Gevelsberg/Ennepetal. Walter Ballermann (79) aus Gevelsberg kommt bei einem Unfall mit dem Leben davon. Sein Anwalt soll ihm danach noch Geld unterschlagen haben.
Über dem kleinen Tisch neben der Küche hängt ein Luftballon in Form einer Drei. Es sieht noch nach Fete aus. „Wir haben meinen dritten Geburtstag gefeiert“, sagt der 79-Jährige Walter Ballermann aus Gevelsberg und lächelt dabei. Seit seinem schweren Unfall mit einem Lkw 2019 feiert der Rentner zweimal im Jahr Geburtstag.
Dabei ist ihm bis heute eigentlich nicht zum Lachen zumute, wenn er daran denkt. Natürlich auch wegen des Unfalls, klar. Er zieht sich damals lebensgefährliche Verletzungen zu, kommt mit einem Hubschrauber ins Krankenhaus, liegt im Koma. Ärzte kämpfen um sein Leben. Mit Erfolg.
Dass er damit bis heute nicht abschließen kann, liegt aber auch an dem Anwalt, den er im Nachhinein mit der Schadensregulierung beauftragt. Ein Kontakt, der über einen Verwandten zustande kommt. Jetzt – viele Monate nach Ballermanns Nahtoderfahrung – sehen er und sein früherer Rechtsvertreter sich vor Gericht.
Zwar hat der Ennepetaler (51) schon mehrere hundert Mal in seinem Leben dort gesessen – mal als Strafverteidiger, mal als Unfallabwickler. Die Rolle als Angeklagter ist für den einstigen Rechtsanwalt aber neu: Vor dem Schöffengericht Hagen werden ihm nun Versicherungsbetrug, Urkundenfälschung und die Unterschlagung von Mandantengeldern vorgeworfen.
Früherer Prozess verschoben
Zu den Geschädigten zählt der 79-jähriger Rentner aus Gevelsberg. Er war bereits als Zeuge in einem Verfahren vor dem Amtsgericht Schwelm geladen. Da ging es um den Vorwurf der Untreue gegen eben jenen Rechtsanwalt. Das war noch 2021. Wegen Corona verschob sich der Termin, fand schließlich gar nicht statt. „Ich bin noch nicht mal dazu gehört worden“, ärgert Ballermann sich. In einem noch früheren Verfahren fällte das Gericht bereits ein Versäumnisurteil gegen den Anwalt.
Jetzt das Verfahren vor dem Schöffengericht, in dem der Ennepetaler Advokat sich zu den dort gemachten Vorwürfen äußert. Er führte seine Anwaltspraxis jahrelang im Hagener Stadtteil Vorhalle. Doch im Sommer 2019 war er von jetzt auf gleich nicht mehr persönlich erreichbar: Mandanten wurden von einer Angestellten am Telefon abgewimmelt und vertröstet.
Aufgrund von Mietrückständen, waren ihm die Büroräume gekündigt worden. Dort stapelte sich die ungeöffnete Post. Der Rechtsanwalt hatte, weil ihm offenbar alles über den Kopf wuchs, bereits insgeheim seine Zulassung zurückgegeben und sich („aus gesundheitlichen Gründen“) in ein Krankenhaus einweisen lassen: „Verdacht auf Herzinfarkt und Depressionen. Dem Stress, dem ich durch meinen Beruf ausgeliefert war, wollte ich mich nicht weiter aussetzen“, erklärte er. Die Schwelmer Berufskollegin Sonka Mehner wickelte seine Kanzlei ab, Insolvenz musste angemeldet werden.
Jurist lebt von Krankentagegeld
Wie konnte es zu der Riesen-Pleite kommen? Mit rund 600 Schadenregulierungsfällen im Jahr und als Strafverteidiger in mehreren Großverfahren war der Ennepetaler eigentlich sehr gut im Geschäft.
Doch 2010 hatte er eine Immobilien-GmbH gegründet und dafür privat gebürgt. Auch hatte er einen Dispo-Kredit über 60.000 Euro in Anspruch genommen – der ihm aufgekündigt wurde. Fortan hieß es: „Alle Gläubiger müssen sich nun an den Insolvenzverwalter wenden.“ Seit Ende Juli 2019 bis heute befindet sich der studierte Jurist „im Krankenstand“ und lebt von Krankentagegeld: „Im Moment bewege ich mich da im pfändungsfreien Bereich.“
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Das dürfte seinen ehemaligen Mandanten Walter Ballermann bestimmt nicht beruhigen. Seit drei Jahren wartet der Rentner aus Gevelsberg-Silschede nun auf mehr als 2600 Euro, die eine Versicherung an seinen damaligen Anwalt in mehreren Teilbeträgen überwiesen hatte – treuhänderisch, zur Weiterleitung.
Bislang hat Ballermann davon noch keinen Cent gesehen: „Bei mir ist nie was angekommen. Mittlerweile sind schon 4500 Euro aufgelaufen“, erklärt der resolute Senior, der sich mit einer Gehhilfe in den Gerichtssaal schleppen musste, im Zeugenstand.
Der Ex-Anwalt hat die Entschädigungssumme, wie er nun selbst einräumt, nicht weitergeleitet: „Kann sein, dass Zahlungen auf mein Konto gegangen sind. Dann ist mir das durchgegangen“, versucht der Angeklagte den Vorwurf der Mandantengelder-Unterschlagung kleinzureden. Nein, das hätte er wirklich nicht nötig gehabt, denn nach Auskunft seiner Sparkasse sei er „der umsatzstärkste Einzelanwalt Hagens“ gewesen.
Auch fingierte Autounfälle?
Jährlich seien drei Millionen Euro Fremdgelder über sein Treuhandkonto gegangen. Dann verspricht er vom Anklagestuhl aus dem geschädigten Rentner: „Ich werde das sukzessive wiedergutmachen.“
Ob Walter Ballermann jemals sein Geld sehen wird? Der 79-Jährige hat sich in die Insolvenzliste eintragen lassen und muss nun hoffen. Der ehemalige Rechtsanwalt beteuert: „Es tut mir aufrichtig leid, ich entschuldige mich. Sie sind der Erste, der sein Geld bekommt“, verspricht der Angeklagte.
Schon Ende dieses Monats will der Jurist wieder eigenes Geld verdienen, allerdings in einer ganz anderen Sparte: Im Bereich der Physiotherapie. „Als Angestellter in einer Firma, die gerade erst gegründet wurde“. Dabei ginge es um die Kältebehandlung von Patienten zur Therapie bei Rheuma.
Doch zuvor muss der Ennepetaler erst noch dieses Strafverfahren hinter sich bringen. Am 16. Mai soll es fortgesetzt werden. In zwei weiteren Anklageschriften wird dem gelernten Juristen noch vorgeworfen, an fingierten Autounfällen mitgewirkt und gefälschte Schadensmeldungen vorgelegt zu haben. Dabei geht es auch um Abrechnungsbetrug gegenüber Versicherungen.