Gevelsberg. Der ehemalige Vorsitzende von Pro-City Gevelsberg, Werner Tasbier, blickt im Corona-Tagebuch sehr persönlich auf das Jahr 2020 zurück.

Gevelsberg. Werner Tasbier führte mit seiner Frau Edith fast 30 Jahre lang Modegeschäfte in der Mittelstraße. 2015 gab er die Läden auf und verabschiedete sich in den Ruhestand. Er war Chef von Pro-City, engagierte sich bei der SIHK und blickt im Corona-Tagebuch auf das gesamte Jahr - mit besonderem Fokus auf die Innenstadt.

Januar

Irgendwie komisch. Aus Wuhan, einer chinesischen Millionenstadt, kommen fast täglich Meldungen über eine neue Krankheit. Aber China ist sehr weit weg, denke ich damals noch. Dann sieht man im Fernsehen Menschen, die mit Masken durch die Stadt gehen. Unglaublich.

Februar

Die Krankheit  soll in Europa angekommen sein. Trotzdem registriere ich sie noch als weit weg. Karneval feiere ich mit den Hippendörfern und der KG Grün - Weiss noch fast wie immer, auch den runden Geburtstag einer lieben Freundin.  Spätestens seit der Nachricht von den massiven Corona-Erkrankungen in Heinsberg fange auch ich an, mir Sorgen zu machen.

März

Am 11. März  erklärt die WHO Corona offiziell zur weltweiten Pandemie. Auch hier in Deutschland hat Corona den Alltag inzwischen fest im Griff. Eine Veranstaltung nach der anderen wird abgesagt. „Fällt aus“ und „Abgesagt“ werden die häufigsten Einträge in meinem Terminkalender. Und die Klopapier und Nudel, Mehl und Zucker – Regale in den Supermärkten werden ebenso leerer und geplündert. Unglaublich, dass 2020 Angst vor Engpässen besteht und Hamsterkäufe schon fast normal werden.

Der 18. März: Mit Ausnahme von Lebensmitteln wird der Einzelhandel geschlossen. Die Mittelstraße ist von einem auf dem anderen Tag wie ausgestorben. Ich beginne mich zu fragen was wäre, wenn ich noch meine Einzelhandelsgeschäfte betreiben würde. Die Modenschau würde ausfallen. Würde ich auch für unser Personal Kurzarbeit beantragen müssen? Und was wäre mit der ganzen Ware, die gerade jetzt zum Saisonbeginn täglich eintreffen würde. Eine unvorstellbare Katastrophe. Ich mag gar nicht weiter daran denken und bin froh, dass mir diese Fragen erspart bleiben. Aber für meine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen, nicht nur in Gevelsberg, ist es bitter und tut mir sehr leid. Ich mache mir viele Gedanken und hoffe, dass die berechtigt strengen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie bald vorüber sind.

April

Es fällt mir mit jedem Tag schwerer, auf die sozialen Kontakte zu verzichten. Vor allem, dass wir die Kinder und Enkelkinder nicht sehen dürfen ist sehr traurig. Dazu kommt, dass mein Geburtstag und Ostern eigentlich mit Familienfeiern verbunden sind. Aber in diesem Jahr ist alles anders. Ist es schwarzer Humor oder eine besondere Art der Wertschätzung, dass ich zum Geburtstag von meiner Tochter einen Kuchen gebacken bekomme, der eine Klopapier Rolle darstellt?

Erfreut stelle ich fest, dass Pro-City und die Citymanagerin Lena Becker sich einiges einfallen lassen, um den Händlern zu helfen. Jetzt gibt es viele kleine Aktivitäten, die vorbildlich sind. Meinen ehemaligen Kollegen in anderen Städten, mit denen ich noch immer in Kontakt bin, gebe ich die Pro-City Tipps auch für ihre Orte weiter.

Dann erfolgt nach mehr als vier Wochen die erlösende Nachricht, dass Geschäfte bis 800 Quadratmeter wieder öffnen dürfen. Aber wie werden die Kunden reagieren? Und was ist mit der liegen gebliebenen Ware? Das Frühjahrsgeschäft ist weggebrochen, jetzt fängt bald das Sommergeschäft an. Aber mit welchen Begleitumständen?

Mai

Eigentlich war in meiner ursprünglichen Lebensplanung vorgesehen,  das 100-jährige Firmenjubiläum ab 1. Mai 2020 zu feiern. Aber jetzt bin ich doch froh, dass alles anders gekommen ist. Wie hätte eine solche Feier unter diesen Umständen ausgesehen? Seit 27. April gilt in NRW eine Maskenpflicht beim Betreten eines Einzelhandelsgeschäftes. Hat man dann überhaupt Kauflaune?

Am Anfang war es eine große Umstellung und ich konnte kaum glauben, dass auch hier die Maske zum Alltag gehören wird. Aber das sollte das kleinere Übel sein. Hauptsache es gab wieder einen Hauch von Normalität. Verzichten musste ich trotzdem: Keine Fahrt zur Kirmeskrug-Übergabe, keine Hammerschmied Fete, kein Boulevard mit verkaufsoffenen Sonntag und keine Feier bei Freunden zum 40. Hochzeitstag. Gerade so ein Ereignis kann man nicht einfach verschieben. Aber die direkt Betroffenen sind noch viel trauriger. Ob die Feier jemals nachgeholt werden kann?

Juni

Die Kirmes musste abgesagt werden. Da sind sicher einige Tränen geflossen. Ich fühle mit den Schaustellern, die unersetzliche wirtschaftliche Verluste erleiden. Und ich habe mich besonders auf die Bewertung des diesjährigen Kirmeszuges gefreut. In diesem Jahr bin ich seit 20 Jahren Bewerter. Dafür durften wir bei der Abi Feier unseres Enkels dabei sein. Auch unter Corona Maßnahmen, aber an die haben wir uns ja schon fast gewöhnt.

Juli

Den einen oder anderen Kontakt versuchen wir unter den bekannten Bedingungen wieder zu pflegen. Da die Begegnungen ja oft im Freien stattfinden, habe ich keine Bedenken.

August

Die Pandemie hält uns weiter im Griff. Zwar treffen wir jetzt wieder ein paar Freunde, aber immer mit Corona im Hinterkopf. Mit gemischten Gefühlen besuchen wir eine im April abgesagte Veranstaltung in Dortmund, bei der statt der ursprünglich 200 Besuchern nur 50 teilnehmen dürfen. Aber wir sind dabei und wollen damit auch die Kleinkünstler-Bühnen unterstützen. Corona Regeln gibt es da auch. Inzwischen kommen wir allerdings immer besser damit klar.

September

Ich habe mich sehr gefreut, bei der Enthüllung des größten künstlerischen Werkes in der Region, von Christian Awe am ehemaligen Rupprecht-Haus dabei sein zu dürfen. Solche künstlerischen Werke gibt es sonst nur in Großstädten. Ich bin ein bisschen stolz auf meine Heimatstadt. Und die Kommunalwahl? Ich bin ziemlich sicher, dass Bürgermeister Claus Jacobi wieder mit einem besonders guten Ergebnis die Wahlen gewinnt. Da ich persönlich gerne auch weiter im Stadtentwicklungsausschuss als parteiloses Mitglied für die SPD mitarbeiten möchte, hoffte ich auf ein gutes Ergebnis. Meine positiven Erwartungen wurden sogar noch weit übertroffen und ich kann mich weiterhin ehrenamtlich für die Stadt engagieren.

Oktober

Wieder stehen runde Geburtstage an, diesmal in Bad Kissingen. Es ist der einzige längere Aufenthalt außerhalb von Gevelsberg für uns in diesem Jahr. Die Coronafall-Zahlen sind noch moderat und wir sind noch gebremst optimistisch, dass die 2. Welle nicht so heftig zurückkommt. Nach 20 Jahren wurde der Garten aufgefrischt.

November

Die 2. Welle hat uns voll im Griff. Und durch unsere Mittelstraße dürfen wir nur noch mit Maske gehen. Die Gastronomie, bestimmte Schulen und Kitas müssen ganz oder teilweise schließen. Mit großem Respekt denke ich an die Erzieherinnen, an die Lehrkräfte und an die Menschen, welche in den Pflege- und Krankenstationen überdurchschnittliches leisten. Die aktuellen Fallzahlen der Corona-Fälle auch in Gevelsberg machen Sorge und nachdenklich.

Dezember

Kein Adventszauber, aber erfreulicherweise erstrahlt unsere Weihnachts - Beleuchtung wieder wie in den Vorjahren. Vielleicht wäre es eine Chance für die Einzelhändler gewesen, an den Adventssamstagen die Geschäfte bis 18 Uhr offen zu lassen, weil die Großstädte ohne Weihnachtsmärkte an Attraktivität verloren haben? Aber mit dem 2. strengeren Lockdown sind diese Überlegungen hinfällig. Für viele eine neue Hiobsbotschaft, denn mindestens bis 10. Januar bleibt alles geschlossen. Selbst die Kirchen sind an Weihnachten leider nicht wie immer geöffnet. Für die Händler hoffe ich sehr, dass die Internet-Angebote des Gevelsberger Einzelhandels angenommen werden, um so die Umsatz-Ausfälle wenigstens ein bisschen abzumildern, denn wir brauchen nach dem Lockdown weiter unsere Geschäfte und Gaststädten in der Innenstadt, in der wir uns wieder mit Freunden und Bekannten treffen können.