Gevelsberg. Dominik Schikorra aus Gevelsberg ist 34 Jahre alt, als er die Diagnose Analkrebs bekommt. Warum ihn das nicht aus der Bahn werfen konnte.
Als sein Hausarzt feststellt, dass er Blut im Stuhl hat, denkt Dominik Schikorra erst an Hämorriden. Weitere Untersuchungen ergeben aber etwas ganz anderes: Der Gevelsberger hat Analkrebs. Es ist 2018, als er die Diagnose bekommt. Zu diesem Zeitpunkt ist Schikorra 34 Jahre alt. Eine Situation, die wohl vielen Menschen nicht weniger als den Boden unter den Füßen wegziehen würde. Der Familienvater lässt sich davon aber nicht verunsichern. Stattdessen nimmt er sein Schicksal an und will heute auch anderen Betroffenen Mut machen.
Sein Krebs befindet sich noch in einem frühen Stadium, als Ärzte ihn entdecken. Das Problem: Er entwickelt sich weiter. „Ich stand vor der Wahl: Will ich mein Rektum retten und mit großer Wahrscheinlichkeit Windel tragen? Oder entscheide ich mich für ein Stoma?“, blickt der heute 36-Jährige zurück. Vor seiner Arbeit mit geistig und körperlich Behinderten war er Altenpfleger.
Dabei hat er sich auch um Menschen mit Stoma, also einem künstlichen Darmausgang, gekümmert. Die Konsequenzen seiner Entscheidung sind ihm also sehr wohl bewusst. „Für Leute ohne einen Bezug dazu ist so eine Diagnose ein Schlag ins Gesicht“, weiß er. „Durch meine medizinische Ausbildung wusste ich aber genau, was mich erwartet.“
15 Operationen in sechs Monaten
Seine Wahl fällt schließlich auf die Rektumsamputation und damit auf den künstlichen Darmausgang. Innerhalb eines halben Jahres lässt Dominik Schikorra 15 Operationen über sich ergehen. Und das ist auch der einzige Teil seiner Geschichte, der ihm zwischenzeitlich Kopfzerbrechen bereitet. „Ich wusste nach keiner Operation, wie es weitergeht“, sagt er. „Man konnte sich nie festlegen, wie viele OPs noch kommen. Das letzte Mal liegt er im November 2018 auf dem Operationstisch.
Im April 2019 geht er noch für vier Wochen in Reha. 2019 ist schließlich auch das Jahr, in dem er anfangen kann, sich mit seinem neuen Leben zu arrangieren. Sein Stuhl läuft nun von ganz allein in einen Beutel, den er auf der linken Seite seines Bauchs festklebt.
Damit er den Beutel nicht mehrfach am Tag wechseln muss, spült er seinen Darm morgens mit Wasser aus. Irrigieren nennt sich das. „Ich habe die Situation schnell angenommen“, sagt Schikorra. Und das obwohl es auch für ihn zu Beginn noch Fragen gibt. Kann ich mit einem Stoma schwimmen gehen? Wie verhält es sich mit dem Essen? Kann ich überhaupt noch alles essen?
„Im Internet steht, dass Zwiebeln, bestimmtes Fleisch oder Körnerbrötchen tabu sind“, so der 36-Jährige. Mittlerweile weiß er: „Man soll alles essen, aber erstmal in kleinen Mengen.“ Der Rest ergibt sich. Auch schwimmen ist für ihn heute kein Problem. „Ich habe nach Jahren gemerkt, was ich machen kann und was nicht“, erklärt Schikorra. Aufzählen kann er es schnell:„Alles bis auf Kraftsport.“ Ansonsten darf er nichts heben, das mehr als zehn Kilo wiegt.
Wegen der Operationen kann sonst durch den Druck sein Gewebe reißen. Dann würden die inneren Organe nach außen drängen. Einen Pflegedienst will Schikorra von vornherein nicht. Stattdessen versorgt er sich selbst. Auch weil er nicht möchte, dass frühere Arbeitskollegen ihn pflegen. Zu intim. Schon seine Operationen lässt er in einem Oberhausener Krankenhaus machen und nicht in der Nähe. „So konnte ich vor allem am Wochenende und mal unter der Woche Besuch haben, hatte den Rest der Zeit aber für mich selbst“, begründet er diese Entscheidung.
Für Familie anfangs nicht leicht
Generell muss sein persönliches Umfeld sich auf ihn und seinen neuen Alltag einstellen. „Für meine Frau war das nicht einfach mit der Diagnose. Für unsere beiden Kinder auch nicht“, erinnert sich der Gevelsberger. Seine Tochter ist heute sechs Jahre alt, der Sohn vier. Mittlerweile bemalen sie seine Stomabeutel sogar. Wohl auch ein Ergebnis seines eigenen Umgangs mit der Krankheit.
„Wäre ich selbst anders gewesen und hätte den Kopf in den Sand gesteckt, wäre es auch für meine Freunde und Angehörigen schwieriger gewesen“, glaubt Schikorra. Auch sein Arbeitgeber muss mit der neuen Lebensrealität seines Mitarbeiters umgehen. „Der hat eineinhalb Jahre auf mich gewartet“, ist der 36-Jährige dankbar. Jetzt arbeitet er wieder Vollzeit, zwar nicht mehr in der gewohnten Umgebung, dafür beim selben Arbeitgeber in einer Tagespflege mit geistig beziehungsweise körperlich Behinderten in Gevelsberg.
Dominik Schikorra erzählt seine Geschichte auch deshalb so offen, weil er anderen damit helfen möchte. Aktuell plant er, eine Selbsthilfegruppe zu gründen (mehr dazu in der Infobox). Im Internet ist er außerdem auf der Plattform „Beuteltiere“ aktiv. Von dort hat er auch ein passendes Motto für den Rest seines Lebens: „Lieber einen Beutel am Bauch als einen Zettel am Zeh.“