Schwelm. Nach Corona-Ausbrüchen in zahlreichen Kitas müssen hunderte kleine Kinder zum PCR-Massentest nach Schwelm. Vor Ort herrscht Chaos.
Es regnet, es ist bitterkalt, der Wind peitscht den Kindern – allesamt maximal sechs Jahre alt – ins Gesicht. Zu Hunderten stehen sie mit ihren Eltern in einer langen Schlange vor dem Testzentrum in der Lessingstraße in Schwelm. Kein Essen, nichts zu trinken, keine Möglichkeit sich zu bewegen – und keine Toilette. Zwei Stunden harren sie mit ihren Eltern auf Anweisung des Gesundheitsamts des Ennepe-Ruhr-Kreises dort aus. Die Eltern sind auch Tage danach noch auf 180, fragen sich, wieso die Organisation derart katastrophal gelaufen ist. Der Ennepe-Ruhr-Kreis erläutert die Situation aus seiner Sicht.
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Mittendrin auch eine Mutter aus Ennepetal mit ihrer dreijährigen Tochter, die berichtet, was sich in Schwelm am vergangenen Wochenende abspielte. Hintergrund sind die zahlreichen massiven Corona-Ausbrüche in den Kindergärten, -tagesstätten und Familienzentren in den neun Städten des Ennepe-Ruhr-Kreises. Allein in der vergangenen Woche waren 30 Einrichtungen komplett geschlossen, weil dort massive Ausbrüche in Schnelltests festgestellt worden waren. Um die Einrichtungen so bald wie möglich wieder öffnen zu können, habe man eine möglichst verlässliche Klarheit über das Geschehen gewinnen und für mehr Sicherheit sorgen wollen, sagt Ingo Niemann, Pressesprecher des Ennepe-Ruhr-Kreises.
Wegen der Vielzahl an betroffenen Kitas habe in der Kürze der Zeit nicht überall vor Ort eine eigene Einrichtungsdiagnostik erfolgen können. Stattdessen wurde auf das zentrale Testzentrum an der Lessingstraße in Schwelm zurückgegriffen. Eine Kooperation mit anderen Testzentren, so verdeutlicht Ingo Niemann, war nicht möglich, weil per PCR getestet wurde und der EN-Kreis die Ergebnisse sofort gesammelt vorliegen haben wollte.
Keine wetterfeste Kleidung
So erhielten alle Eltern einen Brief mit einer Uhrzeit, zu der sie sich ausdrücklich pünktlich am Testzentrum neben dem Kreishaus einfinden sollten. „Es folgte sogar noch eine E-Mail, in der stand, dass wir uns unbedingt an die angegebenen Zeiten halten müssen“, sagt die Ennepetalerin, die um 10.30 Uhr auf das Parkdeck des Kreishauses rollte, wo das Ende der Warteschlange bereits angekommen war. „Es hat geregnet, es war bitterkalt. Niemand hat damit gerechnet, dass wir mit den Kindern derart lange warten müssen“, sagt die Ennepetalerin.
So reihten sich immer mehr Kinder zwischen zwei und sechs Jahre mit mindestens einem Elternteil in die Schlange der Wartenden ein. Kaum geschützt gegen Kälte, Wind und Regen. „Es hat auch niemand Gertänke oder Essen mitgenommen. Am Schlimmsten war allerdings, dass nirgendwo eine Toilette vorhanden war. Die Eltern haben ihre Kinder am Rinnstein abgehalten, weil sie so dringend mussten.“
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Die Stimmung unter den Wartenden wurde immer schlechter, die Kinder immer quengeliger, die Sorgen der Mütter und Väter immer größer. „Abstände konnten gar nicht mehr wirklich eingehalten werden, sonst hätte sich die Warteschlange bis in die Altstadt gezogen“, sagt die Ennepetalerin. So machten sich viele Sorgen, dass ihre gesunden Kinder mit nachweislich infizierten auf engem Raum stehen. Dies sieht jedoch der Ennepe-Ruhr-Kreis nicht in seiner Verantwortlichkeit. „Überhaupt nicht nachvollziehbar“ ist für die Kreisverwaltung der Vorwurf fehlender Abstände. Im dritten Jahr der Pandemie sollte hier jeder „eigenverantwortlich genug sein“, sagt Ingo Niemann.
Zwei DRK-Kräfte machen Abstriche
Nicht alle Eltern und auch die Erzieherinnen, die zum PCR-Test gebeten wurden, bleiben auch tatsächlich, fahren wieder nach Hause. Einige lassen ihre Wut an den Kita-Leitungen aus, die überhaupt keine Verantwortung für dieses Chaos tragen, einige lassen ihrem Ärger gleich vor Ort freien Lauf, als sie das Testzentrum betreten. „Dort saßen insgesamt fünf junge DRK-Leute, die total freundlich waren, und so schnell wie es ihnen möglich war, gearbeitet haben. Zwei von ihnen haben die Abstriche gemacht“, sagt die Mutter aus Ennepetal. Dennoch wurden auch sie Zielscheibe von Frust und Wut.
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„Wir haben mehr als 50 positive Fälle entdeckt, die zuvor bei den Schnelltests negativ gewesen waren“, sagt Lisa Radtke, Pressesprecherin des Ennepe-Ruhr-Kreises auf Nachfrage der Redaktion. Das Gesundheitsamt, das beim Kreis angesiedelt ist, hätte damit geplant, 25 Tests in 15 Minuten vollziehen zu können. Dementsprechend waren auch die Zeitfenster für die Eltern verteilt worden.
Organisation für künftige Tests offen
Ob die Organisation bei möglichen folgenden Einrichtungsdiagnostiken verändert und nach dem Ärger am vergangenen Wochenende angepasst werden, konnte der Kreis noch nicht beantworten. Auch ob ein anderer Ort für derartige Massentests nicht sinnvoller sei – beispielsweise die Turnhalle des Berufskollegs in Ennepetal – müsse erst geklärt werden.