Ennepetal. Julia Tomann aus Ennepetal erkrankt an einem seltenen NUT-Karzinom. Ein Kampf, den sie verliert. Ihr Mann erzählt, wie sie dennoch stark blieb.

35 Jahre. So alt wäre Julia Tomann am 19. Oktober geworden. Die junge Frau liebte das Reisen und das Leben mit ihrem kleinen Sohn und ihrem Mann Moritz. Doch die Ennepetalerin, die noch so viel in ihrem Leben vorhatte, verstirbt am 20. September im Krankenhaus. Nur wenige Monate nach einer erschütternden Diagnose: Krebs.

Auf dem Porträt schaut sie mit einem strahlenden Lächeln in die Kamera. Die Augen funkeln. Julia Tomann sieht glücklich aus. Sie ist beruflich erfolgreich, heiratete 2021 ihren Freund Moritz, den sie schon seit Kindheitstagen kennt. Schließlich macht 2022 Sohn Milo das Glück des jungen Ehepaars perfekt. Der große Wunsch von Julia ist es, einmal alle Hauptstädte Europas zu bereisen.

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Doch nach einem Urlaub mit der Familie bekommt die junge Frau im April Schmerzen in ihrem Bein. Die ersten Vermutungen: Ischias, vielleicht ein Bandscheibenvorfall. Julia Tomann bekommt eine Physiotherapie verschrieben, doch die Schmerzen werden nicht weniger. Dazu kommt eine starke Erkältung, ihr Arzt stellt schließlich eine Lungenentzündung fest. Sie nimmt Antibiotika, glaubt, sich besser zu fühlen. Beim Röntgen der Lunge, um zu prüfen, ob die Entzündung abheilt, sieht Julias Arzt Gewebe in ihrer Lunge, das dort nicht hingehört.

Die Diagnose: eine sehr seltene Krebserkrankung

Der Arzt veranlasst eine Biopsie, nimmt zunächst an, dass es sich um ein Lymphom handelt. „Wenn sich das bewahrheitet, wird das in Julias Alter gut in den Griff zu bekommen sein“, erzählt ihr Mann Moritz von der Annahme der Ärzte.

Doch die Gewebeprobe ergibt Mitte Juni etwas anderes. Etwas sehr seltenes. Bei dem Tumor in Julias Lunge handelt es sich um ein NUT-Karzinom – eine Krebserkrankung mit einer sehr schlechten Prognose für den Erkrankten. „Da spricht man von einem Fall in Deutschland pro Jahr. Weltweit gibt es nur ein paar hundert dokumentierte Fälle“, erklärt Moritz Tomann. Diese Krebserkrankung taucht typischerweise in der Lunge auf. Doch auch auf Julias Beckenknochen hat sich bereits ein Tumor gebildet. Daher stammen ihre Schmerzen im Bein.

„Sie hatte ja keine Wahl. Die Alternative war, zu sterben.“

Moritz Tomann

Aufgeben? An der Diagnose verzweifeln? Das kommt für Julia Tomann nicht in Frage. Die junge Frau kämpft sich durch zwei Chemotherapien. „Sie hatte ja keine Wahl. Die Alternative war, zu sterben. Und wir haben immer gesagt: Sie macht das. Im Grunde gab es nie den Zweifel daran, dass es irgendwann auch wieder besser wird“, sagt Moritz Tomann. Und die Chemos schlagen an: Der Tumor wird kleiner. Das beflügelt Julia. „Das wird schon alles wieder gut“, spricht sich das junge Ehepaar gegenseitig Mut zu.

Erinnerung an eine Reise an den Gardasee: Julia Tomann und ihr Mann Moritz. Im Kinderwagen liegt ihr gemeinsamer Sohn Milo. Reisen war eine der Leidenschaften von Julia Tomann.
Erinnerung an eine Reise an den Gardasee: Julia Tomann und ihr Mann Moritz. Im Kinderwagen liegt ihr gemeinsamer Sohn Milo. Reisen war eine der Leidenschaften von Julia Tomann. © privat | Privat

Julia hadert auch nicht mit Fragen wie „Warum ich, warum wir?“. Das ist nicht ihre Art. „Da war eher die Frage: Warum kriegt das überhaupt jemand?“, sagt Moritz Tomann. Das entnommene Gewebe von Julias Tumor reist für die Krebsforschung durch ganz Deutschland. Unter anderem an Universitätskliniken in Ulm, Tübingen und Regensburg werten Ärzte dieses seltene NUT-Karzinom aus. Diesen Untersuchungen stimmt die junge Frau natürlich zu. „Wenn man damit auch nur ein Menschenleben retten kann, dann los“, ist ihre Devise.

Und auch Julia hofft auf Rettung. Doch schließlich die Nachricht: Der Tumor wächst wieder, hat eine Resistenz gegen die Chemotherapie entwickelt. „Ab dem Zeitpunkt fand kaum noch eine Therapie statt“, erzählt Moritz Tomann. Die Ärzte tun alles, um ihr den Zustand so erträglich wie möglich zu machen. Geben ihr Blutzufuhren, weil ihr Körper keine Blutkörperchen mehr produzieren kann. Helfen ihr mit Physiotherapie und psychologischen Gesprächen. Ihre Familie und Freunde – sie alle wechseln sich an Julias Krankenhausbett ab, stehen ihr bei, hoffen mit ihr. Zu diesem Zeitpunkt sprechen die Ärzte von Wochen, die ihr noch bleiben. Doch wie viele? Zwei, acht, zwölf?

Hoffnungen liegen auf einem Medikament aus den USA

„Wir haben uns gesagt, es gibt niemanden, der an dieser Diagnose schuld ist. Es ist halt Schicksal. Es ist kein Autounfall, wo jemand einem betrunken ins Auto gefahren ist. Man kann auf niemanden sauer sein. Das fanden wir eigentlich sehr gut“, schildert Moritz Tomann die Gedanken des Paares in diesen Wochen.

Einen Hoffnungsschimmer birgt ein Medikament aus den USA, das in Europa keine Zulassung hat. Auf dessen Lieferung wartet die junge Frau und die ganze Familie hofft mit ihr. „Trotz der schlechten Prognose hatten wir das Medikament aus den USA im Hinterkopf, dass das vielleicht nochmal die Wende bringt.“

Doch zu der erhofften Wendung sollte es nicht mehr kommen. Vier Wochen, nachdem sie die Mitteilung bekommen hat, dass der Tumor wieder größer wird, geht es der jungen Mutter eines Morgens deutlich schlechter als in den Tagen zuvor. Sie fühlt sich schlapp, ist unruhig. Ihr Mann Moritz ist an ihrer Seite, als ihre Atmung schließlich schlechter wird.

Am 20. September verstirbt Julia Tomann im Krankenhaus. Moritz Tomann beschreibt den Abschied von seiner Frau: „Es war gut so, wie es war. Und es war gut, dass es nicht zu einem großen Verabschieden gekommen ist, als sie das noch mitbekommen hat. Dass man sich nicht aktiv von Leuten verabschieden muss.“ Keine letzten Male – das habe Julia nicht gewollt. „So war das erträglicher.“

Für ihn selbst habe dort, an ihrem Sterbebett, die Zeit stillgestanden. „Das war dieser Moment, indem man durchatmet und sagt: ,Okay, jetzt beginnt eine andere Zeit.‘ Das war für mich wie ein Anlaufnehmen.“ Für diese andere Zeit. Eine Zeit ohne Julia.

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