Balve. Büchereileiterin Steffi Friske erklärt im Interview, wie Lesen in Zeiten von Smartphone und Tablet bei Kindern eine Chance hat.

Der Sommerleseclub hat schon bald Halbzeit. Wie viele Anmeldungen gab es denn?

Es gab 133 Anmeldungen. Damit haben wir unser Ziel, mehr als 100 Kids und Familien für das Lesen im Sommer zu begeistern, noch weit übertroffen.

Wie ist dabei die Entwicklung zum Vorjahr?

Im vergangenen Jahr waren es 117 Teilnehmer, da haben wir die Kita-Kids allerdings in der Statistik nicht erfasst.

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Und wie viel wird von den einzelnen Kindern im Schnitt gelesen?

Es ist ja gerade mal Halbzeit, ich nehme der Einfachheit halber mal die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Online-Logbuch, die lassen sich schnell auswerten. Da liegen wir aktuell bei 23.332 gelesenen Seiten und 1007 gehörten Minuten. Bei den Hörbüchern haben wir allerdings in diesem Jahr nur eines pro Teammitglied oder Einzelleser gewertet, wir wollten den Fokus wieder stärker auf das Lesen lenken. Bei den „Papier-Logbüchern“ tut sich allerdings noch einiges, das kann man nicht einschätzen, bis die fertigen Werke da sind. Da beeindruckt uns die Kreativität Einzelner in diesem Jahr besonders. Bei mir ist eine Fotostrecke hängen geblieben, bei der auf dem Pferderücken gelesen wird, dann hören auch die Hühner und Kaninchen eine Geschichte. Das ist natürlich auch oscarverdächtig.

Zeichnen sich schon Spitzenreiter ab?

Da rechnen wir lieber zum Schluss ab, denn viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben ausdrücklich den Anspruch, nicht nur dabei zu sein, sondern auch zu gewinnen. Bislang liegen online Teams mit rund 20 gemeinsamen Büchern im oberen Bereich, aber wer weiß, was die Papierbuch-Fraktion dagegenzusetzen hat.

Was wird am liebsten gelesen? Gibt es den einen Favoriten?

Super geht das Kleine Böse Buch, das sich dadurch auszeichnet, dass nicht von vorn nach hinten, sondern in Sprüngen quer durch das ganze Buch gelesen wird – und dass es wirklich witzig ist und toll illustriert. Was immer geht, sind Junior-Ableger der großen bekannten Reihen wie Fünf Freunde, Die Drei ???, Bibi & Tina. Diese Reihen verbinden Eltern und Kinder, sind textlich im Vergleich zu den Klassikern etwas abgespeckt und modernisiert.

Gibt es dabei Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen?

Das ist ganz interessant: Tatsächlich haben wir, wie es jetzt aussieht, fast doppelt so viele Leserinnen wie Leser. Dafür sind die Jungs oft erfolgsorientiert, die Gewinner bei den Einzelkategorien der letzten Jahre waren bei den Älteren immer Jungs. Die lesen dann auf Leistung und haben oft Spaß am Vergleich. Allerdings sind wir im Team andererseits durchweg weiblich besetzt, vielleicht sind wir bei der Auswahl ein wenig „mädchenlastig“.

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Kann man sich noch zum Sommerleseclub anmelden?

Natürlich, also die 150 Anmeldungen vollzukriegen wäre doch ein Traum! Also noch schnell auf balve.de anmelden, solange man noch Hoffnung hat, als Team oder allein drei Medien aus der Bücherei zu bewältigen, geht da doch noch was! Abgabeschluss für die Logbücher ist der 23. August.

Die spannende Frage: Wie bekommt man im Zeitalter von Smartphone und Tablet den Nachwuchs an das Buch? 

Ja, die Zeiten, wo Eltern schimpfen, weil unter der Bettdecke noch gelesen wird, sind größtenteils vorbei. Die wären wohl eher erleichtert, dass das Kind überhaupt liest! Gerade heute ist es wichtig, sich ausdrücken zu können, auch im Netz ist Sprache enorm wichtig. Je genauer ich ChatGPT eine Aufgabe beschreiben kann, desto besser werden die Ergebnisse sein. Präzise Beschreibungen sind hier alles. Andererseits gibt es Soziale Medien wie TikTok oder Instagram, die fast ausschließlich auf Bilder setzen. Das wird meiner Meinung nach das Gehirn verändern, und für mich bleibt es eine wichtige menschliche Fähigkeit, fokussiert eine Sache zu tun. Da leistet Lesen natürlich einen großen Beitrag, denn beim Lesen gibt es kein Multitasking. Wir geben gerade Kindern hier die Möglichkeit, zu entspannen. Das halten manche Kinder kaum mehr aus. Hier heißt es Vorbild sein, im Familienalltag Platz für Bücher schaffen, eine gemeinsame Lesekultur etablieren.

Wie können digitale Medien sogar genutzt werden, um die Lesekompetenz von Kindern zu fördern?

Ich bin da keine Expertin, ich bin weder Pädagogin noch Medienwissenschaftlerin. Aber ich würde behaupten, dass alle Angebote, bei denen aktiver Einsatz gefordert wird statt passiver Konsum, hilfreich sind. Es gibt natürlich Apps speziell zum Lesenlernen, man könnte auch meinen, dass selbst Schreiben und Lesen von Whatsapp-Nachrichten ein wenig Leseförderung ist. Emojis sind eine kreative zusätzliche Bild-Sprache, die fast schon ein eigenes Alphabet mit speziellen Ausdrucksmöglichkeiten bildet. Aber letztlich bin ich da pessimistisch: Wenn ich Bilder im Kopf erzeugen will, dann kann ich das nicht mit Bildern aus dem Smartphone erreichen. Das Ablenkungspotenzial ist zudem riesig, selbst für uns Erwachsene.

Haben Sie dafür besondere Ideen und Projekte?

Klar, wir haben nicht zuletzt zwölf Ipad-gestützte Führungen vor den Ferien angeboten und bei den Ferienspielen eine Woche zum Projekt „Lesen trifft Ipad“ gestaltet. Es ist ein Balanceakt. Die Erwartung, das ist dann Zocken in der Bücherei, möchten wir nicht erfüllen. Wir bringen Angebote an den Start, zum Beispiel Programmieren mit Lego oder Buchcover mit Canva gestalten, bei denen man planvoll und strukturiert etwas erschaffen muss. Ich finde es auch wichtig, dass wir zeigen, dass Gestalten und Kreativität im Digitalen auch großen Raum einnehmen können. Etwas programmieren zu können, finde ich fast schon so eine Grundfähigkeit wie Lesen inzwischen. Die Kinder immer wieder zum Buch zurückzuholen, das ist schon eine Kunst. Wer sich keine fünf Minuten auf eine Sache konzentrieren kann, für den ist ein Buch Leistungssport, ein Marathon, auf den man sich mit kleinen Schritten vorbereiten muss.

Der Flyer zum Sommerleseclub. Eine Anmeldung ist auch jetzt noch möglich. 
Der Flyer zum Sommerleseclub. Eine Anmeldung ist auch jetzt noch möglich.  © WP Balve | Annett Albach

Was kann ich als Elternteil tun, wenn mein Kind kein Buch zur Hand nimmt? Wie kann ich das Interesse daran wecken?

Das Problem kenne ich leider selbst ganz gut … da experimentiere ich auch noch! Ich finde es wichtig, die Auswahl mit dem Kind zu zelebrieren. Dass man sich für den Besuch in der Bücherei oder in der Buchhandlung Zeit nimmt, offen ist für den Geschmack des Kindes. „Das ist ja nur ein Comic“, „da geht es ja nur um Minecraft“ ist verständlich, aber wenig hilfreich. Man kann vielleicht auch zusätzliche Online-Zeit als Belohnung für Lesezeiten verhandeln. Und vielleicht als ganze Familie mal freie Zeit einplanen.

Gibt es Tipps für Eltern, wie sie auch die Schulanfänger von Anfang an motivieren können, zu lesen?

Ich habe den Eindruck, beim Schulstart ist die Motivation ohnehin noch groß, es gilt ja als wichtiger Schritt Richtung Erwachsenwerden, aus Buchstaben endlich Wörter zu machen. Wir erleben aber oft, dass nach drei geschafften Erstlese-Büchern das Thema abgehakt ist. Dabei fängt doch dann der Spaß erst richtig an. Ich denke, im Gespräch bleiben hilft, man kann ja als Eltern oder Großeltern fragen, was im letzten gelesenen Buch so vorkommt, was besonders gut gefallen hat. Tatsächlich halte ich einen zu frühen selbstständigen Umgang mit mobilen Geräten in der Grundschulzeit nicht für hilfreich. Als freiwillige Alternative zu YouTube oder einer Zockerparty mit Freunden steht das Buch auf verlorenem Posten, würde ich behaupten.

Welche Bedeutung hat das Vorlesen für die Sprachentwicklung von Kindern?

Erst einmal ist es gemeinsame Zeit und im Idealfall ein Dialog. Ich bin meinem Kind nahe, mein Kind stellt Fragen zur Geschichte, ich kann erklären, ausschmücken. Der Sprachschatz erweitert sich, die Struktur einer guten Geschichte wird erlernt. Lesen wird mit Nähe und damit etwas Positiven verbunden. Es entstehen Bilder im Kopf, die so niemand anders im Kopf hat, egal wie genau eine Figur gezeichnet oder beschrieben ist. Es wird ein bestimmter Tonfall mit Situationen verbunden, wenn bei spannenden Situationen ganz leise, bei Überraschungen ganz laut und mit Pause erzählt wird. Man fühlt sich in Figuren hinein, versteht unterschiedliche Handlungs- und Sichtweisen.

Hat die Bücherei zum Schulstart besondere Aktionen?

Wir laden natürlich herzlich dazu ein, einen Bücherei-Ausweis in die Schultüte zu packen! Ist doch ein günstiges und echt sinnvolles Geschenk. Damit das auch was hermacht, basteln wir immer kleine bunte Papp-Schultüten, in die diese Geschenkausweise gesteckt werden.