Dortmund. Die „Analytische Taskforce“ der Dortmunder Feuerwehr ist hochspezialisiert: Sie löst Chemie-Rätsel bei unbekannten Substanzen – wie in Herne.
- Die „Analytische Taskforce“ der Feuerwehr Dortmund ist überall dort im Einsatz, wo unbekannte Chemiekalien gefunden werden – in der ganzen Region weit übers Ruhrgebiet hinaus. Wie aktuell in Herne: Dort untersuchen die Spezialkräfte ein weißes Pulver. Geht davon eine Gefahr aus? Oder ist es doch nur Mehl? Wir haben den Spezialtrupp bei einer Übung in Dortmund über die Schulter geschaut.
Es tropft von der Decke, ganz langsam. Aber die vier Männer in Schutzanzug und Atemmaske schauen nicht nach oben: sie suchen fieberhaft den Boden ab. Eine „unbekannte Substanz“ wurde gemeldet – aber wo ist sie? Und was ist sie? Kali-Lauge, Flusssäure, Anthrax, Sarin? „Da! Auf dem Stuhl ist eine Pfütze.“ Der Truppführer hat die Flüssigkeit gefunden. Aber die undichte Flasche, die instabil auf einer kaputten Deckenplatte über ihnen liegt, sehen die Jungs nicht ...
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Die vier Männer gehören zur Analytischen Taskforce der Feuerwehr Dortmund und proben in einem leeren TU-Flachbau an der Baroper Straße den Ernstfall. Die Taskforce kommt auf den Plan, wenn unbekannte Substanzen gefunden werden. Terroranschläge, illegale Gift-Entsorgung, persönliche Racheakte – aber auch bei Bedrohungslagen aus Unwissenheit kommt die Taskforce ins Spiel: „Es steckt ja nicht immer böser Wille dahinter“, erklärt Jessica Voß. „Das kann auch ein Kellerfund sein. Jemand räumt auf und findet chemisches Zubehör.“
Seit 2022 berät die Chemiemeisterin die hauptamtliche ATF bei Einsätzen – und bei der Freiwilligen Feuerwehr ist Voß schon viel länger. Als Anfang 2024 zusätzlich zum hauptamtlichen ATF-Löschzug der Wache Eichlinghofen ein neuer ATF-Zug der Freiwilligen Feuerwehr gegründet wurde, war Voß sofort klar: Sie ist dabei! „Das ist wie puzzlen oder Tetris spielen“, sagt sie: „Man bekommt ein Rätsel vorgesetzt und muss es lösen. So helfen wir Menschen genauso wie mit Feuerlöschen.“
Geballtes Fachwissen von Chemikerinnen und Biologen
Der neue Trupp der Ehrenamtlichen vereint geballtes Fachwissen und ist für die Hauptamtlichen nicht wegzudenken. Promovierte Chemiker, chemische Biologinnen, Chemielaboranten, eine FH-Professorin – ihr Wissen ist Gold wert. „Die Expertise der Ehrenamtlichen ist für uns extrem wichtig“, erklärt Daniel van Kerkhoven (fachlicher Leiter der ATF Dortmund). Die hauptamtliche Taskforce sei zwar gut geschult, bringe aber längst nicht so viel Fachwissen mit.
Die Dortmunder Einheit sei eine von acht ATFs in Deutschland, erklärt van Kerkhoven. NRW ist mit drei Standorten am stärksten vertreten – Dortmund, Essen, Köln, wobei sich Essen nur um biologische Lagen kümmert. Dortmund und Köln sind bei chemischen, nuklearen und radiologischen Einsätzen am Start und fahren dafür bis zu 200 Kilometer weit.
Schwarzmann, Weißmann: ATF-Trupp nimmt behutsam Proben
Wie bei der Übung im Container-Gebäude in Eichlinghofen. Die vier Feuerwehrmänner nehmen Proben der Flüssigkeit, die sich über Stuhl und PVC-Boden verteilt. Jeden Schritt melden sie über Funk ans Team nach draußen. Die Rollen des kleinen Trupps sind klar verteilt: Einer hält sich als Weißmann von jeglichem Kontakt mit der unbekannten Substanz fern – die drei Schwarzmänner untersuchen die Pfütze, füllen Pipetten, beträufeln Teststreifen.
Die Gefahrenquelle selbst (die lecke Plastikflasche in der abgehängten Zimmerdecke) finden sie erst viel später. Kein Wunder, meint van Kerkhoven: „Die Schutzanzüge verdecken die Sicht nach oben.“ Ansonsten arbeiten die vier Jungs perfekt: „Sie müssen vom Worst Case ausgehen. Hektik wäre falsch.“ Also gehen sie langsam und vorsichtig vor. Jeder Schritt, jeder Handgriff passiert mit Bedacht.
Am Ende lassen sie die Flasche, wo sie ist. Sie mitzunehmen wäre zu gefährlich. Aber das ist ok: „Ihre Aufgabe ist nur die Probennahme“, erklärt van Kerkhoven. Für die Bergung des Gefahrenstoffs ist die „normale“ Feuerwehr zuständig. Dafür muss aber erstmal klar sein, wie gefährlich die Flüssigkeit wirklich ist. Die Proben gehen raus ins mobile Labor (ein 750.000 Euro teurer Lkw-Container) und werden direkt untersucht. In dieser Übung war es Acetophenon, eine chemische Verbindung, die Haut und Schleimhäute reizt.
Terrorrazzien, Giftfunde, miese Streiche: Einsätze der Taskforce Dortmund
Die ATF Dortmund besteht aus knapp 40 ehrenamtlichen und 40 hauptamtlichen Feuerwehrleuten, wobei letztere auch weiterhin Feuerlöschen und den Rettungsdienst besetzen. Bis zu 50 Einsätze gebe es pro Jahr, erklärt van Kerkhoven. Dabei arbeite man überregional als „ATF Deutschland“ mit den anderen Standorten zusammen, etwa 2017 beim G20-Gipfel im Hamburg. Aber längst nicht alle Einsätze werden öffentlich – etwa aus Angst vor Nachahmern. Ein paar Beispiele für Einsätze der Dortmunder Taskforce:
- Die Polizei findet ein Chemie-Lager in Gelsenkirchen. Ein Mann und eine Frau kommen in U-Haft, die Hintergründe sind noch unklar.
- Auf einem Auto in Bad Salzuflen wird ein Coronatest-Tütchen mit „Bio Hazard“-Symbol gefunden – gefüllt mit weißem Pulver. Am Ende war es ein Haushaltsmittel.
- In einem Essener Keller mit ein Behälter mit der Aufschrift „Pikrinsäure“ gefunden. Der vermeintlich hochgefährliche Inhalt führt zu einem Großeinsatz. Auch eine Kita wird geräumt.
- An einem Anti-Terror-Einsatz in Castrop-Rauxel ist auch die Dortmunder ATF beteiligt. Die Rede war von einer biologische Waffe.
- Im Essener Unperfekthaus wird ein rätselhaftes weißes Pulver gefunden. Anfangs war unklar, was es ist.
- An einer Essener Schule klagt ein Kind über Unwohlsein, nachdem es aus einer Flasche getrunken hat. Später melden sich weitere Schüler, die daraus getrunken haben – zwei verlieren das Bewusstsein. Ergebnis der Dortmunder ATF: In der Flasche war nur Wasser.
- In Bottrop wird ein Fass gefunden, aus dem eine unbekannte Flüssigkeit dringt. Es wurde wohl illegal entsorgt.
- In einer Jugendwohngruppe in Bochum wird Zyankali gefunden. Die Feuerwehr war deshalb im Großeinsatz – in einem ehemaligen Heizkraftwerk.
Dieser Text erschien erstmals am 11. März 2024.