Hagen.. Die Ehe von Bernhard und Silke war gefestigt, krisenerprobt und für die Ewigkeit gedacht. Bis eine Affäre das Glück des Paares ins Wanken bringt.
Die Erinnerung an jenen Freitagabend im April hat sich in seine Gehirnwindungen eingebrannt. Damals entdeckte er jenen Liebesbrief, der zur emotionalsten Zäsur seines Lebens werden sollte. Die monatelange Affäre seiner Frau mit diesem Typen hat tiefe Narben in seiner Seele hinterlassen – für seine Mitmenschen unsichtbar, aber für ihn unauslöschlich. Dieser Ehebetrug war nicht bloß ein Flirt, ein leidenschaftlicher Kuss oder ein Seitensprung für eine Nacht.
Sie hatte sich verliebt, über Wochen und Monate mit einem anderen ihre Emotionen geteilt, pure sexuelle Geilheit genossen. Bernhard selbst funktionierte seinerzeit bloß in seinem Alltagstunnel, ohne sich überhaupt vorstellen zu können, was um ihn herum geschah. „Es tut mir so unendlich leid, aber es ist nun einmal passiert“, sagt Silke heute. „Ich würde ihm so gerne helfen, denn ich sehe doch, wie er permanent leidet.“ Bernhard quält das Geschehene auch vier Jahre danach: „Jeden Tag tauchen in meinem Kopf Bilder auf, wie sie sich mit dem anderen vergnügt, ihm ihren Körper schenkt.“ Und dennoch: Beide sind bis heute ein Paar.
Lustvolle Erinnerungen
Es war nie Bernhards Art, seiner Silke hinterherzuschnüffeln. Warum auch? Ihre Ehe war für ihn unantastbar, eine unerschütterliche Konstante, stärker als jeder Streit, als jede Krise im Job – voller Intimität und Vertrautheit. Doch an diesem Abend nimmt er zum wiederholten Male leichten Zigarettengeruch wahr, als sie abends aus dem Fitnessstudio nach Hause kommt. Dabei hatte sie seit Jahren keine Kippe mehr angerührt. Neugierig wirft er einen verschämten Blick in ihre Handtasche, aus der tatsächlich eine Schachtel Marlboro hervorlugt – und jener verhängnisvolle Brief an irgendeinen Dirk: Mit leidenschaftlichen Worten schwelgt sie dort in lustvoller Erinnerung an jüngst erlebte sexuelle Erfüllung und offenbart ihm ihre leidenschaftlichen Gefühle und Sehnsüchte.
Bernhard geben die Knie nach und Eiseskälte erfasst seinen Körper. Immer wieder liest er die handgeschriebenen Zeilen seiner Frau, der Mutter seiner Kinder, der einzigen Vertrauten seiner Emotionswelt, der Liebe seines Lebens, die ihre Gefühle und ihren attraktiven Körper jetzt offensichtlich noch lieber einem anderen verschenkt.
Betrogene leiden unter Langzeitfolgen
Nur die Hälfte der Paare nimmt es mit der Treue ernst, wie eine Studie der Uni Göttingen bei mehr als 3000 befragten Frauen und Männern belegt. 49 Prozent der Männer und sogar 55 Prozent der befragten Frauen gaben an, mindestens einmal untreu gewesen zu sein.Viele WiederholungstäterKonsequenzen gezogen haben daraus nur wenige, denn es gilt eher die alte Regel: einmal Fremdgänger, immer Fremdgänger. 20 Prozent der Frauen und 17 Prozent der Männer gestanden bei der Befragung, ihre Partner bereits zweimal betrogen zu haben. 15 Prozent der weiblichen und 22 Prozent der männlichen Befragten haben sich sogar mehr als dreimal auf Sex-Abenteuer mit einer fremden Person eingelassen.Der Seitensprung, so ein weiteres Resultat der Studie, gilt als eines der schlimmsten Ereignisse, das eine Partnerschaft belasten kann. Dabei ist die Dauer des Betrugs zweitrangig, die emotionalen Folgen bleiben sich gleich. Das Vertrauen in den Partner ist in jedem Fall zerrüttet. LiebesserieDie Forschungsergebnisse zeigen, dass Opfer eines Seitensprungs oft traumatisiert sind. Sie leiden unter Langzeitfolgen, die sowohl körperlicher als auch seelischer Natur sind. Diese posttraumatischen Belastungsstörungen sind eine Reaktion auf existenziell bedrohliche Ereignisse wie Misshandlung, Vergewaltigung, Kriegserlebnisse oder eben auch Seitensprünge.Die Göttinger Studie ergab, dass über 80 Prozent der Opfer eines Seitensprungs ihrem Partner gegenüber misstrauisch bleiben. Als weitere Folge treten häufig Depressionen auf, die Opfer empfinden Demütigung. Sie fühlen sich lustlos, ohnmächtig und hinterfragen den Sinn ihres Lebens. Hinzu kommen Konzentrationsschwierigkeiten, Alpträume und Schlafstörungen.
Als er schweigend zu Silke ins Wohnzimmer zurückkehrt, dauert es nur Sekunden, bis sie ihn anspricht: „Was ist los mit Dir?“ „Nichts.“ Doch sie kennt ihn lang genug, um sofort zu spüren, dass Dynamit in der Luft liegt. Dieser Abend wird furchtbar: Vorwürfe, Entschuldigungen, Bekenntnisse, Trostversuche, Abweisungen, Tränen, Gespräche, getrenntes Schlafen, ohne Schlaf zu finden. Sie schreien und schweigen sich an, nehmen sich in den Arm, weisen den anderen ab und heulen zusammen Rotz und Wasser. Natürlich fordert Bernhard seine Frau auf, die Affäre sofort zu beenden. Sie verspricht’s, er mag ihr nicht glauben.
Wie könnte er auch. Der einzige Mensch in seinem Leben, dem er hundertprozentig vertraut, hat ihn gnadenlos betrogen und damit den Boden unter den Füßen weggerissen. „Ich war so einsam“, erinnert sich Bernhard, konnte über Wochen keinen klaren Gedanken mehr fassen. „Mir war plötzlich alles egal, das Leben ohne Sinn. Alles, was wir uns aufgebaut hatten, erschien mir plötzlich wie ein gigantisches Lügengebäude.“ Leere, Dunkelheit, totale Depression.
Bis heute hat er mit keinem Menschen über das Geschehene gesprochen. „Bitte sag niemandem etwas“, flehte Silke damals, damit weder Familie noch Freunde etwas mitbekommen. Bernhard hat sich daran gehalten, alles mit sich selbst ausgemacht. Ein Prozess, der bis heute nicht abgeschlossen ist, der vielleicht niemals endet. „Fast jeden Morgen erwache ich mit Gedanken an ihr Fremdgehen und am Abend schlafe ich mit Bildern im Kopf ein, wie sie sich mit dem Anderen an verschiedensten Orten vergnügt.“ Sobald sie zum Sport fährt, sind seine Ängste wieder da.
Begehrt gefühlt: Zweisamkeit aus den Augen verloren
„Wir hatten unser Zweisamkeit aus den Augen verloren“, erinnert Silke sich an jene Monate zurück, als sie auf einmal Gefühle für Dirk entwickelte. Erst war es nur ein Kaffee nach dem Fitnesstraining, dann gemeinsame Spaziergänge, heimliche Treffen auf einem Waldparkplatz, später auch in seiner Wohnung. Es war ein Rausch der Hormone. Lustvoll, immer wieder. „Ich habe mich plötzlich wieder so begehrt und wertgeschätzt gefühlt“, war es für Silke eine Flucht aus dem Alltag mit Bernhard, der mit Routine, Verpflichtungen und Sorgen sie aufzufressen drohte. Wie ein verknallter Teenie bewegte sie sich in einer Gefühlsblase, die mit der Lebensrealität wenig zu tun hatte. Es fühlte sich irgendwie erfüllend an. Wie sehr sie damit ihren Ehemann verletzt hat, kann sie bis heute nur vermuten. Die Affäre hat sie prompt beendet.
Im Jetzt leben
Bernhards Fantasie reicht aus, um zu erahnen, was sich über Monate abgespielt hat. Silke hat mit ihm darüber gesprochen, ohne Details zu beschreiben. Sein Verständnis von Zweisamkeit basierte immer auf einem Urvertrauen, das man sich über Jahrzehnte erarbeitet hatte. Treue, Aufrichtigkeit und Verlässlichkeit waren für ihn nicht bloß Vokabeln aus billigen Groschenromanen, sondern Fundamente, die durch diese Affäre unwiederbringlich pulverisiert wurden. Silke sagt immer: „Lass uns versuchen, im Jetzt zu leben.“ Aber für Bernhard hat jedes Jetzt immer auch eine Vergangenheit, auf dem es fußt.
„Wie kann ich Dir helfen“, fragt Silke, wenn sie beobachtet, wie Bernhard in Zweifeln versunken ins Leere starrt. „Ich weiß es nicht.“ Diese Momente sind seltener, aber ihr Eheleben anstrengender geworden. Unbekümmertes Miteinanders voller emotionaler Leichtigkeit erleben sie nur selten. Sie arbeiten Beziehung, beobachten sich intensiver, achten aufeinander, schaffen sich Freiräume für Zweisamkeit. „Unsere Liebe erinnerte mich immer an eine Burg, an der wir jederzeit die Zugbrücke hochziehen konnten, um uns vor der Außenwelt zu schützen, zu genießen und Kraft zu tanken“, schämt sich Bernhard nicht, in kitschige Metaphern abzugleiten. „Aber durch die Affäre wurde unsere Burgmauer zerstört.“
Die Verletzungen bleiben
Eine neue Festung aufzubauen, möchte Bernhard gar nicht erst versuchen. Da ist er desillusioniert. Er plant lieber kurzfristig. Hinterfragt. „Zu oft“, fordert Silke neues Vertrauen ein. „Ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht, den ich nicht ungeschehen machen kann.“ Bernhard glaubt an ihre Reue, aber die Verletzungen bleiben. Sie hat über Monate ihre Liebe und ihre Lust einem Dritten geschenkt, während sie parallel ungerührt auch mit ihm geschlafen und ihm Harmonie vorgegaukelt hat. „Ohne Gefühle hätte ich mich gar nicht darauf einlassen können“, bekennt sie. Aber genau das ist es, was es für Bernhard so unerträglich macht: das Doppelleben, die zwei Gesichter, dieser emotionale Betrug abseits der puren Lust, den er nicht bemerkt hat. „Ich habe ihr verziehen, aber ich werde es niemals vergessen können.“ Ihre Liebe werde sich stets unter einer Glocke des Zweifels bewegen. „Bis dass der Tod uns scheidet“, so hofft er zumindest.