Redakteur Bernd Richter hat eine klare Meinung zum fehlenden Augenmaß beim Schwelmer Ordnungsamt.
Der Verordnungswahn in deutschen Amtsstuben ist legendär. Doch seit Corona und den im gefühlten Stundenrhythmus geänderten Bestimmungen scheinen alle Grenzen gefallen zu sein. Wie lässt es sich erklären, dass ich meine Laugenstange in der Altstadt Bäckerei in der Nostalgiezone kaufen kann und sie ungestraft vor der Eingangstür der Bäckerei Kaiser am Bürgerplatz verzehren darf? Doch wenn ich bei Kaiser mein Backware kaufe und diese vor der Hirsch Apotheke verspeisen, kostet das in Schwelm 128,50 Euro. Dieses Verwarngeld ist rechtens und durch die Coronaschutzverordnung abgedeckt. Es geht aber noch doller. Ich kaufe mir die Laugenstange und schenke sie meiner Frau oder meinem Enkelkind. Diese Personen dürfen dann die Laugenstange vor Kaiser verspeisen, denn sie haben die Laugenstange ja nicht selbst gekauft. Ich kann mir ja auch meine Backwaren selbst beim Gang durch die Fußgängerzone mitbringen. Hier ist dringend Fingerspitzengefühl erforderlich.
Die Schonzeit für Corona-Sünder, die gegen die Schutzverordnung verstoßen, ist auch in Schwelm ganz offensichtlich mit dem Fall Okrongli endgültig vorbei. Genau so muss man es sehen, wenn der Verzehr einer Laugenstange 25 Meter von der Bäckerei entfernt, an der sie gekauft worden ist, mit 128,50 Euro vom Ordnungsamt der Stadt geahndet wird. Bei dieser strengen Vorgehensweise hört für viele der Spaß auf. Die Gefahr einer Coronainfektion ist sicherlich nicht zu unterschätzen. Doch der Staat läuft Gefahr, bei den Bürgern an Glaubwürdigkeit zu verlieren, wenn er mit Kanonen auf Spatzen schießt und der Bürger Entscheidungen nicht mehr nachvollziehen kann.
Augenmaß und Fingerspitzengefühl sind so eine Sache. Der Bürgermeister ist bei solch einer Entscheidung in der Zwickmühle. Einerseits muss er seinen Mitarbeitern vertrauen, dass sie dieses Fingerspitzengefühl im Beruf leben. Andererseits kann er ihnen nicht so einfach in den Rücken fallen und einen Bußgeldbescheid im Nachhinein wieder aufheben, wenn eine sicherlich nicht populäre Entscheidung öffentlich wird. Ihm droht der Verlust an Autorität.