Ennepe-Ruhr-Kreis. Ärzte warnen: Neues Gesetz gefährdet Patientenversorgung auch in Schwelm, Gevelsberg und Ennepetal.

Wer Diabetes hat und von seinem Hausarzt in einer sogenannten Schwerpunktpraxis behandelt wird, dem drohen in Zukunft längere Wartezeiten auf Termine. Grund dafür ist das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG), das Bundesgesundheitsminister Dr. Karl Lauterbach plant. Es stärkt zwar die Rechte von Hausärzten und Patienten, nimmt sie aber auch mehr in die Pflicht. Das bedeutet, dass in Hausarztpraxen, die sich auf bestimmte Krankheiten wie Diabetes spezialisiert haben, zukünftig mehr Arbeit zukommt. Und das zu Lasten von Patientinnen und Patienten.

Hausärzte zu stärken macht Sinn

Diabetologen gibt es in dieser Region nicht so viele. Einer befindet sich im Praxiszentrum an der Voerder Straße in Ennepetal. Da Dr. med. Johannes Hering als Facharzt in einer Gemeinschaftspraxis mit zwei Hausärzten arbeitet, ist er von der neuen Regelung nicht betroffen, wie es aus der Praxis auf Nachfrage heißt. Anders sieht das für die nächstgelegene Diabetes- und Stoffwechselpraxis in Wetter aus.

„Grundsätzlich macht das neue Gesetz Sinn. Schließlich sollen auch die Hausärzte gestärkt werden“, erklärt Dr. Stephan Schleyer, der gemeinsam mit seiner Frau Silke London-Schleyer in Volmarstein die Diabetes- und Stoffwechselpraxis betreibt. Viele Patienten seien bei mehreren Hausärzten in Behandlung. Das bedeute für die Ärzte, dass es mehr Abrechnungen gebe. Zumal auch Behandlungspläne nicht immer im Einklang sind, wenn Patienten sogenanntes „Ärzte-Hopping“ betreiben.

Dr. Stephan Schleyer betreibt mit seiner Frau Silke London-Schleyer eine Diabetes- und Stoffwechselpraxis.
Dr. Stephan Schleyer betreibt mit seiner Frau Silke London-Schleyer eine Diabetes- und Stoffwechselpraxis. © WP | Yvonne Held

Doch so positiv sich das Gesetz auch zunächst darstelle, habe es einen riesigen Haken, wie Dr. Schleyer erklärt. Es gibt sogenannte Schwerpunktpraxen, die sich beispielsweise um Diabetes-, HIV- und Schmerzpatienten kümmern. Diese Schwerpunktpraxen gehören dem hausärztlichen Sektor an, sind also keine Fachärzte. „Wenn das Gesetz so durchgewunken wird, dann können wir diese Schwerpunkte nicht mehr in dem Maße anbieten, wie wir es jetzt tun, denn dann müssten wir die hausärztliche Versorgung übernehmen und kämen mit unserem Schwerpunkt nicht mehr hinterher. Oder wir würden weniger vergütet bekommen, weil hausärztliche Leistungen nur einmal abgerechnet werden dürfen“, erklärt Dr. Schleyer das Problem. Weniger Einnahmen bedeuteten dann auch weniger Personal und dementsprechend weniger Behandlungen. „Wir würden rund 20 Prozent weniger Behandlungen vergütet bekommen“, so Dr. Schleyer. Das mache Strukturen kaputt, die sich seit vielen Jahren bewährt hätten.

Facharztsitze sind besetzt

Nun könnten die sogenannten Schwerpunktpraxen sich als Facharztpraxen spezialisieren. Wäre das Problem dann nicht behoben? Dr. Schleyer verneint. „Die Fachpraxensitze in der Region sind alle besetzt“, sagt er. Das bedeute jedoch nicht, dass es genug Diabetologen gebe, sondern dass auch fachfremde Praxen die Stellen besetzen. Aber es gebe nun mal nur einen Topf, aus dem die spezialisierten Ärzte ihre Vergütung bekommen, dabei spiele es keine Rolle, ob der Urologe, der Orthopäde, der Dermatologe oder eben ein Diabetologe die Rechnung einreicht. Je mehr Fachärzte es gebe, desto kleiner werde der Topf für die anderen und desto weniger Behandlungen können angeboten oder vergütet werden.

Bundesverband sieht Existenzen gefährdet

„Der am 22. Mai verabschiedete Entwurf des Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzes bedroht aus Sicht des Bundesverbandes niedergelassener Diabetologen (BVND) die Existenz vieler diabetologischer Schwerpunktpraxen und damit insbesondere die künftige Versorgung von chronisch und schwer erkrankten Patientinnen und Patienten“, heißt es in einer Pressemitteilung des Verbandes. Er ruft auf seiner Internetseite www.bvnd.de zu einer Petition gegen den Entwurf auf. „Vielen Praxen und vor allem auch unseren Patientinnen und Patienten ist immer noch nicht bewusst, welche Bedrohung der Versorgung in diesem Gesetzesentwurf steckt“, so Dr. Toralf Schwarz, Vorsitzender des BVND.

Das steckt im GVSG

Durch das GVSG soll der Hausarztberuf deutlich attraktiver, die ambulante regionale Versorgung gestärkt, die hausärztliche und die ambulante psychotherapeutische Versorgung weiterentwickelt, der Leistungszugang verbessert und die Transparenz erhöht werden, so schreibt es das Gesundheitsministerium auf seiner Internetseite.

Es hebt dabei hervor, dass der Hausarztberuf deutlich attraktiver werden soll und nennt diverse Punkte, wie beispielsweise das Entfallen der Budgetvorgaben für Hausärzte, Versorgungspauschalen für chronisch Kranke und die Einführung von Vorhaltepauschalen.

Zudem sollen Service- und Leistungsqualität der Krankenkassen für Versicherte künftig jährlich verpflichtend transparent veröffentlicht werden.

Kernprobleme des Gesetzesentwurfes seien unter anderem die geplante Umstellung von Quartalspauschalen auf Jahrespauschalen für die Versorgung von chronisch erkrankten Menschen. Zudem sollen die Vorhaltepauschalen an bestimmte Kriterien geknüpft und gestaffelt ausgezahlt werden. „Einige dieser Kriterien sind für typische diabetologische Schwerpunktpraxen kaum umsetzbar. Wir fordern daher, den Status als Schwerpunktpraxis als alternatives Kriterium aufzunehmen“, so Schwarz weiter. Diese Ansicht teilten auch die Deutsche Diabetes Gesellschaft e.V. (DDG) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV).

„Einige dieser Kriterien sind für typische diabetologische Schwerpunktpraxen kaum umsetzbar. Wir fordern daher, den Status als Schwerpunktpraxis als alternatives Kriterium aufzunehmen.“

Dr. Toralf Schwarz  
Vorsitzender des BVND

Kosten werden mit einer Pauschale nicht gedeckt

Zudem bildeten Jahrespauschalen bei multimorbiden Patienten, Menschen mit Typ-1-Diabetes oder Typ-2-Diabetes mit Folgeerkrankungen nicht die Versorgungsrealität ab. Hierzu Schwarz: „Hier bedarf es eines engen Kontaktes zu den Patientinnen und Patienten. Häufige Praxisbesuche sind schon allein wegen der regelmäßigen unverzichtbaren Laborkontrollen notwendig. Schwerpunktpraxen wie zum Beispiel in der Diabetologie versorgen genau diese vulnerabel Erkrankten.“ Die notwendigen Behandlungskosten würden mit dem Entwurf nicht gedeckt.