Hagen.. Marco Zeh und Daniel Igwe pflegen eine fast vergessene Tradition: die handgemachte, spontane Kneipenmusik. Wir haben sie dabei begleitet.

Ich war ja mal der „kleine Tanzbär“ – damals in der roten Gruppe eines städtischen Kindergartens. Dann wurde ich zu demjenigen, der beim Abschlusskonzert der Musikschule Anfang der 80er Jahre in der Stadthalle nur Mundbewegungen machen durfte. 500 Kinder auf der Bühne sangen für doppelt so viele Eltern. Einer durfte nicht.

So ähnlich sollte das auch an diesem Abend werden. Ich hatte es versprochen. Weil ich keinen Ton treffe, weil der Rhythmus fehlt. Kein Gesang, kein Tanz. Ausgerechnet bei Helene Fischer in der „Brau­stube“ am Fuße des Rembergs ist dieser gute Vorsatz nach Pils Nummer zwei vergessen.

Sie singen für Menschen

Applaus für ein Ständchen. Igwe und Zeh bereiten einer jungen Dame Freude mit ihrer Musik.
Applaus für ein Ständchen. Igwe und Zeh bereiten einer jungen Dame Freude mit ihrer Musik. © Unbekannt | Unbekannt

Dabei ist es nicht diese blonde Augenweide, die in der urigen Pilskneipe ihr fabulöses Liedgut zum Besten gibt. Maze (Marco Zeh) und Dr. M’Fumba (Daniel Igwe) – sie spielen, und sie singen. Zwei gebürtige Hasper, die nur mit ihren Gitarren und ihren Stimmen auf Tournee gehen. Nicht auf den großen Bühnen dieser Welt. Eher auf den ganz kleinen. Als Kneipenmusikanten auf Tuchfühlung mit einem Publikum, das eigentlich gar keine „Musi“ bestellt hat.

Marco Zeh und Daniel Igwe, der Sozialarbeiter aus dem Kultopia und der Berufsschullehrer, singen für Menschen, die sie (noch) nicht kennen. So wie für Thomas, das Geburtstagskind, das mit Freunden und Verwandten an diesem Abend auf sein neues Lebensjahr anstößt.

„Von Ravel bis Helene“

„Was hörst du denn für Mucke, Thomas?“ – „Von Ravel bis Helene.“ Also bitte Frau Fischer – unplugged und aus zwei starken Männerkehlen. Atemlos und mit viel Liebe. Und dann „Trink’ noch ene mit“. Und weil das Geburtstagskind („Ich würd’ ja gern“) gerade auf dem Trockenen sitzt, muss noch schnell ein Glas Gerstensaft für den Thomas und die beiden Barden her – auf den Deckel des Hauses.

Der weibliche Teil der illustren Geburtstagsgesellschaft zückt seine Smartphones und filmt die Ständchen samt Zugabe. „No woman, no cry“. Die Männer singen mit. Die Stimmung steigt. Einer geht noch...

Tradition der klassischen Kneipenmusik

Auf der Hochzeit der Tochter sollen die beiden Spontan-Musiker wieder ran. Man tauscht die Telefonnummern. Musik verbindet.

Die Kneipenmusiker bei der Arbeit.
Die Kneipenmusiker bei der Arbeit. © Unbekannt | Unbekannt

Nicht nur an diesem Abend. Regelmäßig ziehen Marco Zeh und Daniel Igwe los. Meist ganz spontan, wenn sie die Lust auf einen Auftritt überkommt. Oft entlang der S-Bahn-Linie 8 Richtung Wuppertal, manchmal in Hagen. „Die Tradition der klassischen Kneipenmusik ist in unseren Breitengeraden längst vergessen“, sagt Marco Zeh, „ich hab’ bayrische Wurzeln. Vielleicht ist uns deshalb die Idee gekommen, diese Art der Musik wiederzubeleben. Gleichgesinnte sind uns noch nicht begegnet.“

Sie scheinen die einzigen einer ausgestorbenen Zunft. Doch weil es so viel Spaß macht, singen sie trotzdem weiter. Nicht in den klassischen Szene-Lokalen großer Ketten, eher in der traditionellen Eckkneipe, wo sonst der Schlager aus den Boxen dröhnt.

„Ti amo“ noch für Ulrike, noch ein Geburtstagskind, das am Fuße des Rembergs kräftig feiert. Nicht aus der Box. Live, auf Tuchfühlung und mit einem verführerischen Augenaufschlag.

Matthias Reim zum Abschied

Ein Hut geht rum und füllt sich. Jeder gibt, was ihm das Entertainment wert ist. Ein kleiner Dank für rund 45 Minuten beste musikalische Unterhaltung mit breitestem Repertoire. Ach ja – und einen haben sie noch zum Abschied – Matthias Reim: „Ich ziehe durch die Straßen bis nach Mitternacht...“

Also geht es weiter: Honselstube am Bergischen Ring, wo ein junger Junggesellinnen-Abschied und eine verlegene Bedienung mit roten Bäckchen „besungen“ werden und begeistert applaudieren.

Der Erfolg verleiht an diesem Abend Flügel. Was aber nicht immer und überall der Fall ist. „Am Quambusch haben wir mal in einer Kneipe ,With or without you’ von U2 gesungen. Wir haben uns den Arsch aufgerissen, aber nichts kam zurück“, erzählt Daniel Igwe. Falscher Song, falsches Publikum, falsche Kneipe. „Dann musst du halt dein Ding durchziehen, das Publikum brav loben und die Kneipe wieder verlassen.“

Kneipe verlassen ist gut. Ende des musikalischen Abends, Ende der Vorstellungen. Der Tanzbär trottet heim. Bierselig und mit Helene im Ohr. Atemlos durch die Nacht. Unplugged in einer einmaligen Akustik-Version.