Schwelm. Über 70 Jahre lang bestimmte die Landsmannschaft Ostseestrand das kulturelle Leben in Schwelm mit. Deshalb wird sie sich nun auflösen.
Achim Czolbe ist seit dem 20. Februar 2010 Vorsitzender der Landsmannschaft Ostseestrand. Dieser Tage hat er seine schwerste Entscheidung für den Verein öffentlich gemacht. Die traditionsreiche Landsmannschaft, der Menschen aus Pommern, West- und Ostpreußen und Danzig angehören und die über 70 Jahre lang das gesellschaftliche Leben in Schwelm bereichert hat, wird zum 31. Dezember 2021 aufgelöst.
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In den Monaten der Corona-Pandemie hat sich die Zahl der Mitglieder von 38 auf 20 verringert. „Aus Alters- und gesundheitlichen Gründen und der Kündigungen der Mitgliedschaft einiger Mitglieder ist es uns nicht mehr möglich, die anfallenden Kosten zu stemmen und die nötigen Arbeiten zu leisten, die für eine Aufrechterhaltung des Vereinslebens zu leisten sind. Somit ist eine Auflösung unserer Landsmannschaft Ostseestrand Schwelm vorbestimmt“, begründet Achim Czolbe den Entschluss, der ihm sichtlich schwergefallen ist. Die Zusammenkünfte im VfB-Sportlerheim und auch die Ausflugsfahrten hat Achim Czolbe bisher immer gemeinsam mit seiner Frau Erika organisiert. Unterstützt wurde das Ehepaar von Heidi Ventura und Gisela und Gerd Tolkmit. Doch durch eine Änderung seiner Lebensumstände kann der noch amtierende Vorsitzende diese Arbeit nicht mehr leisten.
Vergeblich Nachfolger gesucht
Ein Nachfolger sei auch nicht in Sicht. „Das Amt will keiner haben. Vor allen Dingen die schriftliche Arbeit und die Organisation der Veranstaltungen will keiner übernehmen“, sagt der 80-Jährige, der sich vergebens um einen Nachfolger bemüht hat. Der Sache der Vertriebenen will Achim Czolbe aber als Kreisvorsitzender des Bundes der Vertriebenen (BdV) treu bleiben. Die Landsmannschaften allgemein plagen schon seit Jahren Nachwuchssorgen. Wohl 13 Ortsvereine hätten sich mangels Mitglieder in seiner Amtszeit auflösen müssen. Auch der Altersdurchschnitt in Schwelm sei mittlerweile bei deutlich über 75 Jahren angelangt. Bevor die Kasse ins Minus gerät, hat Achim Czolbe jetzt die Reißleine gezogen. „Das angesparte Geld reicht gerade noch, um die Pflege des Ostdeutschen Gedenksteins an der Döinghauser Straße aufrecht zu erhalten“, sagt der ehemals selbstständige Frisörmeister aus der Oberstadt, der 2003 in den Ruhestand gegangen ist.
Ostdeutsche Gedenkstein
Der Ostdeutsche Gedenkstein liegt Achim Czolbe besonders am Herzen, sorgt er doch dafür, dass an die vielen Vertriebenen, die auch in Schwelm eine neue Heimat gefunden haben, erinnert wird und deren alte Heimat im Osten nicht in Vergessenheit gerät. Der Gründer der Landsmannschaft Ostseestrand in Schwelm, Otto Petersdorff, hatte den großen Stein einst besorgt. Der 28 Tonnen schwere Stein stammt von der Erweiterung der A1 auf drei Spuren im Anschlussbereich Schwelm. Damals hätte der Fels dort gesprengt werden müssen, sagt Czolbe. Eingeweiht wurde die Gedenkstelle im Park an der Bahnhofstraße am 30. April 1983 mit einer großen Feier. Beim Bau der Häuser der Grünewald-Stiftung gegenüber des Evangelischen Feierabendhauses musste der Stein im Februar 2014 mehrere Meter an seine heutige Stelle versetzt werden. Auf Bronzetafeln trägt der Gedenkstein die Inschrift: „Unsere Heimat im Osten. Die Vertriebenen.“ Rechts davon sind weitere Bronzetafeln mit den Wappen vom Pommern, Danzig, Ostpreußen, Ostbrandenburg, Schlesien, Westpreußen und dem Sudetenland zu finden.
Dauerausstellung im Haus Martfeld
Ein weiteres wichtiges Anliegen ist Achim Czolbe die Dauerausstellung „Neubeginn und Heimatliebe“ im Haus Martfeld. Knapp 8000 Menschen kamen nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Osten als Flüchtlinge nach Schwelm. Damit hatte knapp jeder vierte Bürger der Stadt einen Migrationshintergrund. Notdürftig wurden die Menschen aus dem Osten zunächst in Turnhallen untergebracht und anschließend bei Schwelmer Familien einquartiert, teilweise auch gegen deren erbitterten Widerstand. Die gleiche deutsche Sprache einte sie zwar, aber es trafen unterschiedliche Kulturen und Bräuche aufeinander. Die Ausstellung erinnert an die Herkunft der Flüchtlinge und ihr Schicksal und zeichnet die Geschichte der Schwelmer Landsmannschaften Ostseestrand und Schlesien nach.
Was bleibt, sind die Erinnerungen an die zwei bis drei Fahrten im Jahr zur Mosel, Weser, zum Möhne- oder Biggesee, die schönen Feiern wie zu Erntedank. „Ich bin seit 1968 in der Landsmannschaft, habe ihren Aufstieg in der Stadt und ihren Verfall miterlebt“, resümiert der noch-Vorsitzende wehmütig. Dank zollt Achim Czolbe aber besonders seiner Erika, mit der er seit nunmehr 53 Jahren verheiratet ist. „Wenn meine Frau mich nicht so unterstützt hätte im Beruf und beim Ostseestrand, hätte ich das alles nicht machen können.“