Schwelm/Gevelsberg/Ennepetal. Im EN-Kreis sind weniger als 40 Prozent der Menschen geimpft, dennoch will kaum noch jemand einen Termin haben. Impfzentren werden geschlossen.
Es mutet an wie aus einer weit zurückliegenden Vergangenheit, aber tatsächlich sind erst wenige Wochen ins Land gezogen, seit ein Impftermin so etwas wie ein Sechser im Lotto war. Die Terminvergaben inklusive Priorisierung liefen oft nicht rund, waren Zielscheibe von massiver Kritik und kaum etwas hatte im Leben der Menschen einen höheren Stellenwert als die Antwort auf die Frage: „Wann werde ich endlich geimpft?“ Diese Frage hört man nun kaum noch jemanden aussprechen. Der Ennepe-Ruhr-Kreis vermeldete für die vergangene Woche 2300 unbesetzte Impftermine und Biontech – vor Kurzen noch der Rolls Royce unter den Corona-Vakzinen – ist mittlerweile im Überfluss vorhanden. Dennoch sind nicht einmal 40 Prozent der Menschen im Ennepe-Ruhr-Kreis durchgeimpft. Wie passt das zusammen? Und: Wie ist der Ennepe-Ruhr-Kreis für eine mögliche vierte Welle gerüstet?
Eine Sache ist Michael Schäfer, Leiter des Krisenstabs für den Ennepe-Ruhr-Kreis, besonders wichtig: „Wir haben bislang keinerlei Impfstoff weggeworfen.“ Das zu vermeiden, bedeute aber auch zunehmende Anstrengungen. Warum noch nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung geimpft ist, aber der EN-Kreis sich immer stärker anstrengen muss, seine Termine zu vergeben, darüber machen sich auch die Mitglieder des Krisenstabs intensive Gedanken. Denn: Selbst wenn alle Kinder und Jugendlichen, die nicht geimpft werden dürfen, sowie diejenigen, die sich offen als Impfgegner bekennen, abgezogen werden, bleiben noch Zehntausende Menschen übrig, die nicht geimpft sind, es für eine Herdenimmunität aber sein müssten. „Den einen Grund dafür gibt es nicht“, sagt Michael Schäfer, der mit seinem Team immer intensiver auf allen Kanälen die Werbetrommel für das Impfen rührt.
+++ Alle Zahlen zur Coronapandemie im Ennepe-Ruhr-Kreis +++
Beispielsweise hat die Verwaltung festgestellt, dass Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund deutlich weniger zum Impfzentrum Ennepetal oder zum Drive Impf nach Schwelm gekommen sind. „Wir glauben, dass wir da noch längst nicht alle erreicht haben. Über unser kommunales Integrationszentrum, wollen wir nun verstärkt an diese Gruppen“, sagt der Chef des Krisenstabs. Dazu kommen Impfungen vor Ort, bei Gruppen, die sich grundsätzlich nicht darum kümmern, zum Impfzentrum zu gelangen, beispielsweise die Roma. Ebenso fahren die mobilen Impftrupps Obdachlosen- und Asylunterkünfte ab. Zusätzlich im Blick: Es lassen sich im Ennepe-Ruhr-Kreis nur wenige junge Menschen unter 30 impfen. Das sind allerdings diejenigen, die wieder feiern gehen. „Diese Altersgruppe rennt uns nicht gerade die Bude ein“, sagt Schäfer.
Auch deshalb erhöht der Kreis sein Angebot: „Weiterhin gilt die Impfbrücke. Das heißt, dass sich jeder anmelden kann, der abends von uns benachrichtigt wird, wenn noch Dosen frei sind“, sagt Michael Schäfer. Ein weiterer Baustein sollen Stadtteilimpfungen werden. „Wir müssen uns so breit wie möglich aufstellen und immer neue Angebote schaffen. Das ist insbesondere mit Blick auf die Delta-Variante wichtig“, sagt Schäfer.
Doch aktuell scheint das Thema die Menschen kaum noch zu berühren. Die Inzidenzen sind niedrig wie seit langem nicht mehr, die Lockerungen nehmen zu. Das Leben verläuft fast wieder normal. Dementsprechend schraubt auch der Ennepe-Ruhr-Kreis seinen Aufwand, den er seit Pandemiebeginn im März 2020 betreibt, sukzessive zurück: Der Krisenstab trifft sich nur noch zwei- anstatt siebenmal pro Woche, der Drive Impf an der Dreifeldhalle in Schwelm wird zum 31. Juli endgültig abgebaut. Doch der Kreis wiegt sich nicht in Sicherheit: „Wir bereiten uns natürlich auch auf eine vierte Welle vor. Insbesondere mit Blick auf die Reiserückkehrer, die bereits im vergangenen Jahr für zahlreiche Neuinfektionen gesorgt haben.“ Alles andere als sich darauf einzustellen sei aus seiner Sicht fahrlässig. Deshalb sind alle Strukturen im Ennepe-Ruhr-Kreis derzeit darauf ausgelegt, bei einer wieder dramatischeren Lage alles wieder hochzufahren.
Aus diesem Grund betrachtet der Leiter des Krisenstabs vor Ort die Ankündigung des Landes Nordrhein-Westfalen, alle Impfzentren im Land zum 30. September zu schließen mit einer gewissen Sorge. „Sollte es notwendig sein, weil Nachimpfungen für Varianten wichtig sind oder die Impfunwilligen doch kommen, weil das Geschehen wieder dramatischer wird, können wir nicht einfach wieder loslegen.“ Sei das Impfzentrum, für dessen Mietung und Nutzung auch Verträge bestehen, geschlossen, sei es nicht mehr möglich dieses von heute auf morgen auch wieder zu öffnen. „Wir können nichts Neues innerhalb von zwei Tagen aus dem Boden stampfen“, sagt Michael Schäfer und macht damit noch einmal ganz deutlich wie wichtig es ist, vorher die benötigten mindestens 70 Prozent für eine Herdenimmunität zu impfen.