Gevelsberg. Evakuierungen und Menschenrettungen. Feuerwehrleute 30 Stunden am Stück im Einsatz. Firma ABC droht in die Luft zu fliegen. AVU stellt Strom ab.
Feuerwehrchef Uwe Wolfsdorff ist kein Mensch, der zu Übertreibungen neigt. Um so mehr Gewicht haben seine Worte, wenn er sagt: „Das hat alles in den Schatten gestellt, was ich in 40 Dienstjahren erlebt habe.“ Die Wassermassen sorgten für einen absoluten Ausnahmezustand in der Stadt Gevelsberg. Binnen einer Nacht drohte eine Firma in die Luft zu fliegen, musste der Strom abgestellt werden, sind Menschen evakuiert und gerettet worden.
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Bis zum frühen Mittwochabend war alles verhältnismäßig ruhig. Doch plötzlich kam das Wasser mit Macht, mit Kraft, bahnte sich unaufhaltsam seinen Weg und brachte Tonnen von Schlamm mit sich. Der neuralgischste Punkt war dabei die Firma ABC. Das Wasser drohte Teile des Betriebs an der Kölner Straße zu fluten, in denen sich Härtebecken mit hunderten wenn nicht tausenden Litern siedendem Öl befinden. „Wäre das Wasser dort reingelaufen, wäre die ganze Firma explodiert“, sagt Uwe Wolfsdorff, der parallel einige Kilometer weiter mit seiner Truppe, von denen etwa 60 Leute im Dauereinsatz waren, den nächsten extremen Gefahrenpunkt zu bewältigen hatte: das Umspannwerk am Rocholz, das drohte, überflutet zu werden.
Notstrom für Beatmungspatienten
„Uns blieb nichts anderes übrig, als das Umspannwerk vom Netz zu nehmen“, sagt Bürgermeister Claus Jacobi, der umgehend einen Krisenstab einberief. Ab etwa 21 Uhr waren die Ortsteile Vogelsang, Berge, Asbeck, Silschede und Teile der Schnellmark bis zum nächsten Tag ohne Strom. Besonders heikel: Allein entlang der Hagener Straße stehen drei Seniorenheime, in denen Beatmungspatienten liegen. Die Notstromversorgung musste vor dem Abschalten also stehen.
An beiden Einsatzpunkten – bei ABC wie auch am Umspannwerk – liefen zahlreiche Pumpen, die mit 15.000 bis 20.000 Litern pro Minute das Wasser von den Anlagen fern hielten.
Doch auch Privatpersonen waren schwer betroffen von den Wassermassen. Vor allem am Rocholz mussten etwa 50 Personen wegen der gefährlichen Lage am Umspannwerk evakuiert werden. Viele von ihnen konnten bei Verwandten unterkommen, ungefähr 20 Personen wurden in die Aula Vogelsang gebracht, in der sie die Nacht verbringen konnten. Weil einige quasi in Unterwäsche und Badelatschen ihre Häuser verlassen mussten, öffnete das DRK seine Kleiderkammer, viele private Spenden in Form von Babynahrung und Windeln erreichten die Notleidenden in der Aula. Doch auch das Gebäude der Aula lief bald voller Wasser. Einige der Menschen konnten zu diesem Zeitpunkt zurück in ihre Häuser, andere kamen in Wohnungen der Stadt Gevelsberg. Mehrere Menschen und ein Hund mussten von der Feuerwehr auch aus zwei Häusern im Flutgebiet Rocholz zudem gerettet werden.
Lüftung in Mastbetrieb fällt aus
Am Donnerstagmorgen dann die nächste Hürde: Der Strom soll wieder eingeschaltet werden. Doch die Gefahr ist groß, dass Menschen in ihren überfluteten Kellern stehen und einen Stromschlag erleiden. „Ich habe Amtshilfe bei der Polizei beantragt“, sagt Claus Jacobi. Die ist mit Streifenwagen durch die betreffenden Straßen gefahren und hat Lautsprecherdurchsagen gemacht, bevor die AVU den Schalter für jeweils wenige Straßenzüge umgelegt hat. Vorgezogen werden musste dabei ein Teil von Asbeck. In einem Schweinemastbetrieb mit 1000 Tieren lief die Lüftungsanlage seit vielen Stunden nicht mehr. Zum Tierschutz ist dieser Teil sehr früh zurück ans Netz gekommen.
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Gegen Mittag schickte Wolfsdorff – zu diesem Zeitpunkt selbst seit 33 Stunden im Dienst – die meisten seiner Leute zur vierstündigen Pause, bevor es weiterging. Sein Stellvertreter Rüdiger Kaiser sowie Führungskraft Peter Dietrich brachen ihre Urlaube ab, und kamen noch am Donnerstag zurück nach Gevelsberg. „Ein riesiges Dankeschön an alle Einsatzkräfte, die Unglaubliches leisten. So eine Energieleistung habe ich in meiner Amtszeit noch nicht erlebt“, sagt Jacobi.