Ermittlungen wegen Menschenhandels bundesweit gestiegen sind, sind zuletzt von den Experten im Polizeipräsidium Hagen nur wenige Fälle bearbeitet worden. Im Fall einer jungen Afrikanerin, die durch die Angst vor Voodoo-Zauber zur Prostitution gezwungen wurde, kam es zu einem Urteil.
Gerade 18 Jahre alt war die junge Frau aus Nigeria, als sie in einem Bordell in der Düppenbecker Straße anschaffen musste. Mit der Hoffnung, in Europa als Kindermädchen arbeiten zu können, war sie in ihrem Dorf im tiefen Nirgendwo aufgebrochen. Die Familie hatte Geld gesammelt für diese Reise. Geld für eine Perspektive, eine Zukunft, die in Ausbeutung und Prostitution tausende Kilometer von der Heimat entfernt endete.
482 Verfahren im Jahr 2011 bundesweit
Kriminalhauptkommissar Matthias Hellebrand und Kriminaloberkommissar Carsten Goldbach kennen den Fall des Mädchens aus Afrika genau. Sie sind im Polizeipräsidium auf der Hoheleye die Experten für Menschenhandel. Für ein Delikt, unter dem der Gesetzgeber etwas anderes versteht, als der Volksmund. Und während die Statistik des Bundeskriminalamtes für das Jahr 2011 mit 482 Ermittlungsverfahren einen dreiprozentigen Anstieg im Vergleich zum Vorjahr ausmacht, ist der traurige Fall der Nigerianerin aus dem Jahr 2008 einer der wenigen, die auf der Hoheleye bearbeitet wurden.
Immerhin mit großem Erfolg, wie Klaus Müller, kommissarischer Leiter des Kriminalkommissariats 22 (der Abteilung für Organisierte Kriminalität) betont. Was keineswegs selbstverständlich ist. Eine sogenannte „Madame“, eine Art Zuhälterin, und ihr Mann wurden in Amsterdam verhaftet, in Hagen vor Gericht gestellt und schließlich zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.
Großer Druck lastet auf den Opfern
„All das war aber nur möglich, weil das Opfer eine detaillierte Aussage gemacht hat“, sagt Matthias Hellebrand, „ohne die wäre das Verfahren im Sande verlaufen.“ Der Druck, der auf die Opfer gemacht werde, sei unvorstellbar groß. Finanzielle Aspekte spielen eine Rolle, Sorge um die Familie in der Heimat, die Angst vor der Polizei und schließlich besonders bei Frauen aus Nigeria der tief verwurzelte Glaube an wundersame Voodookräfte.
So auch bei der 18-jährigen Afrikanerin. „Sie ist in Nigeria zur Schule gegangen“, sagt Carsten Goldbach. „Eines Tages ist sie von einer Frau angesprochen worden, die versprach, sie könne sie nach Europa bringen, wo sie viel Geld verdienen würde. Genug, um gut zu leben und noch ihre Familie in Afrika unterstützen zu können.“
Die Familie willigte ein und die 18-Jährige wurde zu einer Sammelstelle in die Küstenstadt Lagos gebracht. „Hier haben die Mädchen englischklingende Namen bekommen, die sie sich zum Teil selbst aussuchen durften“, sagt Matthias Hellebrand, „auf diese Namen wurden falsche Pässe ausgestellt. Über die Universität haben die Schlepper französische Studentenvisa besorgt.“
Schleuser auf Bahnsteig bezahlt
So landete die 18-Jährige zunächst in einem Hotel in Paris. Noch ohne etwas von ihrem Schicksal zu ahnen. Auch bei ihrer „Madame“ in Amsterdam, die noch auf dem Bahnsteig den Schleuser bezahlte, erging es ihr zunächst nicht schlecht. Sie war Teil der Familie. „Dann erhielt sie einen niederländischen Pass, der einem anderen Mädchen aus Schwarzafrika gehörte und wurde nach Hagen gebracht“, erklärt Carsten Goldbach. „Ihr wurde erklärt, wie man ein Kondom benutzt und was sie für welche Dienste zu verlangen habe. Den ersten Freier musste sie unter Aufsicht befriedigen.“
Massiv wurde die 18-Jährigen unter Druck gesetzt: Sie habe durch Reisekosten, Kosten für falsche Papiere und Unterbringung einen Schuldenberg von 60.000 Euro angehäuft. Den müsse sie abarbeiten. Im übrigen hielte sie sich illegal auf. Wenn sie zur Polizei ginge, würde sie sofort weggesperrt.
„Hinzu kam, dass die Madame in Amsterdam ein Foto von ihr gemacht hatte“, sagt Carsten Goldbach, „für uns ist das kaum vorstellbar: Aber sie hatte ernsthaft Angst davor, dass ihr durch Voodookräfte mit Hilfe dieses Bildes großer Schaden zugefügt werden könnte.“ Die „Madames“ wiederum seien untereinander so gut vernetzt, dass sie es mitbekommen würden, wenn sich ein Mädchen einem Landsmann an typischen Treffpunkten wie Afro-Shops anvertraue.
Das zumindest hat der „Madame“ in diesem Fall nicht geholfen. Sie wurde verurteilt. An die Hintermännern im Ausland ist die Polizei nicht herangekommen.