Hagen..

Durch den Klassenraum der 7a der Hauptschule Altenhagen weht ein Hauch der Kaiserzeit. Den Platz von Kunststoffmöbeln haben historische Holzbänke und -tische eingenommen, auf denen Schiefertafeln mit Schwämmchen liegen. Vor einer Landkarte, die das Deutsche Reich zu Zeiten Kaiser Wilhelms II. zeigt, steht Lehrer Gerd Eicher. Griffbereit auf seinem Pult befindet sich ein Rohrstock, der einst zur Züchtigung ungezogener Schüler diente.

Doch keine Sorge – der Pädagoge greift nicht auf antiquierte Erziehungsmethoden zurück. Vielmehr zeigt das ungewohnte Inventar, wie es 1912 in deutschen Klassenzimmern aussah und zuging. Denn genau vor 100 Jahren wurde das Schulgebäude an der Friedensstraße eröffnet. Und hat seither eine bewegte Geschichte hinter sich.

Evangelische und eine katholische Volksschule

Als das Gebäude am 16. April 1912 eingeweiht wurde, waren die Verantwortlichen mächtig stolz, ein überaus modernes Bauwerk geschaffen zu haben. Vorbei waren die Zeiten, als Schüler über düstere Flure schlurften, denn der Neubau mit seiner offenen Halle im Mittelpunkt, den umlaufenden Gängen und dem Glasdach galt als überaus modern. Die zeitgemäße Architektur spiegelte sich natürlich auch in der Namensgebung wider: „Hallenschule“ hieß fortan die Lehranstalt.

War der Baustil für damalige Zeiten überaus en vogue, setzte man in Sachen Schul- und Erziehungsform auf Altbewährtes. Das Gebäude beheimatete eine evangelische und eine katholische Volksschule; „und die Schüler einer jeden Konfession durften nur die ihnen zugewiesene Treppe benutzen“, erzählt Gerd Eicher. Zudem zog 1932 die Realschule in einen frei gewordenen Gebäudeteil.

Notlazarett und Kaserne

Seine Spuren hinterlassen sollte die Zeit des Nationalsozialismus: Die beiden Volksschulen wurden kurzerhand in eine Gemeinschaftsschule umgewandelt und nach dem von Kommunisten ermordeten Hitlerjungen in Herbert-Norkus-Schule umbenannt.

Als es 1943 wegen feindlicher Bombenangriffe in Hagen zur allgemeinen Schulschließung kam, wurde auch die Lehranstalt an der Friedensstraße dicht gemacht. „Viele Schüler und einige Lehrer gelangten mit der Kinderlandverschickung nach Pommern“, weiß Eicher, der sich intensiv mit der Historie seines Arbeitsplatzes beschäftigt hat. „Das Gebäude diente dann bis zum Kriegsende als Notlazarett und Kaserne, der Keller als Luftschutzraum.“

Bekannte Schüler

In den letzten Kriegstagen schlug noch eine Brandbombe in das bis dato unbeschädigte Dach ein, das erst 1948 erneuert wurde. Anschließend beherbergte das Gebäude dann wieder die evangelische und die katholische Volks- sowie die Pestalozzi-Schule, ehe Ende der 60er – im Zuge der Bildungsreform – die Funckeschule und die Hauptschule Altenhagen-Süd einzogen.

Mitte der 1980er-Jahre entstand schließlich das Modell, das noch heute Bestand hat: Die Funckeschule zog aus und am Standort Friedensstraße vereinten sich die beiden Hauptschulen des Stadtteils zur Hauptschule Altenhagen.

„Einige bekannte Persönlichkeiten haben hier die Schulbank gedrückt“, weiß Lehrer Gerd Eicher. „Zum Beispiel der Hagener Maler Uwe Will und der Schriftsteller Carlo Ross. Aber auch Johannes Joachim Kardinal Degenhardt oder der Schlagersänger Freddy Breck.“ Dessen bekanntestes Lied passt gut zum Jubiläum seiner einstigen Schule: „Rote Rosen, rote Rosen. . .“

Fest zum Jubiläum

Einen 100. Geburtstag gibt es nicht alle Tage zu feiern. Das dachten sich offenbar auch Schüler und Lehrer der Hauptschule Altenhagen, denn am morgigen Samstag laden sie zu einem Fest ein, das es in sich hat.

„Alle Klassen beteiligen sich an der Feier“, berichtet Lehrer Marc Beinhold, während er in der Sporthalle gemeinsam mit Carsten Reichelt, Direktor des Zirkus Quamboni, eine Gruppe auf ihren artistischen Auftritt vorbereitet. „Diese Schüler sind nur ein Beispiel dafür, was wir auf die Beine gestellt haben“, fügt er hinzu.

Alte Fotos und Dokumente

In der alten Friedensstraßenhalle ist ebenfalls einiges los: Dort trainiert die Tanzgruppe, die – wie sollte es anders sein – Tänze aus den vergangenen 100 Jahren zum Besten gibt. „Auch sie haben lange geprobt“, ist sich Beinhold sicher, dass ein sehenswertes Ergebnis dabei herausspringt.

Überhaupt haben sich die Verantwortlichen einiges einfallen lassen, damit das Programm dem Anlass gerecht wird. So können Besucher „rechnen wie vor 100 Jahren“, im Café Nostalgie alte Fotos und Dokumente bestaunen oder erleben, was damals auf dem Schulhof gespielt und im Sportunterricht gelehrt wurde. Einige Jugendliche interviewten und filmten zudem ehemalige Schüler, die erzählen, wie der Alltag an der Friedensstraße früher aussah.

Ein kleines Überraschungsei

Andere Gruppen beweisen indes, dass die Zeit auch in Altenhagen nicht stehengeblieben ist. Ein Chor singt topaktuelle Songs wie „New Age“ oder „Vom selben Stern“, ihre Mitschüler laden zeitgleich zum Kinderschminken ein.

Im Raum von Schulleiter Jürgen Böller laufen derzeit alle Fäden auf einer überdimensionalen Pinnwand zusammen. Böller selbst ist erst seit einem Jahr in Altenhagen tätig und kann sich noch gut an seinen ersten Arbeitstag erinnern. „Damals hat man mir sofort gesagt: ‘Nächstes Jahr steht die 100-Jahr-Feier auf dem Programm. Die gilt es zu organisieren.’“, erzählt er schmunzelnd. „Das war schon ein kleines Überraschungsei.“

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