Hagen-Mitte.. Vor knapp einem Jahr stand sie auf einmal mitten im Aufenthaltsraum der Feuerwache Mitte. Die Kameraden waren gerade zum Frühstück zusammengekommen. „Ich wollte mich nur kurz bedanken“, sagte Alexandra Biederbeck damals.

Es war einer der ersten Tage, an dem sie ihr junges Leben wieder genießen konnte. Einer der ersten Tage, an denen sie begann, so etwas wie Dankbarkeit für dieses Leben zu empfinden. Davor lag eine andere Zeit. Eine, in der sie sich zurückgekämpft hat in dieses Leben. „Zwei Jahre Schmerzen“, sagt Alexandra Biederbeck, „manchmal hat mich das alles nur noch angekotzt. Warum haben die mich nicht einfach sterben lassen? Das habe ich mich oft gefragt.“

 Alexandra lebt. Überlebt hat sie, weil Einsatzleiter Alexander Zimmer von der Hagener Berufsfeuerwehr und seine Kameraden sie zurück in ihr Leben geholt haben. Jemanden sterben zu lassen – diese Option haben die Retter nicht. „Alexandra ist ein Beispiel dafür, dass es sich lohnt, um Leben zu kämpfen“, sagt Zimmer.

Außergewöhnliche Maßnahmen

Sie lebt, weil der Einsatzleiter und seine Kameraden außergewöhnliche Maßnahmen ergriffen haben – genau in jenem Moment, als es erforderlich war. „Heute bin ich dafür unendlich dankbar“, sagt Alexandra Biederbeck.

Das Golf-Cabriolet von Alexandra Biederbeck war nach der Kollision mit einem Linienbus stark beschädigt.
Das Golf-Cabriolet von Alexandra Biederbeck war nach der Kollision mit einem Linienbus stark beschädigt. © WR | WR

Rückblende: 11. November 2009. In ihrem lilafarbenen Golf-I-Cabriolet fährt Alexandra Biederbeck, damals gerade 19 Jahre alt geworden, auf der Bundesstraße 54 von Hagen aus in Richtung Dahl. In einer leichten Rechtskurve verliert sie aus bis heute ungeklärter Ursache die Kontrolle über ihr Auto. Das Fahrzeug gerät auf die Gegenfahrbahn und wird frontal von einem Bus der Hagener Straßenbahn erfasst.

„Um 17.47 ist der Notruf bei uns eingegangen“, sagt Alexander Zimmer. Er war zusammen mit der Freiwilligen Einheit aus Dahl zuerst an der Unfallstelle im Volmetal. „Alexandra war zwischen Sitz und Lenkrad eingeklemmt“, erinnert sich der Feuerwehrmann, „eine Atmung war nicht mehr vorhanden, an eine Wiederbelebung in der Situation nicht zu denken. Wir mussten handeln.“

Crash-Rettung

Crash-Rettung heißt die Maßnahme, bei der es darum geht, ein Unfallopfer möglichst schnell aus einer Zwangslage zu befreien. Mit einer hydraulischen Schere schneidet Zimmer das Lenkrad ab. Der Brustraum ist befreit. Alexandra bleibt bewusstlos. Aber wie durch ein Wunder setzt die Eigenatmung wieder ein. Alexandras Herz schlägt schwach – aber es schlägt.

Trotzdem glaubt Zimmer in diesem Augenblick noch nicht, dass das junge Mädchen überleben wird. Zu schwer scheinen die Verletzungen: verschiedenste Brüche und eine schwere Hirnverletzung. Zwei Notärzte und ein Feuerwehrarzt kämpfen um ihr Leben. Mit einem Rettungswagen wird Alexandra ins Allgemeine Krankenhaus gebracht. Um ein Hirnödem zu verhindern, muss die Schädeldecke angehoben werden.

Vier Wochen im Koma

Vier Wochen liegt Alexandra im Koma. Dann wacht sie erstmals auf. Erinnern kann sie sich daran nicht. „Mehr als ein komplettes Jahr ist wie von der Festplatte gelöscht“, sagt sie, „das Letzte, was mir noch im Kopf ist, ist mein 18. Geburtstag.“ Den hatte sie mehr als zwölf Monate vor dem Unfall gefeiert.

Erst nach und nach beginnt das Gehirn wieder, Eindrücke abzuspeichern. „Ich weiß noch, wie ich mich gefragt habe, warum ich im Urlaub bin und mein Vater nicht bei mir ist“, sagt Alexandra. „Das war in der Reha-Klinik in Hattingen. Ich dachte ernsthaft, ich würde dort Ferien machen.“

Sprechen lernen

Was ihr durch den Kopf geht, kann sie nicht in Worte fassen. Sprechen muss sie erst wieder mühsam lernen. Die Motorik funktioniert nicht. An Laufen ist nicht zu denken. „Ich habe das nicht eingesehen, musste im Bett und im Rollstuhl fixiert werden“, sagt Alexandra Biederbeck.

Siebenmal muss sie operiert werden. „Aber ich bin zäh“, sagt sie über sich selbst. „Ich habe in dieser Zeit viel gekämpft.“

Alexandra ist zurück im Leben, doch Folgen des schweren Unfalls bleiben: Die junge Frau, die sich als Dachdeckerin im zweiten Lehrjahr befand, wird nie wieder auf einem Dach arbeiten können. „Das ist das Schlimmste für mich“, sagt sie, „Dachdecker war mein absoluter Traumberuf.“

Träume bleiben

Momentan arbeitet sie in der Werkstatt des Caritasverbandes in Wehringhausen und poliert Autos. „Die Arbeit macht mir Spaß.“

Und Träume bleiben: Der von einer Karriere als Schauspielerin zum Beispiel. Oder der von einer Ausbildung zur Erzieherin: „Ich mag Kinder“, sagt sie. „In einem Kindergarten zu arbeiten – das wäre mein Ding.“

Das ist einer ihrer Wünsche für das neue Jahr.