Hagen.. Der Blaue Tisch des Architekten- und Ingenieurvereins wurde in Vorhalle aufgestellt, denn den von der Eisenbahn geprägten Stadtteil plagen Leerstände – aus ganz unterschiedlichen Gründen.

Der Maßstab 1:1 ist durch nichts zu ersetzen. Gemäß dieser Überzeugung lädt der Architekten- und Ingenieurverein Mark Sauerland (AIV) regelmäßig zum Blauen Tisch, um sich über die Situation markanter Gebäude oder die Entwicklung bestimmter Stadtquartiere zu informieren. „Wir wollen den Stadterneuerungsprozess vorantreiben und dazu beitragen, neue Ideen zu finden“, so Johann Dieckmann, Architekt und Vorstandsmitglied im AIV.

Da war es nur folgerichtig, dass der Blaue Tisch jüngst in Vorhalle aufgestellt wurde, denn den von der Eisenbahn geprägten Stadtteil plagen Leerstände – aus ganz unterschiedlichen Gründen. Die ehemalige Gießerei Becker steht seit ihrer Stilllegung in den 80er-Jahren teilweise leer, die Turnhalle in der Nöhstraße steht leer, weil sie einsturzgefährdet ist, zwei Geschäftslokale in der Fußgängerzone stehen leer, weil sich keine Interessenten finden, die Hauptschule steht in zwei Jahren leer, weil sie aufgelöst wird, und das Stadtteilhaus steht (fast) leer, weil immer mehr Einrichtungen abgezogen wurden.

Triste Wohnstraße

Der infrastrukturelle Wandel manifestiert sich am deutlichsten in der Reichsbahnstraße, die mit Kneipen und kleinen Geschäften einst das pulsierende Herz des Ortes bildete und heute als triste Wohnstraße daherkommt: „Die Reichsbahnstraße hat sich zu einer Art Stiefkind entwickelt und einen schlechten Ruf bekommen“, so Benno Schmolke, ehemaliger Hauptschullehrer, der die Teilnehmer des Blauen Tisches durch den Stadtteil führte: „Eigentlich will hier keiner mehr wohnen.“ Eine Bemerkung, die er sogleich zurückzog, nachdem Christel Hackenberg Einspruch erhoben hatte: „Hier wohnen viele türkisch sprechende Familien, die sich ihre Wohnungen mit ihrer Hände Arbeit gekauft haben. Die fühlen sich hier knüllewohl.“

Bald darauf war die Gruppe auf der zum Bahnhof führenden Fußgängerbrücke angelangt, von wo aus der Blick auf das schadhafte Dach der ehemaligen Gießerei Becker fiel:

Gießerei Becker

Seit Jahrzehnten dämmert das Gebäude zum Ärger der Vorhaller vor sich hin. Benno Schmolke („Eine schmutzige Ruine“) wünscht sich, dass auf der Brache Kleingewerbe angesiedelt wird. Die Immobilie wurde nach der Schließung der Gießerei versteigert und befindet sich im Besitz von Wilfried Weyreuter (72), der einen Teil für seinen Verpackungs-Großhandel nutzt: „Und solange die Stadt mir kein anderes Grundstück anbietet, auf dem ich meinen Geschäften nachgehen kann, werde ich hier nicht wegziehen“, sagt der erfolgreiche Unternehmer, dessen Unternehmensgruppe auch Niederlassungen in Delstern und Wetter besitzt.

Weyreuter betont, dass sich keine Altlasten mehr auf dem Areal in Vorhalle befinden. Bei den Stadtplanern jedoch ist das ca. 35.000 Quadratmeter große Gelände in Vergessenheit geraten, wie die Aussage von Tim Lux von der für die Wirtschaftsförderung zuständigen Hagen-Agentur beweist: „Die Gießerei Becker kennen wir gar nicht. Die sehe ich heute zum ersten Mal.“ Johann Dieckmann forderte mehr Engagement ein: „Wenn wir uns nicht endlich um die vielen Brachflächen kümmern, implodiert diese Stadt irgendwann.“

Turnhalle Nöhstraße

Die traditionsreiche Sportstätte, in der Generationen von Vorhallern geschwitzt haben, ist seit rund einem Jahr wegen Baufälligkeit gesperrt. Roger Becker von der Gebäudewirtschaft Hagen teilte mit, einige Wände würden sich nach außen beulen.

Eine statische Sanierung der in den 20-er Jahren errichteten Halle wäre aufwändig und würde 330.000 Euro kosten – zu viel für die finanziell angeschlagene Stadt. Da sie für den Schul- und Vereinssport nicht benötigt wird, will die Stadt sie verkaufen, so Christine Grebe, Fachbereichsleiterin Immobilien: „Da die Halle etwas Besonderes darstellt, überlegen wir zudem, sie unter Denkmalschutz zu stellen.“

Hauptschule

Im Zuge der Neuordnung der Hagener Schullandschaft wird die Schule aufgelöst, Unterricht findet nur noch bis 2015 statt. Ein Umzug der in Hohenlimburg beheimateten Förderschule Wilhelm Busch nach Vorhalle ist vom Tisch, dafür geistert die Idee, das Servicezentrum Sport in die Hauptschule zu verlagern, nach wie vor in den Köpfen der Menschen herum. „Leider ist die Nachnutzung des Gebäudes in keinster Weise gesichert, aber das Servicezentrum Sport wäre eine runde Sache für Vorhalle“, so Ratsfrau Sybille Klos-Eckermann.

Stadtteilhaus

Das Gebäude wurde vor allem auf Initiative von Vorhaller Frauen geplant und 2003 eingeweiht. Neben städtischen Einrichtungen mieteten sich dort eine Begegnungsstätte der Arbeiterwohlfahrt und ein Kindergarten ein. Die Volkshochschule und das Gesundheitsamt sind inzwischen ausgezogen, das Bürgerbüro wird bald folgen.

Auch die AWo denkt über einen Weggang nach. „Wir haben uns bemüht, Gaststätten anzuwerben, aber dafür eignen sich die Räume nicht“, so Marianne Kerpal vom Vorhaller Forum. Immerhin wird das Haus häufig für private Feiern angemietet. Um die finanziellen Probleme zu lösen, wird über die Gründung eines Fördervereins nachgedacht.