Dortmund. Hannah hilft dem kleinen Jan nach der Schule. Im Gegenzug wohnt die Bildungspatin in einem Dortmunder WG-Zimmer — und das gratis.
Jan zappelt unruhig auf seinem Sitzwürfel. „Wann darf ich endlich sprayen?“, fragt der Sechsjährige Hannah. Sie vertröstet ihn, er müsse sich noch ein wenig gedulden. Seit Tagen freut er sich auf den Graffiti-Workshop, der in der Dortmunder Tauschbar angeboten wird. Hannah Roos ist Bildungspatin in der Tauschbar und betreut das Herbstferienprogramm für Schülerinnen und Schüler aus dem sozial-benachteiligten Stadtteil Westerfilde. Während der Schulzeit unterstützt sie die Kinder beim Lernen. Als Gegenleistung lebt sie in einem kostenlosen WG-Zimmer.
Chancen und eine bessere Zukunft für die Kinder: Das hat sich der Verein „Tausche Bildung für Wohnen“ auf die Fahne geschrieben. Im Duisburger Stadtteil Marxloh entstand 2012 die erste Tauschbar. Mittlerweile gibt es deutschlandweit sechs Standorte, darunter die Ruhrgebietsstädte Duisburg, Essen, Witten, Dortmund, Gelsenkirchen sowie Hamburg. Spender und Sponsoren finanzieren das Projekt.
„Tausche Bildung für Wohnen“: Bildungspatinnen leben in einer gemeinsamen WG
Seit Anfang August unterstützt Hannah in ihrem Bundesfreiwilligendienst die Kinder in der Hochhaussiedlung an der Dortmunder Speckestraße. Die 20-Jährige kommt aus der Nähe von Koblenz und ist extra für das Projekt nach Dortmund gezogen. Nach einem abgebrochenen Psychologie- und Geschichtsstudium entschied sie sich kurzfristig für den Bundesfreiwilligendienst. Sie habe schon zuvor ehrenamtlich mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet. „Ich wusste, dass es mir Spaß machen wird.“
Gemeinsam mit zwei anderen Patinnen wohnt Hannah in einer WG. „Das WG-Leben klappt super. Wir gehen auch gemeinsam einkaufen und kochen zusammen“, berichtet Hannah. Für ihre WG-Zimmer, für die Möbel und das Geschirr zahlen sie nichts. Zur Tauschbar sind es rund 20 Minuten Fußweg. Zusätzlich bekommen die Patinnen monatlich 420 Euro Taschengeld. Das WG-Leben soll den jungen Erwachsenen dabei helfen, selbstständig zu werden, so der Verein. Vielleicht ist es auch einfach ein Abenteuer. Ein positiver Nebeneffekt: Die jungen Helfer aus ganz Deutschland könnten ihre Nachbarn inspirieren.
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„Wenn ich in der Schule etwas nicht verstehe, wiederholen wir es in der Tauschbar, und ich verstehe es.“
Nadin besucht die Tauschbar bereits seit zwei Jahren. „Die Bildungspatinnen sind wie ein zusätzlicher Lehrer“, erzählt die Elfjährige. „Wenn ich in der Schule etwas nicht verstehe, wiederholen wir es in der Tauschbar, und ich verstehe es.“ Nach dem Lernen spielen Nadin und Hannah Karten oder Fußball. Aber jetzt sind Herbstferien – Zeit für etwas Besonderes.
Kreischend rennen die Kinder in den Flur der Tauschbar, um sich die Schuhe anzuziehen. Endlich dürfen sie raus an die frische Luft dort warten Leinwände auf ihre Spraydosen. Der Graffiti-Workshop ist eines der Ferienangebote in der Tauschbar, auf das sich nicht nur Jan und Nadin besonders freuen. Hannah hilft Jan, die Maske anzulegen, drückt Nadin eine Dose in die Hand, die diese erstmal skeptisch beschaut. Hannah organisiert die Reihenfolge, ein „Profi-Sprayer“ rät Jan und Nadin erstmal mit bunten Flächen und Mustern anzufangen. Auch das ist erstmal nicht so leicht, aber siehe da: ein rosafarbenes Quadrat.
Tauschteam sucht jährlich neue Bildungspaten
Nach einem Jahr wird Hannah ihren Bundesfreiwilligendienst abgeschlossen haben und die Einrichtung wieder verlassen. „Man bricht den Kindern jedes Jahr aufs Neue das Herz“, sagt Standortleiter Marc Vogel. Aber auch diese Abschiede seien „ein sehr großer Lerneffekt für die Kinder. Sie lernen damit umzugehen, dass Menschen im Leben gehen und neue Patinnen kommen.“ Im Laufe des Jahres entstehe oft eine tiefe Verbindung zwischen den Kindern und den Helfern.
Noch bis zum 14. November können sich Interessierte für den Freiwilligendienst 2025/2026 beim Tauschteam melden.