Hagen. Abwägungssache: In Corona-Zeiten setzt Schüler Leon Figge eher auf Gesundheitsschutz denn auf Bildungsanspruch.
Leon Figge, angehender Abiturient des Ricarda-Huch-Gymnasiums in Hagen, fordert in diesem Jahr aufgrund der durch das Corona-Virus herrschenden Ausnahmebedingungen die Vergabe eines Durchschnittsabiturs: „Es wäre fair, wenn uns das Bildungsministerium mit dieser Alternative entgegen käme.“ Beim sogenannten Durchschnittsabitur, für das sich nicht wenige Initiativen in Nordrhein-Westfalen aussprechen, würde eine Durchschnittsnote aus den letzten Halbjahren errechnet, die ja ohnehin in die Abiturnote miteinfließen würden.
Bei einer gewünschten Verbesserung der Note könnte ein Schüler wie gehabt in eine mündliche Nachprüfung in einem seiner vier bereits gewählten Prüfungsfächer gehen. „Diese Nachprüfung kann theoretisch und auch praktisch per Online-Videocall absolviert werden und wie die üblichen Nachprüfungen gewertet werden“, sagt Leon Figge.
Niemand erhält automatisch das Abitur
Der RHG-Schüler weist Bedenken zurück, dass die Abiturienten durch eine solche Regelung die Reifeprüfung quasi geschenkt bekämen. Man benötige auf jeden Fall eine bestimmte Durchschnittsnote: „So wie man eine Mindestanzahl an Punkten für die Zulassung zum Abitur braucht.“ Es würde also nicht jeder automatisch sein Abitur erhalten. Das Abitur, so wie wir es kennen, sei dieses Jahr nicht möglich. Mit einer Durchführung widerspreche das Bildungsministerium den Behörden und dem Gesundheitsministerium. Die Bildung, in diesem Fall das Schreiben der Abiturklausuren, werde höher eingestuft als die Gesundheit der Schüler sowie der Mitmenschen.
„Doch in einer Gesellschaft haben die Gesundheit und das Wohl jedes Einzelnen über allem zu stehen“, findet Leon Figge.
Viele Abiturienten würden mit Bus und Bahn zu den Prüfungen fahren müssen, anschließend seien sie mehrere Stunden in einem Raum zusammen: „Und dann sollen wir hoffen, dass sich das Virus nicht ausbreitet?“ Virologen hätten bereits bewiesen, so Figge, dass das Corona-Virus mehrere Tage auf Oberflächen überleben könne und natürlich übertragbar sei.
Es reiche doch schon die Berührung des Nachbartisches, ein ausgetauschter Stift oder die Benutzung der Toiletten, um sich zu infizieren: „Die Ausbreitung des Virus wird dadurch vorangetrieben.“ Das Bildungsministerium schlage trotzdem vor, dass die Abiturienten auf engstem Raum ihre Prüfungen schrieben. Dabei komme man mit jedem Schüler in Kontakt, da jeder unterschiedliche Abiturfächer schreibe.
Familiäre Rahmenbedingungen passen nicht
„Wir sind am Ricarda-Huch-Gymnasium mit etwa 90 Schülern eine überschaubare Stufe. Trotzdem versammeln wir uns in der Schule.“ Auch die Lehrer hielten sich zu dem Zeitpunkt in der Schule auf. Darüber hinaus hätten viele Abiturienten schlichtweg Angst. Einige Familien seien durch die Krise in Existenznot geraten: „Und wir sind mit unseren Prüfungsvorbereitungen mittendrin.“ Der Computer müsse möglicherweise mit den Eltern und Geschwistern geteilt werden. Zudem würden viele Abiturienten zu Hause einen Beitrag leisten: „Wir beschäftigen unsere kleinen Geschwister, damit unsere Eltern arbeiten gehen können, sofern dies noch möglich ist. Wir telefonieren mit unseren Großeltern oder gehen für sie und unseren Nachbarn einkaufen. Wir unterstützen die Kranken und Hilfsbedürftigen. Wann sollen wir noch lernen?“
Einige Eltern oder auch Geschwister gehören wegen Vorerkrankungen oder anderen Gründen zu den Risikogruppen. Wenn man nach der Klausur nach Hause komme, davor mit zig anderen Abiturienten sowie Menschen in den Bussen und Bahnen in Kontakt gekommen sei, erhöhe man das Risiko, diesen Menschen zu schaden. Doch auch junge Menschen ohne Vorerkrankungen, wie ein Großteil der angehenden Abiturienten, könnten wegen des Corona-Virus sterben. Nach dem Beschluss der bundesweiten Schließung aller Schulen und des somit fehlenden Unterrichts, der Schließung der Büchereien und des Verbotes, sich mit mehr als zwei Personen zu treffen, sei es unmöglich, eine faire und gerechte Abiturvorbereitung zu haben: „Wir, der Abiturjahrgang 2020, haben keine fairen Bedingungen, so wie es Bildungsministerin Gebauer versucht darzustellen.“
Es gibt also eine faire Alternative, das Durchschnittsabitur. Damit hätten Jugendliche, die diese Alternative durchdacht und entwickelt haben, mehr geleistet und auf die Reihe bekommen als so mancher Politiker, findet Leon Figge. Doch obwohl es diese faire Alternative gebe, setze das Bildungsministerium nicht nur die Gesundheit der Schüler, sondern die Gesundheit ihrer Familien und Mitmenschen aufs Spiel: „Wohlwissend, dass die Gefahr, sich mit dem Corona-Virus anzustecken, für uns Abiturienten auch tödlich enden kann -- wie für jeden anderen Menschen.“