Ennepe-Ruhr. Die Leiterin der Biologischen Station im Ennepe-Ruhr-Kreis berichtet in ihrer Kolumne im August über Dachse.
Als ich kürzlich in der Dunkelheit durch das Tal der Ennepe fuhr, sah ich plötzlich auf der Straße vor mir einen dicken, runden, pelzigen Po gemächlich dahin wackeln. Ein Dachs! Leicht erkennbar an seinem gedrungenen Körperbau und grau-weiß-schwarzen Pelz. Ganz unverkennbar ist die schwarze „Augenmaske“ – weshalb er auch manchmal spaßhaft als „ Zorro der Marder“ betitelt wird. Obwohl die Tiere gar nicht so selten sind, bekommt man sie nicht oft zu Gesicht.
Um dem größten unserer heimischen Marderartigen zu begegnen, sollte man in der Dämmerung oder Nacht in Waldnähe unterwegs sein. Oder in einer reich strukturierten Heckenlandschaft. Tagsüber zeigt er sich nur selten, etwa, um sich den dicken Pelz an einem ungestörten Platz in der Sonne zu wärmen. Ansonsten verbringen Dachse viel Zeit „unter Tage“ in selbstgegrabenen Erdhöhlen. Daher werden sie auch Erdmarder genannt.
Beim Graben helfen ihnen kräftige, nach unten gebogene Krallen. Die Höhlen werden oft über Generationen von Dachsen immer weiter zu unterirdischen Dachsburgen ausgebaut. Das größte Burgen-Exemplar, von dem ich weiß, wurde in England gefunden und umfasste 50 Kammern, 178 Eingänge und fast 900 Meter Tunnel. Das bedarf natürlich einer gewissen Standfestigkeit des Bodens, daher kommt der Dachs in Gegenden mit sandigem Boden nicht vor. Aber auch zu steinig darf es nicht sein. Die Dachsbaue werden übrigens auch vom Rotfuchs geschätzt, manchmal leben sie sogar als Untermieter gleichzeitig mit dem Dachs beziehungsweise einem Dachsclan darin.
In diesen Familienverbänden bleiben die älteren Geschwister noch einige Zeit in der Familie. Erst ab dem zweiten Jahr machen sie sich auf den Weg, selbst einen Partner zu finden und eine Familie zu gründen.
Eizellen im „Dornröschenschlaf“
Ob „mein“ Dachs so ein junges „Wandersmädel“ oder doch eher ein „Wandersbursche“ war? Er – oder sie – das lässt sich nicht so einfach unterscheiden – sah jedenfalls schon ganz schön groß aus. Bis zu 80 Zentimeter lang und beachtliche 15 Kilogramm schwer können Dachse werden. Ihren Speck futtern sie sich mit Insekten, Regenwürmern, Fallobst und auch mal Eiern von Wiesenvögeln an. Auch unvorsichtige Reptilien und kleine Säuger werden verputzt. Im Gegensatz zu anderen Mardern jagen sie aber nicht aktiv und bleiben bei der Nahrungssuche auf dem Boden. Beim Auffinden der Nahrung hilft die rüsselartige Schnauze, die einerseits sehr empfindlich ist, um die Nahrung aufzuspüren und andererseits robust genug, um damit in der Erde zu wühlen.
Haben sich die Dachse genug Speck angefressen, kommen sie gut durch die nahrungsarme Winterzeit, in der sie in ihren Bauen Winterruhe halten. Am Ende der Winterruhe bringen die Weibchen zwei bis fünf blinde Junge zur Welt. Sie bleiben mehrere Wochen im schützenden Bau, bevor sie sich an die Oberfläche wagen.
Da sie Winterruhe halten, findet die Paarung bereits im Frühjahr oder Sommer statt. Damit die Jungen aber nicht im Herbst oder Winter zur Welt kommen, hat sich die Natur einen Trick ausgedacht, die sogenannte Keimruhe. Die weiblichen Eizellen werden direkt nach der Paarung befruchtet, fallen dann aber in einen „Dornröschenschlaf“, aus dem sie erst im Winter erwachen. Erst dann entwickelt sich die Eizelle weiter zum Embryo, und nach weiteren 45 Tagen werden die Jungen zu Anfang des Frühjahres geboren.
Wenn ich einen Dachs sehe, muss ich immer an das schöne Kinderbuch von Kenneth Grahame „Der Wind in den Weiden“ denken. Dessen Untertitel lautet nämlich „Der Dachs lässt schön grüßen, möchte aber auf keinen Fall gestört werden“. Auch wenn der Dachs kein wirklicher Einzelgänger ist, könnte man ihn doch dafür halten, wenn er alleine durch die Gegend trottet. Und dabei durchaus auch ein bisschen unnahbar wirkt.
Das Buch ist übrigens nicht nur für Kinder lesenswert. Es geht um Tiere, aber vor allem um Freundschaft. Auch wenn die Tiere stark vermenschlicht sind, lernt man ganz nebenbei einiges über die Natur. Das Buch gibt es übrigens auch in einer Hörversion, wunderbar gelesen von Harry Rowohlt und ein schöner Zeitvertreib für lange Zug- oder Autofahrten.
Apropos Auto: Am häufigsten bekommt man Dachse leider zu Gesicht, wenn sie überfahren am Straßenrand liegen. „Mein“ Dachs hatte an dem Abend Glück, auch, weil ich wohlweislich auf solchen Strecken immer besonders vorsichtig unterwegs bin. Die Dachse und viele andere Wildtiere danken Ihnen, wenn Sie das auch sind.
Ihre Britta Kunz